Das Nichthörbare hörbar zu machen, ist kein Ding der Unmöglichkeit. Das beweist der Künstler und Architekt Christos Voutichtis mit einer ausgetüftelten Installation. Ein Soundcheck im Hubschrauberhangar.

 „Lasst uns erst einmal draußen in der Sonne bleiben. Drinnen kann es ganz schön kalt werden“, sagt Christos Voutichtis. Im Winter ist er einige Male krank gewesen, obwohl er in seinen Stiefeln drei Paar Socken übereinander trug. Seinen ungewöhnlichen Arbeitsplatz findet er trotzdem prima. „Hier habe ich jede Menge Platz.“

Wir befinden uns auf dem Alten Flughafen in Bonames. Früher wurde er von der US Army betrieben. Heute hat das Gelände Parkcharakter. Statt Flugzeuge steigen Drachen an der Schnur in den Himmel. Den Wind, der uns um die Nasenspitzen weht, machen sich Skater zunutze, die sich einige Meter von uns entfernt auf ihren Longboards über die stillgelegte Start- und Landebahn treiben lassen. Wenn nicht gerade Corona ist, veranstaltet die „Aeronauten Werkstatt“ in einem ausgemusterten Hubschrauberhangar Sommerkurse für naturwissenschaftlich interessierte Kinder. „In den Wintermonaten hatte ich das Privileg, den Raum zu nutzen“, erzählt Voutichtis, bevor er uns mit Kaltgetränken versorgt und sich mit flinken Fingern eine Zigarette dreht.

Wie nimmt man das Nicht-Hörbare auf?

Mitten im Hangar steht ein Rollwagen, der mit einem Mischpult, einem Verstärker und einem Synthesizer beladen ist. Daneben befinden sich wuchtige Boxen. Eingerahmt wird das Ganze von einer Gruppe selbstgebauter Antennen, die auf hohe Stative montiert sind. Der Aufbau erinnert auf den ersten Blick an das Set-Up eines DJs. Was Voutichtis hier macht, lässt sich in weitestem Sinne als Fieldrecordings bezeichnen – bloß, dass er es auf Phänomene abgesehen hat, die für menschliche Ohren nicht hörbar sind. Normalerweise.

Foto: Neven Allgeier

Mit Hilfe der Antennen fängt Voutichtis elektromagnetische Wellen ein – aber zum Beispiel auch Signale aus dem Infra- und Ultraschallbereich. Die Wellen verwandelt er in Sound. Zusätzlich werden die Klänge von einem selbstentwickelten Computerprogramm in abstrakte Graphiken übersetzt und auf einem Bildschirm gezeigt. Tiefe Töne erscheinen dunkel, hohe Töne hell. „Architektur im virtuellen Raum“, nennt er das.

Voutichtis ist diplomierter Architekt. Insgesamt zehn Jahre lang war er Mitarbeiter in verschiedenen Architekturbüros. Zu den Projekten, an deren Umsetzung er beteiligt war, gehören Räume für Künstler*innen in einem ehemaligen Bunker gegenüber dem Atelier Frankfurt. „Ich habe aber bereits im Studium gemerkt, dass ich meine Vision von Architektur nicht umsetzen konnte“, erzählt er. „Ich wollte mich in meinen Möglichkeiten nicht von den engen Grenzen limitieren lassen, die mir das Baugesetzbuch setzt.“ An der Offenbacher Hochschule für Gestaltung begann er ein zweites Studium. Mittlerweile hat er dort einen Lehrauftrag und unterrichtet „Bildnerische Informatik.“

Ich wollte mich [...] nicht von den engen Gren­zen limi­tie­ren lassen, die mir das Bauge­setz­buch setzt.

Christos Voutichtis
Foto: Neven Allgeier

Wir betreten den Hangar. An einer der Wände lehnt ein Stahlkäfig, der noch bis vor kurzem am Rande einer Bahnstrecke im Frankfurter Ostend mit Spanngurten auf eine Werbetafel montiert war. „The Cage“ lautete der Titel dieser Installation. Vor Ort wurde sie mit kaltem, blauem Licht ausgeleuchtet, wie es an den Bahnhöfen einiger Städte benutzt wird, um Drogenkonsum in öffentlichen Toiletten zu vermeiden. „Ich wollte einen Ort schaffen, der für alles Schlechte steht, keinen Schutz bietet und menschliche Bedürfnisse radikal zurückweist“, erklärt Voutichtis.

Mit jedem Blitzlicht der Kamera ertönt ein Knacken aus den Boxen

Er schaltet sämtliche Geräte ein, die zu seiner Installation „Order of Sound“ gehören. „Das was ich mache, ist nicht ganz ungefährlich“, sagt er. „Im schlimmsten Fall können die Boxen durchbrennen.“ Es folgen wabernde Klänge, die mit etwas Phantasie auch von einem Didgeridoo stammen könnten. Hinzu kommen dunkel pulsierende Beats, ihr Rhythmus ähnelt dem eines Herzschlags. Als unser Fotograf Neven Allgeier beim Fotografieren mit seiner Spiegelreflexkamera das Blitzlicht auslöst, ertönt ein Klacken aus den Boxen. 

Foto: Neven Allgeier

„Mittlerweile sind wir fast überall auf der Welt von elektronmagnetischen Feldern umgeben“, erklärt Voutichtis. „Jeder Ort klingt anders. Ob ein Flugzeug darüber hinwegfliegt, jemand in der Umgebung eine SMS auf sein Handy bekommt oder im Nebenzimmer ein Lichtschalter betätigt wird: All diese Ereignisse beeinflussen das Klangbild.“ In den ersten Minuten klingt das Spektakel etwas unheimlich, wie der Soundtrack zu einem dystopischen Science-Fiction-Film. Aber je länger man sich auf die hypnotischen Klänge einlässt, umso mehr kann man sich darin verlieren und sie genießen. Ich fühle mich ein bisschen an Ambient Music erinnert, oder an Minimal Techno, wie er zum Beispiel vor der Pandemie in Clubs gespielt wurde.

„Ich mache keine Musik, sondern Sound“, sagt Voutichtis. Dieser Unterschied ist ihm wichtig. „Anders als ein DJ, der vorbereitete Samples abfeuert, trete ich in Dialog mit der Umwelt. Der Raum, in dem ich mich bewege, gibt etwas von sich preis. Der Zufall spielt dabei eine große Rolle. Meine Aufgabe besteht darin, bestimmte Signale zu verstärken und andere abzuschwächen, um so für ein ausgewogenes Hörerlebnis zu sorgen.“ Mit sechsstündigen Live-Performances will er die unterschiedlichsten Orte bespielen. „Eine Wüste zum Beispiel, oder eine vulkanaktive Insel – das wäre toll. Mein Equipment ist so konzipiert, dass es in ein Hardcase passt.“ Premiere ist Mitte Mai in der Frankfurter Katharinenkirche. Insgesamt drei Termine sind dort geplant.

Ich mache keine Musik, sondern Sound.

Christos Voutichtis
Foto: Christos Voutichtis
Live Performance

Order of Sound

Katharinenkirche Frankfurt, 10-12.5.2021, 21 Uhr, Einlass (kostenlos) nur nach vorheriger Anmeldung

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