Die Künstlerin Rosa Barba arbeitet ausschließlich mit vermeintlich veralteter analoger Filmtechnik. Doch dafür gibt es gute Gründe und sehr prominente Mitstreiter.
Wer sich einmal ganz frei von Hast die Zeit nimmt und ein paar Augenblicke in der SCHIRN-Rotunde verweilt, wird schnell in den Bann gezogen sein von dem, was da vor sich geht. Rosa Barbas Installation „Blind Volumes“, die noch bis zum 8. Januar 2017 zu sehen ist, bietet allerhand, das Auge und Gehör erst einmal verarbeiten müssen: ein begehbares Labyrinth aus Metallstangen, einige Leinwände, zunächst merkwürdige Klanglandschaften, nun ein Schlagzeugsolo und dann schließlich noch diese mächtigen Apparaturen unterschiedlicher Größe, die den meisten zumindest aktuell noch bekannt vorkommen müssten. Auch wenn sich der Beruf des Filmvorführers so langsam verlebt, diese riesigen Filmvorführgeräte sind fest verankert im kollektiven Bewusstsein und in aller Regel ausschließlich positiv konnotiert: Film, Kino, Vergnügen, Glamour, Popcorn und vielleicht gar auch Kunst.
Vor dem Bankrott gerettet
Das schwarze Lebenselixier jener Filmprojektoren, das Filmmaterial, das beständig seine Runden vorbei an den diversen Spulen, Abnehmern und schließlich am Objektiv zieht, ist auch 2016, 128 Jahre nach den ersten Filmaufnahmen, trotz digitaler Aufzeichnungsmöglichkeiten nicht vollständig ausgestorben. Erst im letzten Jahr entschieden sich die großen Hollywoodstudios auf Druck einiger Blockbuster-Regisseure wie Christopher Nolan, J.J. Abrams, Quentin Tarantino oder Martin Scorsese, den letzten Analogfilm-Produzenten Kodak vor dem bevorstehenden Bankrott zu retten, indem feste Abnahmequoten für das Filmmaterial vereinbart wurden. Jeder, der einmal eine längere Unterhaltung mit einem Analogtechnik-Geek geführt hat – gleich ob es sich hierbei nun um Tonbandmaschinen, Schallplattenspieler, analoge Synthesizer oder aber Film- und Fototechnik drehte – , wird das Funkeln im Augen seines Gegenübers bezeugen können, das immer wieder auftaucht, wenn jener über die technischen Apparaturen spricht: von Magie ist da die Rede, gelegentlich trägt das Ganze auch obsessive Züge. Mitunter hat man das Gefühl, dass der Elektronik gar menschliche Eigenschaften zugesprochen werden, die niemand dem neuem iPhone, der Digitalkamera oder einer Bildbearbeitungssoftware zusprechen würde. Also alles nur Liebhaberwahn?

Abgesehen von eher trockenen technischen Details, beispielsweise dass eine 35mm-Filmkopie den Inhalt immer noch hochauflösender als eine aktuelle 4K-Filmdatei wiedergibt, ermöglicht die nicht zu leugnende Fehleranfälligkeit der analogen Technik kreative Möglichkeiten und Ausdrucksmittel, die sich jenseits nostalgischer Verklärung abspielen. Ähnlich wie in analogen Synthesizern elektronische Transistoren im Laufe ihrer Lebensdauer die Klangfarbe eines Oszillators oder Filters stark beeinflussen oder die eigentlich fehlerhafte Verzerrung der Audioquelle bei der Aufnahme auf Tonband eine für das menschliche Ohr angenehme Klangfarbe hinzufügt, so besitzt auch das Filmmaterial unzählige potentielle Fehlerquellen, welche die im technischen Sinne perfekte digitalen Produktion nicht beinhaltet. Hinzu kommt, dass der Mensch mittels mechanischer oder chemischer Eingriffe hier direkt Einfluss nehmen, also weiter modifizieren und alternieren kann. Unzählige digitale Emulatoren, die in Foto-, Film- und Musiktechnik analoge Technik nachzubilden suchen, zeugen von der Wichtigkeit jener vermeintlichen Fehler.
Fachwissen vorausgesetzt
Die materielle Präsenz der analogen Technik allein kann so schon kreative Schaffungskonzepte fördern: so berichtete etwa Rosa Barba dem SCHIRN MAGAZIN bei einem Studiobesuch, wie „die Schwere der Kamera“ einen wichtigen Anteil ihres Arbeitsprozesses ausmacht. Die Limitierung des Umsetzbaren bei der Arbeit mit analoger Technik kann mitunter als Strukturgeber dienen, die unbegrenzten Möglichkeiten des digitalen Tabula rasa hingegen können dem kreativen Prozess in die Quere kommen, immer wieder bei Stunde Null beginnend. Gleich dem Maler, der als Ausgangsmaterial verschiedene Farbtöne und gewisse Oberflächenstrukturen zur Nutzung hat, die immer schon eine Auseinandersetzung mit dem Material und deren Limitierung selbst mit sich bringen, so muss der analoge Filmemacher Lichtsetzung, zeitliche Länge des Filmmaterials und zu nutzende Objektive berücksichtigen oder dies bewusst nicht tun – die Beschäftigung hiermit wird ihm jedoch aufgezwungen. Stark verkürzt ist dem digital Schaffenden, entsprechendes Fachwissen vorausgesetzt, ausschließlich Rechenleistung als Grenze gesetzt – wobei auch diese als begrenzender Faktor mehr und mehr in den Hintergrund tritt.

So ist es nur folgerichtig, dass dem technischen Ausgangsmaterial in der Filmkunst auch selbst eine gewichtige Rolle zukommt. Sei es das unbelichtete Filmmaterial oder der -Projektor, die prominente Rollen in Rosa Barbas Installationen einnehmen, seien es die Bemalung, Malträtierung oder Zerstörung des Filmmaterials bei sogenannten kameralosen Filmkünstlern à la Stan Brakhage oder aber die Manipulation jenes durch Doppelbelichtung oder Abspielgeschwindigkeit der Wiedergabe. Die Alleinherrschaft der analogen Technik ist ein für alle Male gebrochen und nicht mehr zeitgemäß: Zu voraussetzungsreich im finanziellen wie auch handwerklichen Sinne ist ihre Nutzung, zu vorteilsreich ist die digitale Technik in pragmatischer Hinsicht als auch in Anbetracht der Tatsache, dass sie eine absolute Demokratisierung der Produktionsmöglichkeiten darstellt. Die analoge Technik nur noch nostalgischen Technik-Geeks zu überlassen käme de facto einer Musealisierung gleich und bedeutete gleichermaßen ein nicht zu unterschätzendes Aufgeben von künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten. In diesem Sinne: Thanks, Hollywood, for saving film.


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