Ganz gleich, ob Hip-Hop, Techno oder queere Szene: Die Ästhetik von Subkulturen avanciert nicht selten zum Trend. Doch welche Umstände führen zu einer derartigen Verschmelzung mit dem Mainstream – und was kann diese Fusion besten- und schlimmstenfalls bewirken?

Eine Subkultur, so der Soziologe Ulf Wuggenig, entstehe zunächst durch die gemeinsame Identifikation mit Minderheitsgruppen zugeordneten Identitätskategorien – ein solcher Zusammenschluss könne etwa über gemeinsame Musik, Stilphänomene oder die gemeinschaftliche Präsentation nach „Außen” stattfinden. Demnach begründet die Andersartigkeit zur normgebenden Mehrheit der Gesellschaft die Existenz der Subkultur. Was aber geschieht, wenn sie bis in den Mainstream vordringt? Im Idealfall werden Barrieren abgebaut und der Raum öffnet sich für ein breiteres und diverseres Publikum. Doch schlimmstenfalls entpuppt sich der Hype als bloße Aneignung bestimmter Stilphänomene und es verschwinden Schutzräume für marginalisierte Personengruppen – das Spiel mit dem Mainstream bleibt eine Gratwanderung.

Ein recht anschauliches Beispiel aus der Popkultur stellt hierfür die Reality Show „Queen of Drags” dar, die 2019 Premiere feierte und ausgerechnet von Heidi Klum moderiert wurde. Der Aufschrei war vorprogrammiert. Blickt man auf die Historie von Drag-Kultur zurück, in der es um Selbstermächtigung einer von Diskriminierung betroffenen Subkultur geht, erscheint Klum als Aushängeschild der Show geradezu deplatziert. Erstens hat sie rein gar nichts mit der queeren Szene zu tun und zweitens gerät die andere von Klum moderierte Sendung „Germany’s Next Topmodel” durch ihre propagierten Schönheitsideale und Zurschaustellung der Kandidat*innen immer mehr in die Kritik. Auf der anderen Seite gibt es wiederum positive Beispiele, wie den afroamerikanischen Choreografen Trajal Harrel – in seinen Performances wird unter anderem der Tanzstil des Voguings verarbeitet, der aus der Schwarzen und lateinamerikanischen queeren Drag- und Ballroom-Szene bekannt ist. Er ist regelmäßig auf internationalen Bühnen zu sehen und eröffnet seinem Publikum eine Perspektive auf die Szene, von der er selbst Teil ist.

(c) ProSieben, Foto: Martin Ehleben, Image via moviepilot.de

Die SCHIRN widmet sich mit THE CULTURE ab dem 29. Februar nun einer ebenso reichen Subkultur mit Wurzeln in der Black Community, die es nicht nur längst in den Mainstream, sondern auch in den vielbeschworenen Elfenbeinturm der Kunst geschafft hat: Hip-Hop!

Zwischen Hip-Hop, Haute Couture und Kunst

Eines der prominentesten Beispiele dafür ist Virgil Abloh. Er gründete 2013 das erfolgreiche Luxus-Streetwear-Label Off-White und präsentierte 2018 seine Auftaktshow als erster afroamerikanischer Kreativdirektor des etablierten Modehauses Louis Vuitton. 2019 widmete ihm das Museum of Contemporary Art Chicago eine Retrospektive und 2020 co-kuratierte er eine Auktion bei Sotheby’s. 2021 verstarb er unerwartet nach kurzer Krankheit.    

Das aus einem Vorort von Chicago stammende Multitalent ebnete den Weg für einen breiteren Zugang zur Mode-, Design- und Kunst-Blase. Diese Sphäre ist – Überraschung – nämlich nicht nur privilegierten Menschen vorbehalten, die schon in die Blase hineingeboren werden, sondern auch jenen, die nicht der hegemonialen Norm entsprechen. Abloh, der durch seine Liebe zum DJing und Graffiti schon lange vor seiner Zusammenarbeit mit Kanye West fest in der Hip-Hop-Kultur verankert war, wurde zum Symbol für das Aufbrechen der weißen Elite der Modewelt – ähnlich wie Jay Z als erster Milliardär der Hip-Hop-Branche in der Musikindustrie Geschichte schrieb. Brachte Karl Lagerfeld 2012 die Jogginghose noch in Verruf, ist sie heute nicht zuletzt durch Abloh längst selbstverständliches It-Piece im High Fashion Segment. Davon zeugt etwa seine letzte Kollektion für Louis Vuitton, die von Oversize-Schnitten und Tracksuits geprägt ist und auf dem Runway musikalisch vom Rapper Tyler, the Creator begleitet wurde.

Image via sleek-mag.com

Virgil Abloh for Louis Vuitton AW22, Image via voguebusiness.com

Wie sie, gibt es noch viele weitere Beispiele für Insignien verschiedener Gegen- und Subkulturen, die sich ursprünglich gegen vorherrschende Machtverhältnisse positionierten und deren Ästhetik dann zum globalen Massenphänomen avancierte. Doch welche Umstände führen zu einer derartigen Verschmelzung von Subkultur und Mainstream? Und zeugen sie wirklich von genuinem Interesse an Inklusion oder handelt es sich lediglich um ein geschicktes Marketing-Kalkül von Menschen in Machtpositionen?

Zwischen Schwellenabbau und Tribut

Der Erfolg von Ablohs Off-White Kollektionen in den späten 2010er-Jahren und damit auch der Start seiner Karriere fiel mit einer Verschiebung von Modeströmungen zusammen: Statt maßgeschneiderter Mode stieg die Nachfrage nach Streetwear – auch im Sektor der Luxusmode. Die sogenannte Street-Culture, zu der auch die Hip-Hop-Bewegung gehört, erfährt im 21. Jahrhundert einen enormen Aufschwung. Nicht nur in der globalen Mode- und Musikindustrie: Auch als „Mindset” wird die Street-Culture romantisiert und appropriiert. Denn eigentlich wurde der Begriff mit einer strukturell ausgeschlossenen, kriminalisierten und oft Schwarzen oder lateinamerikanischen Bevölkerungsklasse assoziiert. Ob das zu einer Verschiebung von Machtverhältnissen führt oder die kapitalistische Vermarktung eher ein Paradebeispiel für kulturelle Aneignung ist, bleibt dahingestellt – klar ist: Abloh wurde zu einer Ikone mit dem Slogan „jede*r kann es schaffen” stilisiert. Er baute Schwellen ab und veränderte den homogenen Modekanon. „Durch die Präsentation reiner Streetwear im Rahmen einer Modenschau brach Ablohs Off-White den Damm zwischen dem Elfenbeinturm der Mode und den scheinbar gegensätzlichen Formen des Sneakerhead-Denkens auf der Strasse”, schrieb die Vogue 2022.

Virgil Abloh for Off-White 2015, Image via vogue.com

Die in den Gemälden von Monica Ikegwu abgebildeten Personen scheinen, als wären sie den Streetwear-Kollektionen von Off-White entsprungen: auch sie präsentieren sich in Werken wie „Open / Closed” (2021) im Modestil, der den Ursprung in der Schwarzen Diaspora hat und jetzt zum Mainstream geworden ist. Der Künstlerin liegt die Repräsentation ihrer Community am Herzen: Sie wehrt sich gegen exotifizierende Darstellungen in der westlichen Kunst. In der Sprache der Hip-Hop-Kultur könnte man auch sagen: Ikegwu zollt ihrer Gemeinde Tribut, indem sie deren Mitglieder selbstbewusst zeigt und würdigt. Der eurozentrische und weiße Kanon der Kunstgeschichte soll überholt werden. Ein wichtiges Anliegen, das sich auf andere Weise auch bei Arthur Jafa zeigt. Bevor Jafa international als bildender Künstler erfolgreich wurde, arbeitete er als Musikvideokünstler für den zuvor erwähnten Milliardär, Jay Z. In seiner Kunst beschäftigt er sich mit der Präsentation von Lebensrealitäten unterdrückter Minderheitsgruppen und der Kritik an der rassistischen Ideologie der "White Supremacy" [weißen Vorherrschaft].      

Monica Ikegwu, Open/Closed, 2021, Courtesy der Künstlerin und Galerie Myrtis, © Monica Ikegwu
Auch du wirst gesehen und repräsentiert

Was die hier vorgestellten Künstler*innen vereint, ist neben der Hip-Hop-Kultur als Inspirationsquelle und ihrer Teilnahme an der SCHIRN-Ausstellung, die Erfahrung, Schwarz und von struktureller Ungerechtigkeit betroffen zu sein. Sie wuchsen in der Subkultur der Black Communities auf und repräsentieren diese nun mit Stolz. Hip-Hop ist Sprache und Ausdruck einer Generation und Gemeinschaft, die sich – ganz im Sinne der zuvor erwähnten Definition von Subkultur – über gemeinschaftliche Erfahrungen miteinander identifizieren kann und gesellschaftlichen Normen entgegensetzt. Es geht um das gemeinsame Wissen: Ich bin nicht allein.

Wenn die Subkultur es in die Hochburg der Kunst „schafft”, ist das trotz des niemals ganz auszuschließenden Verdachts auf kulturelle Aneignung oder Tokenismus – also der symbolischen Geste der Inklusion ohne reale Auseinandersetzung mit der Beseitigung struktureller Diskriminierung – von Seiten der Institutionen, vor allem eine wichtige Botschaft an die eigene Community: Auch du wirst gesehen und repräsentiert. Ein positiver Vorbote ist die Integration von Subkultur in den Mainstream somit allemal. Denn die Elite verliert nach und nach ihren exklusiven Machtanspruch auf das Bestimmungsrecht von Zugehörigkeit und Ausschluss. 

Arthur Jafa, Love Is the Message, The Message Is Death (4 stills), 2016. 

©ARTHUR JAFA/COURTESY GAVIN BROWN’S ENTERPRISE, Image via artnews.com

THE CULTURE. HIP-HOP UND ZEIT­GE­NÖS­SI­SCHE KUNST IM 21. JAHR­HUN­DERT

29. FEBRUAR – 26. MAI 2024

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