Mit diesen Worten beginnt eine von mehreren Dia-Schauen, die Ulay angefertigt hat. Sie zeigen die Weltsicht eines begabten Geschichtenerzählers – dem seine Protagonisten wichtiger sind als die eigene Nabelschau.

1972 in Amsterdam: Ulay ist seit vier Jahren in der Stadt, als ihm auf der Straße ein sonderbares Paar begegnet. Ein älterer Herr mit langem Bart und ein jüngerer mit Schnauzer, die mit einer altmodischen Straßenorgel umherziehen, ziehen seine Aufmerksamkeit auf sich. Aus dem prachtvoll verzierten Musikinstrument tönt traditionelle, niederländische Folklore, die über gestanzte Pappbänder  abgelesen und in Melodien übersetzt wird – eine der simpelsten und zugleich faszinierendsten Möglichkeiten mechanischer Musikproduktion. Ulay lassen die beiden seltsam aus der Zeit gefallenen Herren nicht los, und er beginnt sie zu "stalken", wie er selbst das nennt.

Er folgt den beiden durch die Straßen Amsterdams, auf denen die parkenden Autos erst auf dem letzten Millimeter vorm Wasser Halt machen, auf ihr Hausboot im Kanal der Prinsengracht: Kein typisches Wohnboot, sondern ein alter, umgebauter Industriekahn. Er stellt sich den beiden vor, besucht sie öfter, sie freunden sich bei vielen Bieren an (Bier scheint wichtig zu sein, Ulay erwähnt sich auch an anderer Stelle immer wieder gern). Es sind Vater und Sohn, die hier im trutschig eingerichteten Kahn mit Hollandmühlen aus Porzellan und übervollen Bilderwänden wohnen und die tagsüber für eine Handvoll Gulden mit der Orgel über die Straßen ziehen.

Das gute Leben zelebrieren

Als einzigen Exzess leisten sie sich die gelegentlichen Lottospiele – 1973 knacken sie den Jackpot einer deutschen Lotterie und gewinnen umgerechnet rund eine Million Gulden, heute etwa 500.000 Euro. Ulay macht eine kurze Pause, ganz im Märchenduktus: „Both were rich, father and son.“ Er dokumentiert das Leben der beiden in Schwarz-Weiß, vor und nach dem Lottogewinn, wie sie jetzt leicht amüsiert schicke karierte Anzüge anprobieren und ausgiebig gute Getränke in den Kneipen der Stadt goutieren – kurzum, das gute Leben zelebrieren.

ULAY. FATHER AND SON

Doch trotzdem, so fragt sich der Erzähler, was tun mit all dem Geld? Wenn man doch sein Leben eigentlich so wenig wie möglich ändern möchte? Das Happy-End folgt in Form einer speziellen Lösung, die sich Vater und Sohn ausdenken, und sie hat damit zu tun, das Leben von Besserverdienern mit einigem Ernst, aber eben doch: zu spielen. Ob das gewonnene Geld hierdurch adäquat ausgegeben werden konnte oder nicht, spielt für die Geschichte dann eigentlich keine Rolle mehr: Wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie vermutlich noch heute glücklich auf ihrem alten Kahn.

Was im Kunstbetrieb so hinten rüber fällt

„Father And Son. The Story of A Million. Master And Servant” nennt Ulay seine Slideshow, die er als eine von mehreren aus eigenen Fotografien und nachträglicher Erzählung angefertigt hat. In ihnen verhandelt der Künstler das, was beim üblichen Arbeiten im und für den Kunstbetrieb so hinten rüber fällt: Kleine Beobachtungen, die nicht von weltumwälzender Brisanz sind oder die sich nicht so leicht zu Verkaufswerten verwursten lassen. Aufzeichnungen eigener Arbeiten, die sonst eher fürs Archiv oder für die eigene Nachbearbeitung eine Rolle spielen (auch wenn dokumentarisches und archivarisches heute zum stellenweise schon arg gehypten Medium geworden ist). Und nicht zuletzt wohl auch das, was man das ganz normale Leben nennt – je nach Künstler mal mehr, mal weniger, aber sicher nur in wahlweise Wunschtraum oder Horrorvorstellung völlig in der eigenen Arbeit aufgehend.

Auch eigene Kunst-Aktionen dokumentiert Ulay aus Erzähler-Perspektive; Aktionen, die eben nicht bereits vollumfänglich aufgezeichnet und in verschiedenen Versionen im Netz nacherzählt wurden. Wie die Live-Ins über die „Festung Europa“ oder eine, die er unter dem Titel „Home Less Home“ zusammenfasst: 1996 wird Ulay eingeladen, an dem Projekt „should i stay – should i go“ teilzunehmen – eine Wander-Ausstellung in einem von elf Wohnwagen, das Gefährt reichlich „shitty“ und dem Erzähler folgend vermutlich vom Schrottplatz, als eine Art fahrender Künstler. Er entscheidet sich, die Behausung von einem Obdachlosen bespielen zu lassen, den er in Amsterdam kennengelernt hatte: Sein Hausboot war gesunken, seitdem lebte er auf der Straße respektive in einer Bar, in der er viele, viele Biere trank und den Deckel mit eigenen Zeichnungen bezahlte.

Hörbar gerührt

Doch auch hier gibt es ein Happy-End, das über jene Hoffnung einer temporären Behausung hinausgeht: wenn der Protagonist sich in den wechselnden niederländischen Städten, an denen die Wohnwagenburgen aufgestellt werden, zum Publikumsmagneten und von vielen Menschen „und Hunden“ besucht wird – nicht nur seiner Geschichte wegen, die bald über TV und Presse verbreitet wird, sondern auch wegen der Malereien und Kunstwerke, die er hier quasi anstelle des eingeladenen Künstlers anfertigt. Ulay versteht sich derweil als sein Guide und Compagnon, und als solcher kann er umfassend fotografieren und dokumentieren. Die landesweite Aufmerksamkeit verschafft dem Wohnwagenbewohner auf Zeit schließlich ein neues Hausboot, das er nach der Aktion beziehen kann. Der eingeladene Künstler indes bedankt sich am Schluss, hörbar gerührt, für die gemeinsame Zeit bei seinem Freund.

Man kann sich fragen, ob es nicht eigentlich diese kleinen Narrationen sind, die als Amalgam für Ulays Werk (der Begriff „Gesamtkunstwerk“ belustigt ihn) funktionieren – währenddessen, nachträglich, eher ausschmückend als nüchtern dokumentierend. Dabei natürlich nicht zuletzt auch der Narration der eigenen Biografie folgend, die sich in der Art und Weise, wie erzählt wird, welche Zusammenhänge und Schlüsse gezogen werden, widerspiegelt. Wobei Ulays Slideshows natürlich von einem starken Erzähler handeln, der hier und da Kunstpausen macht, Sätze betont und wiederholt, etwas über sich selbst verrät. Und trotzdem: Dabei die Protagonisten vor die eigene Nabelschau stellt. Dem Performer und Fotografen sollte man definitiv noch einen Geschichtenerzähler hinzufügen.