Das Fotografie Forum Frankfurt würdigt den 2015 im Alter von 40 Jahren verstorbenen Künstler Sascha Weidner mit einer interaktiven Ausstellung.

Es beginnt mit Weiß. Eine verschneite Landschaft. In der Bildmitte – eine Figur, in einen schwarzen Umhang gehüllt, rätselhaft und hervorstechend. Weitere Landschaften, ein Hotelbett, eine beschädigte Glasscheibe – ist ein Stein durch sie geflogen? Die Fotografien von Sascha Weidner (1974-2015) wirken auf den ersten Blick wie Schnappschüsse, wie Momentaufnahmen. Sie zeigen reale Orte, Menschen und Dinge. „Alles ist wichtig. Kulturelles. Katastrophen. Klischees. Banales. Politisches. Alles wird mich prägen. Alles soll festgehalten werden“, sagte Weidner einmal über seine künstlerische Arbeit.

Eine seiner ersten Ausstellungen hatte Sascha Weidner, damals noch Student an der Hochschule für Bildende Kunst in Braunschweig, 2006 im „Art Foyer“ der Frankfurter DZ Bank. Luminita Sabau leitete zu dieser Zeit die DZ Bank-Kunstsammlung. Ihre Erinnerungen an Weidner, der im April 2015 überraschend starb, klingen bewegt: „Sascha hat alles mit dem Herzen gesehen.“ Er habe manchmal „den Eindruck eines Traumtänzers“ gemacht. Sabau spricht auch von der Melancholie, die Weidner ein Leben lang begleitet habe. „Bleiben ist nirgends“, „Last Song“: Weidners Ausstellungstitel trügen eine Todesahnung in sich.

Geordnet von hell nach dunkel

Nun hat Luminita Sabau im Fotografie Forum Frankfurt die Ausstellung „Was übrig bleibt“ kuratiert. Zu sehen sind 1001 Fotografien von Sascha Weidner, das sogenannte „Archiv I“. Die 13x13 beziehungsweise 13x18 Zentimeter großen Bilder sind wandfüllend an weißen Regalleisten aufgestellt. Die Fotografien sind nicht gerahmt. Auf der Rückseite ist jedes Bild nummeriert und vom Nachlass Weidners gestempelt. Geordnet sind sie nach einem Farbverlauf – von hell nach dunkel.

Sascha Weidner, o.T, © The Estate of Artist Sascha Weidner, Courtesy: Conrads, Düsseldorf

Eine gelbe Jacke liegt auf dem Asphalt. Ein Mikrofon vor einer holzvertäfelten, gelblich angeleuchteten Wand. Goldenes, herbstliches Laub. Übergang zum Hautton. Einiges wirkt intim. Nahaufnahmen unbekleideter Körper. Immer wieder auch: Fotos aus alten Familienalben. Idyllen. Eine rote Hauswand. Masten, Laternen und andere Häuser werfen darauf Schatten. Ein roter Vorhang. Blumen. Rücklichter, eine rote Ampel, aufgenommen durch eine verregnete Autoscheibe.

Das verborgene Duplikat

Es ist eine interaktive Ausstellung entstanden. Jeder Besucher darf sich eine Fotografie aussuchen und mitnehmen, wenn er eine schriftliche Begründung hinterlässt. So soll eine Textsammlung entstehen, aus der bei späteren Anlässen zitiert werden kann. Nun kommt die gegenüberliegende Wand ins Spiel. Dort wird das „Archiv II“ präsentiert – die gleichen 1001 Aufnahmen, mit dem Motiv zur Wand, geordnet nach Werkserien. Sobald ein Besucher ein Bild aus dem „Archiv I“ mitnimmt, wird das entsprechende verborgene Duplikat umgedreht und somit sichtbar gemacht.

Sascha Weidner, o.T, © The Estate of Artist Sascha Weidner, Courtesy: Conrads, Düsseldorf

Die Ausstellung wandelt sich dadurch. Lücken entstehen, zugleich werden neue Sichtweisen auf Sascha Weidners Werk eröffnet. „Er hat immer Konstellationen komponiert, die Bilder in einen Dialog gebracht“, erzählt Luminita Sabau. Das Konzept dieser Ausstellung erarbeitete Weidner schon 2009. Die Präsentation seiner Arbeiten hat er sorgsam geplant und konzipiert. Der Titel der Schau provoziert zugleich eine Frage. Was bleibt am Ende übrig? Eine leere Wand auf einer Seite? Gut möglich.

Das Leben eine Pralinenschachtel

Die Filmemacherin Gerdine Frenck hat 2009 ein Kurzporträt von Sascha Weidner gedreht – ein Making-of der Braunschweiger Ausstellung „Was übrig bleibt“. Deren Konzept glich der jetzigen Frankfurter Schau. Gleichwohl sind bis 2015 neue Aufnahmen hinzugekommen. „Das Leben ist wie eine Pralinenschachtel – man weiß nie, was drin ist – auch in Ausstellungen“, sagt Weidner in dem Film.

Sascha Weidner, Ausschnitt II, 2006, © The Estate of Artist Sascha Weidner, Courtesy: Conrads, Düsseldorf

Grün. Viel Wiese, Wald und Laub. Ein junger Mann mit nacktem Oberkörper in einem grünlich schimmernden Gang. Übergang zu Türkis und Blau. Ein Auto auf einem leeren Parkplatz vor der Hochhauskulisse von Los Angeles. Wasser. Meer. Eine Qualle schwimmt durch das Bild. Ein junger Mann an der Meeresküste, vom Betrachter abgewandt. Blau schimmernde Neonröhren. Es wird dunkler. Abendstimmungen, Grau des Asphalts, Schwarz der Nacht. Eine Straßenkreuzung im schwachen Laternenlicht. Zigarettenrauch vor intensivem Schwarz. Die Reise endet.