Die Werke von Rudolf Kalvach sind von einer eigentümlichen Mischung aus Mythologie, Groteske und persönlichen Anspielungen durchzogen, über seinem Leben schwebte bedrohlich ein düsterer Schatten.

1883 als Sohn eines böhmischen Eisenbahnfahrers geboren, wurde Rudolf Kalvach 1900 als Schüler an die Kunstgewerbeschule des k.k. Österreichischen Museums für Kunst und Industrie aufgenommen, wo er zunächst die Vorbereitungsklasse für figurales Zeichnen von Alfred Roller besucht. Es folgt das Studium der Malerei in der Klasse von Felician von Myrbach, später bei Koloman Moser und Carl Otto Czeschka. Mit diesen Lehrern befindet sich Rudolf Kalvach unmittelbar im Mittelpunkt der Wiener Secession, die sich damals auf dem Höhepunkt ihrer kurzen Existenz befindet.

1897 u.a. von Gustav Klimt, Koloman Moser und Josef Hoffmann gegründet, hatte sich diese Vereinigung bildender Künstler zum Ziel gesetzt, sich von dem konservativen Kunstbegriff des bis dato vorherrschenden Wiener Künstlerhauses zu lösen und eine neue Definition zu erschaffen. Doch 1905 kommt es zum unauflösbaren Streit zwischen den Verfechtern des „Naturalismus“ und den Befürwortern einer geometrisch-dekorativen Flächenkunst – woraufhin letztere „Stilisten“,  zu denen auch Gustav Klimt und Kolo Moser gehören, aus der Secession austreten.

Wiener Werkstätte und Neukunstgruppe

Rudolf Kalvach, jung und begabt, erfährt große Inspiration durch die „Stilisten“ und entwickelt in den Jahren kurz nach der Jahrhundertwende einen eigenen, markanten Stil. Rückblickend sind es die Jahre von 1903 bis 1910, die nicht nur eine Umwälzung in der Wiener Kunstwelt bedeuteten, sondern auch den Höhepunkt im Schaffen des Künstlers markieren: Nachdem seine in Schablonentechnik gestaltete Arbeit „Kinderspielwaren“ zwischen 1903 und 1904 in der "Fläche" erschienen war – einem von Myrbach, Moser, Hoffmann und Roller herausgegebenen Heft mit Arbeiten ihrer Studenten – folgt 1906 die Teilnahme an der Gruppenausstellung „Die Jungen“ in der Galerie Miethke, in der Kalvach ein Leporello mit Märchenmotiven zeigt.

Rudolf Kalvach, Leda mit dem Schwan, Postkarte Nr. 107 der Wiener Werkstätte, 1907 © Privatbesitz, Image via leopoldmuseum.org

Der Schritt in die Öffentlichkeit als Künstler ist getan und so ist Rudolf Kalvach einer der ersten und jüngsten Nachwuchskünstler, der für die Wiener Werkstätte engagiert wird. Koloman Moser und Josef Hoffmann – auch Hoffmann lehrte an der Wiener Kunstgewerbeschule – hatten die Wiener Werkstätten 1903 nach dem Vorbild des britischen „Art & Crafts Movement“ ins Leben gerufen: Alle Lebensbereiche des Menschen, von Arbeitsutensilien über Wohngegenstände bis hin zu Schmuck und Dekoration, sollten zu einem stilistisch stimmigen Gesamtkunstwerk zusammenfließen. Man stellte die qualitativ hochwertige Handarbeit der „seelenlosen“ Massenproduktion der Fabriken gegenüber und maß so dem traditionellen Kunsthandwerk einen größeren Stellenwert zu.

Die Frau als Mutter oder Femme Fatale

In den folgenden Jahren entwirft Kalvach 21 Postkarten und 3 Bilderbögen, später auch Emaille-Arbeiten, die in den Verkaufsräumen der Werkstatt und auf Festen verkauft werden. Während er sich bei den Entwürfen der ersten Postkarten noch an gängige Motive für Glückwunschkarten hält, lässt er in den folgenden Drucken seiner Phantasie freien Lauf: Fabelwesen, mythologische Gestalten, Traumsequenzen, surreales und groteskes finden ihren Weg auf die Karten. Eine der bekanntesten Postkarten, entstanden 1908, zeigt die aus der griechischen Mythologie stammende Leda mit Zeus, der sich ihr als Schwan nähert und sie später schwängert. Immer wieder finden sich archetypische Frauenfiguren in den Werken Kalvachs, sei es als Mutter, als Femme Fatale oder als kindliche Puppenfigur.

Rudolf Kalvach, Krampus mit Körben, 1908, Image via austria-forum.org

Meist nutzt Kalvach für seine Postkarten einen schwarzen Hintergrund, von dem sich die in Primärfarben gehaltenen Figuren abgrenzen – und schafft damit eine stilistische Handschrift, die sich merklich von den Werken anderer zeitgenössischer Künstler absetzt. In seinen Seminaren bei Carl Otto Czeschka und Bertold Löffler hatte sich Kalvach intensiv in die Erstellung von Holz- und Linolschnitten eingearbeitet, entwickelte jedoch später eine eigene Technik: Anstatt mehrere Druckstöcke übereinanderzulegen und so eine Mehrfarbigkeit zu erzeugen, druckte Kalvach Schwarz und kolorierte bei Bedarf nach. Für die Kunstschau in Wien entwirft er 1908 ein Werbeplakat – eines seiner bis heute bekanntesten Motive – welches enorme Ähnlichkeit mit dem für den gleichen Anlass entworfenen Druck von Oskar Kokoschka hat.

Eine Fußnote der Kunstgeschichte

Als „Zwillingswerke“ werden die beiden Bilder damals bezeichnet und man diskutiert darüber, wer hier von wem abgeschaut hat oder ob es sich gar um eine verabredete Zusammenarbeit der beiden Künstler handelte. Kokoschka und Kalvach hatten sich an der Wiener Kunstgewerbeschule in der Klasse von Alfred Roller kennengelernt und es ist nicht allzu abwegig, dass der drei Jahre ältere Kalvach seinen Kommilitonen Kokoschka mit seinem Können inspirierte – doch dies bleibt eine Fußnote der Kunstgeschichte, die heutzutage meist zugunsten des vielfach bekannteren Expressionisten Kokoschka ausgelegt wird.

Rudolf Kalvach, Inspiration, 1907, Image via austria-forum.org

Obwohl Rudolf Kalvach während seines Studiums an der Wiener Kunstgewerbeschule seinen eigenen Stil ausgearbeitet hat und sich damit weitestgehend erfolgreich vermarktet, unterstützt er seinen Bekannten Egon Schiele 1909 bei der Gründung der „Neukunstgruppe“, in der sich frisch examinierte Studenten der Kunstschule von den Fesseln der Akademie zugunsten einer neuen Ausdrucksart lösen wollen. Während die Secessionisten, die die Unterrichtsstruktur der Kunstschule weitestgehend beeinflusst hatten, florale und verschnörkelte, an den Jugendstil angelehnte Motive bevorzugten, wandte sich die Neukunstgruppe bodenständigeren Motiven zu.

Eine gewisse Schwermut

Wann die wohl bekannteste Arbeit von Rudolf Kalvach – das „Triester Hafenleben“ - entstand, ist zeitlich nicht genau festzulegen, da Kalvach seine Werke nie datierte. Erste Entwürfe der Szene, die Kalvach in insgesamt 16 bekannten Holzschnitten immer wieder in kleinen Details variierte, entstanden um das Jahr 1907 herum; 1908 waren zwei Holzschnitte mit der Hafenszene in der Kunstschau in Wien zu sehen, der Stadt, in der er wohnte. Mit Triest hingegen verband ihn ein anderes persönliches Band, denn hier lebte seine Familie, hierher reiste er immer wieder und ließ sich von den Szenen am Triester Hafen inspirieren. Im Gegensatz zu seinen, durch die Primärfarbigkeit eher „fröhlichen“ Postkarten für die Wiener Werkstätte strahlt das Triester Hafenleben zwar betriebsame Geschäftigkeit, aber auch eine gewisse Schwermut aus – eine Atmosphäre, die sich sehr gut in die Ansichten der „Neukunstgruppe“ eingliederte, die ab 1909 immer häufiger auf rustikalere Motive wie Arbeiter und Arbeitsplätze zurückgriff und Kalvachs expressionistisch angehauchtes Bild 1909 im Wiener Salon Pisko und 1910 im Klub Deutscher Künstlerinnen in Prag ausstellt. Das Hafenleben wird nach und nach zu einer Art Aushängeschild des Kalvach'schen Werks.

Rudolf Kalvach, Triester Hafenleben, 1907/08

Eine Dunkelheit wie im „Triester Hafenleben“ schlägt sich auch auf das Privatleben von Rudolf Kalvach nieder: 1912 wird er wegen psychischer Probleme in eine Nervenheilanstalt eingewiesen, die er erst 1915 wieder verlässt. Auch wenn er sein künstlerisches Schaffen währenddessen nicht völlig aufgibt und im Anschluss scheinbar nahtlos wieder aufnimmt, Mitglied des österreichischen Werkbund wird, seinen Kriegsdienst absolviert und 1918 auf der von Egon Schiele organisierten Werkschau der Wiener Secession ausstellt, wabert seine psychische Erkrankung wie ein Damokles-Schwert über ihm. 1921 wird er ein zweites Mal in die psychiatrische Anstalt Steinhof aufgenommen, von wo aus er 1926 in eine Klinik in der Tschechischen Republik verlegt wird. Am 14. März 1932 stirbt Rudolf Kalvach im tschechischen Kosmonosy an Tuberkulose und hinterlässt seine Frau Marie Klarer und fünf Töchter.

Rudolf Kalvach, Möwen: Triester Hafenleben VIII, 1907/08