Melanie Jame Wolf, The Creep (Filmstill),

DOUBLE FEATURE

Das Double Feature versteht sich als Plattform für verschiedene Strömungen und Ausdrucksformen der Film- und Videokunstproduktion. Seit mehr als acht Jahren lädt die SCHIRN nationale und internationale Film- und Videokünstler*innen ein, ein Werk aus ihrem eigenen Schaffen zu präsentieren, gefolgt von einem Film ihrer Wahl. In der SCHIRN wurden bereits Filme und Videoarbeiten von über 60 Künstler*innen gezeigt. Die Videos und Gespräche mit den bisher beteiligten Künstler*innen sind über den YouTube-Kanal der SCHIRN unter dem Titel "Video Art" abrufbar. Auch das SCHIRN MAGAZIN liefert regelmäßig diskursive Beiträge mit redaktionellem Schwerpunkt Videokunst zur Double Feature-Reihe.

Double Feature versteht sich als Plattform für ganz unterschiedliche Tendenzen und Ausdrucksformen der künstlerischen Filmproduktion

ALICJA WYSOCKA

Alicja Wysocka, geboren in Polen und Absolventin der Hochschule für Bildende Künste Städelschule in der Klasse von Haegue Yang in Frankfurt am Main, Deutschland, konzentriert sich in ihrer Praxis auf die Dokumentation und Schaffung alternativer Wirtschaftsmodelle, Gemeingüter und gemeinschaftlicher Formen des Zusammenlebens. Wysocka produziert ortsspezifische Videoinstallationen, Objekte und Situationen und erforscht Handwerk, Ritual und kollaborative Formen, die potenziell als kollektive therapeutische Erfahrungen funktionieren. In "Untitled (Nothing Happens)" (2023, 60 Min.) stellt Alicja Wysocka einem Chatbot die Frage: "Bist du gelangweilt?" Darauf antwortet der Bot: "Als KI-Sprachmodell empfinde ich Langeweile nicht wie Menschen." Ihr neuer Film erforscht das Potenzial von Langeweile. Pensionierte Freundinnen kommen zusammen, um Handspiele in einer sich drehenden Teetasse zu spielen. Die Struktur des Films konzentriert sich auf die Dynamik der Gruppe, während sie auf engem Raum über eine lange, leere Zeit eingeschränkt ist. Die Teetasse stammt von der Societe Ceramique, einem Keramikunternehmen, das von 1863 bis 1958 in Maastricht gegründet wurde und dessen Produktionsbetrieb mit der Ausbeutung lokaler Bevölkerungen verbunden war. Der Film greift auf sentimentale Erinnerungen an Vergnügungsparkfahrten zurück und ruft die Zeitlichkeiten von Produktivität und Arbeit hervor, die unser Leben regeln.

Alicja Wysocka, Untitled (Nothing Happens), Filmstill, 2023, Courtesy of the Artist

JOHANNA BILLING

Johanna Billing untersucht in ihren Videoarbeiten, welche Faktoren zwischenmenschliche Handlungen und Entscheidungen beeinflussen und insbesondere, welche Rolle dabei den unvorhersehbaren Momenten zukommt. Ausgangspunkt von Billings Arbeiten ist meist ein Dialog, in dem die beteiligten Personen ihre Rolle innerhalb einer Gruppe durch Performance und Improvisation erkunden. In der SCHIRN präsentiert die Künstlerin ihren Film „Each Moment Presents What Happens“ (2022, 27 Min.), der die experimentelle Praxis des US-amerikanischen Komponisten und Künstlers John Cage (1912–1992) mit einer Gruppe von Studierenden zur Neuanwendung bringt. Anlässlich der Eröffnung des neuen Zentrums der darstellenden Künste der Bristol Grammar School greift Billing in dieser Arbeit John Cages Performance „Untitled Event (Theater Piece No. 19)“ auf, um gemeinsam mit den Studierenden Workshops zu entwickeln. Sie experimentieren mit einer Vielzahl von Fundstücken aus ihrer unmittelbaren Umgebung. Die nicht-hierarchische Lehrmethode setzt dabei Vergangenheit und Gegenwart in Bezug und eröffnet einen multiperspektivischen Blick. Die Idee, dass die Erfahrungen eines Moments nie gleich sind, veranschaulicht Billing in „Each Moment Presents What Happens“ durch den Einsatz einer 360-Grad-Kamera anstelle eines Publikums. Durch das Einfügen von Szenen aus dem vorherigen Schulalltag thematisiert sie zudem die komplexe Art und Weise, wie Situationen im alltäglichen Leben choreografiert, Handlungen in Bezug auf andere ständig neu kalibriert und unsere Wissenssysteme organisiert werden.

Johanna Billing, Each Moment Presents What Happens (Filmstill), 2022, Courtesy of the Artist

ANITA DI BIANCO

Die amerikanische Künstlerin Anita Di Bianco (geb. 1970 in New York) arbeitet mit Film, Video und Printmedien. Ihre Kurzfilme verfolgen Strategien der Neu-Inszenierung von Werken bekannter Schriftsteller wie Winfried Georg Sebald oder Gertrude Stein und entstabilisieren so die Vorstellung einer unantastbaren Autorschaft. Analytisch die Textauswahl, puristisch die Bilder: Di Biancos Remakes machen verborgene Strukturen sichtbar und eröffnen neue Lesarten. Die Arbeit "Com Viet" re-inszeniert ein Interview mit der französischen Schriftstellerin Marguerite Yourcenar aus dem Jahr 1980. Yourcenar, die alle denkbaren Formen der unkonventionellen Liebe in der Literatur aufgespürt und auch experimentell geprüft hatte, forschte lebenslang nach Alternativen zum „großen inszenierten Gefühl“, das sie für einen Wesenszug der französischen Kultur hielt. Die entsprechenden Passagen aus dem Interview werden als Off-Stimme vor dem Hintergrund eines vietnamesischen Restaurants eingespielt und zum Teil von einem Schauspieler monologisch in den Räumlichkeiten des Berliner Münzsalons vorgetragen.

Anita Di Bianco, Com Viet (Filmstill), 2008, Courtesy the Artist

MELANIE JAME WOLF

Melanie Jame Wolf ist bildende Künstlerin und Choreografin. In ihren Arbeiten setzt sie sich u. a. mit den Themen Macht, Kapital und dem Showbusiness auseinander. In der Schirn präsentiert sie ihre jüngste Videoarbeit The Creep (2023, 15 Min.), die sie im Kontext einer multimedialen Installation schuf. Als Fortsetzung ihrer fortlaufenden „Creep Studies“ analysiert die Künstlerin in dem Werk die Dynamik zwischen Gewalt, Begehren und Performativität. In ihrer Arbeit konzentriert sie sich auf spezifische Performance-Techniken wie Imitation, Proben oder Stand-Up. In The Creep steht eine Cowboy-Figur im Mittelpunkt. Anhand der choreografierten Handlungen dieser Protagonist*in werden die vielschichtigen Definitionen und Erfahrungen von „creep“ – eines Gefühls, Substantivs und Verbs – untersucht. Visuell lehnt sich Wolf an eine hyperstilisierte Pop-Ästhetik an. Zudem verwendet sie in ihrer Arbeit Sprache und Humor als Mittel, um strukturelle Gewalt, Macht und alltägliche Spannungen zu hinterfragen.