Gelangweilt von den immer gleichen Weihnachtsfilmen? Hier sind einige der schönsten und verrücktesten Experimentalfilme für die Feiertage.

Nichts ist mainstreamiger als ein Weihnachtsfilm – oder? Schon allein das Wort beschwört das Bild einer Familie herauf, die sich, mit vollem Bauch auf dem Sofa räkelnd, einen Feel-Good-Hollywood-Movie ansieht, der ein größtmögliches Publikum ansprechen soll. Das Genre selbst geht zurück auf den „Weihnachtstraum“ von Georges Méliès (1900), und viele der alten Klassiker haben nach wie vor Bestand (ich zum Beispiel habe eine Schwäche für Frank Capras „Ist das Leben nicht schön?“). Immer wieder aber wurden die Konventionen unterlaufen, unter anderem durch gruselige Animationsfilme wie Tim Burtons „The Nightmare Before Christmas“ oder die schwarze Komödie „Bad Santa“. Und dann gibt es noch Festtagsgenüsse für diejenigen von uns, die experimentelle Filme auf ihre Weihnachts-Wachtlist setzen und Freund*innen und Familie damit im Laufe der Jahre verblüfft haben – hier sind fünf meiner Favourites.

Donna Reed und James Stewart in „It's a Wonderful Life“ ("Ist das Leben nicht schön?') © imago stock&people, Image via deutschlandfunk.de

1. Władysław Starewicz: „Weihnachten der Insekten“, 1913

Der russisch-polnische Filmemacher Władysław Starewicz war ein Pionier der Stop-Motion-Animation und hat als Erster Puppen in seinen Werken eingesetzt. Sein Interesse an der Entomologie veranlasste ihn auch zur Verwendung von Insekten in mehreren Filmen, unter denen „Weihnachten der Insekten“ das anrührendste ist. Darin treten die hinreißenden Puppenfiguren des Weihnachtsmannes und eines Frosches auf, doch die eigentlichen Stars des Films sind die Insekten, die nach dem Verteilen der Geschenke in einem so fröhlichen wie meisterhaft choreographierten Waldfest Ski fahren und Schlittschuh laufen. Noch nie waren Kakerlaken niedlicher!

2. Bořivoj & Karel Zeman: „Ein Weihnachtstraum“, 1946

Der tschechische Trickfilmer Karel Zeman war ein würdiger Nachfolger von Starewicz, und seinen liebevoll gefertigten Puppen ist in Prag ein gesamtes Museum gewidmet. In seinen Spielfilmen kombinierte er Animation mit Live-Action – und das in einer Technik, die er in diesem zusammen mit seinem Bruder Bořivoj gedrehten Kurzfilm entwickelt hat. Das Konzept ist bekannt: Ein kleines Mädchen freut sich (und ist zeitweise auch beunruhigt), als seine alten Spielsachen zum Leben erwachen. Denn sie hoffen darauf, nicht beiseitegelegt zu werden, weil das Mädchen lieber mit den neuen Geschenken spielt. Die Kinderdarstellerin ist namentlich nicht bekannt, interagiert aber perfekt mit der Klavier spielenden und einen Teller drehenden Puppe. Der Film wurde mit so großem Charme und so viel Anmut gedreht, dass er bei den Filmfestspielen in Cannes prompt mit dem damals erstmals vergebenen Preis für den besten Trickkurzfilm ausgezeichnet wurde.

3. Gregory Markopoulos: „Christmas U.S.A.“, 1949

Markopoulos’ Film ist weniger familientauglich als die zuvor genannten Animationsfilme (wobei es davon abhängt, welche Familie man hat), denn mit Weihnachten hat er nicht allzu viel zu tun. Und im Gegensatz zu den anderen Filmen auf dieser Liste sieht er auch nicht nach Weihnachten aus: Weder Bäume noch Weihnachtsschmuck, weder Schnee noch Eis kommen darin vor. Für eine queere Person aber „fühlt“ er sich nach Weihnachten an: Die Enge des kleinstädtischen Familienlebens ist hier besonders repressiv gezeichnet, und der Wunsch des Protagonisten, ihr zu entkommen, wird trotz des Mangels an Worten sehr deutlich. Der ritualistische Höhepunkt des Films ruft freilich christliche Bilder auf, wenn der Hauptdarsteller unter einer Straßenüberführung einem Mann begegnet, der in Heiligenpose die Arme ausbreitet und ihm hilft, sein unterdrücktes Begehren zu erkennen und ihm nachzugeben. Was mehr könnte man sich zu Weihnachten wünschen?

4. Kurt Kren: „O Tannenbaum“, 1964

Der rasante Dokumentarfilm der österreichischen Avantgardefilm-Legende Kurt Kren steuert etwas mehr Weihnachtsstimmung bei als Markopoulos, denn immerhin kommt der titelgebende Baum in ihm vor – dafür ist der Film sexuell weitaus expliziter und behandelt eine „Materialaktion“ von Otto Muehl. Die um einen Tannenbaum kreisende „Aktion“ besteht darin, Fleisch zu zerschneiden, es mit weihnachtlich anmutender roter und grüner Farbe zu bestreichen und anschließend den eigenen nackten Körper sowie den einer Frau damit zu dekorieren. In schwindelerregendem Tempo setzt Kren Schnitte zwischen dem Baum, dem Fleischstücken und den Performer*innen – in einer brillanten Darbietung seines unverwechselbaren Stils. Neben „Christmas on Earth“ (1963), Barbara Rubins Aufzeichnung einer Orgie, ist dies gewiss der viszeralste Weihnachtsfilm, mit dem man aufwarten kann – erwarten Sie aber nicht, ihn unter den TV-Tipps für die Feiertage zu finden...

Kurt Kren: O Tannenbaum, 1964, Image via mubi.com

5. Peter Tscherkassky: „Happy-End“, 1996

Seine charakteristische Verwendung von Found Footage, also bestehendem Filmmaterial, rückte Peter Tscherkassky ins Zentrum einer neuen österreichischen Avantgarde, die eine Generation nach Kren, Peter Kubelka und VALIE EXPORT hervortrat, und „Happy-End“ ist eines der besten Beispiele für seinen Stil. Der Film zeigt ein österreichisches Ehepaar beim Weihnachtsessen und schließt mit Aufnahmen einer tanzenden Frau, die unvermittelt in der Bewegung erstarrt, wobei ihr Gesichtsausdruck auf die Leere hinter den Feiertagsritualen verweist. Tscherkasskys Neuarrangement, unterlegt mit der bissigen Verfremdung des Songs "Chocolat“ durch den Komponisten Michel Chion, geht es darum, das Ausgangsmaterial ad absurdum zu führen: Eine an Jan Švankmajer erinnernde Stop-Motion-Sequenz, in der sich ein Tisch mit Flaschen füllt, schafft eine starke assoziative Verbindung zwischen dem österreichischen Bürgertum und unverantwortlichem Überfluss. Im Rückverweis auf Méliès und Starewicz erinnert sie uns zudem daran, dass die Befremdlichkeit der Feiertage gerade für den Animationsfilm faszinierende kreative Möglichkeit bereithält.

Peter Tscherkassky, Happy-End, 1996, Still © Peter Tscherkassky / sixpackfilm