Die Wegwerfgesellschaft ist an ihre Grenzen geraten, doch die Menge an Plastik und Chemikalien wächst weiter. Was für Lösungsideen gibt es, um das Plastikdilemma aufzulösen und welche Rolle werden Kunststoffe in der Zukunft spielen? In der dritten Podcastfolge sprechen wir mit Tiefseeökologin Melanie Bergmann und Politikwissenschaftler Per-Olof Busch.

Manche sagen, wir werden in Zukunft immer Plastik brauchen, und sogar mehr davon. Nur eine bessere Abfallwirtschaft und neue Recycling-Technologien könnten helfen. Auf der anderen Seite gibt es die vielen Initiativen, die den ganzen Müll, der in der Umwelt landet, mühsam wieder einsammeln. In den letzten Jahren haben viele Länder und auch die Europäische Union begonnen, das Problem anzugehen. Doch Plastik ist ein Material, das sich nicht um Ländergrenzen schert. Wie schätzen Wissenschaftler*innen und Politikwissenschaftler*innen die Lage ein?

Für die dritte und letzte Folge von LIVING IN A PLASTIC WORLD blicken wir auf Lösungsansätze und lernen, welche Rolle dabei die Wissenschaft, Zivilgesellschaft, Aktivismus, Industrie und nationale Regierungen spielen. Im Gespräch mit der Tiefseeökologin Melanie Bergmann erfährt Anja Krieger, wie politischer Aktivismus von Seiten der Forschung aussehen kann und weshalb die Kunst eine immer wichtigere Alliierte der Wissenschaft wird. Im Anschluss trifft sie auf den Politikwissenschaftler Per-OIof Busch und spricht über das globale Abkommen, das die Vereinten Nationen gerade verhandeln, um das Plastikproblem zu stoppen.

Anja Krieger ist Kulturwissenschaftlerin und Podcasterin. Seit fünf Jahren spricht sie für ihren Plastisphere-Podcast mit internationalen Plastikexpert*innen aus verschiedenen Disziplinen. Zuvor berichtete sie als Umwelt- und Wissenschaftsjournalistin für öffentlich-rechtliche Radios sowie deutsch- und englischsprachige Online- und Printmedien.

TRANSKRIPT:

[Musik Plas­ti­city von Blue Dot Sessi­ons]

Melanie Bergmann: Momentan enthalten Plastikprodukte wahrscheinlich über 16.000 Chemikalien, von denen rund ein Viertel gesundheitsschädlich ist. Also davon müssen wir auf jeden Fall wegkommen. 

Per-Olof Busch: Ich glaube, am vielversprechendsten ist es in der Tat bei der Plastikproduktion anzusetzen, die zu reduzieren, und zwar schrittweise.

Anja Krieger: Hallo und herzlich Willkommen zum Podcast der Schirn Kunsthalle Frankfurt. Mein Name ist Anja Krieger, und ich führe euch in dieser dreiteiligen Serie durch die Welt des Plastiks – eines Materials, das ungeahnte Möglichkeiten eröffnete und dann zum riesigen Umweltproblem wurde. In der ersten Folge war ich zu Besuch in der PLASTIC WORLD, der Ausstellung in der SCHIRN. Dort hat mir die Kuratorin Martina Weinhart erzählt, wie Plastik die Bildende Kunst geprägt hat. In der zweiten Folge sprachen wir mit dem Bodenbiologen Matthias Rillig und dem Ökotoxikologen Martin Wagner über die Folgen von Kunststoffen und Chemikalien. Wenn ihr diese Folgen verpasst habt, hört sie euch zuerst an! In der letzten Folge suchen wir nun nach Lösungen für die Umwelt- und Gesundheitsprobleme, die Plastik verursacht. Wir sprechen mit dem Politikwissenschaftler Per-OIof Busch über das globale Abkommen, das die Vereinten Nationen gerade verhandeln, um das Plastikproblem zu stoppen. Und wir hören vom Müll, der bis in die Tiefsee weit draußen im Meer herabsinkt. Darüber habe ich mit Melanie Bergmann vom Alfred-Wegener Institut für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven gesprochen. Wir beide kennen uns schon lange, und mittlerweile ist Melanie eine der wichtigsten Plastikforscherinnen in Deutschland. 

Anja Krieger: Melanie, du warst in Deutschland eine der ersten, die auf das Plastik im Meer aufmerksam gemacht haben. Aber eigentlich war das damals gar nicht dein Forschungsthema. Was hat dich dazu gebracht, dich dann so intensiv mit Plastikmüll zu beschäftigen?

Melanie Bergmann: Das Alfred Wegener Institut betreibt ja das Tiefseeobservatorium Hausgarten westlich von Spitzbergen. Und im Zuge dieser Untersuchung, wo ich eben so ein geschlepptes Kamerasystem einsetze, um die klimawandelbedingten Veränderungen am Meeresboden zu erforschen, sah ich eben immer mehr Plastikmüll in diesen Aufnahmen. Und als ich dann eine Analyse machte, merkte ich, dass der Müll wirklich stark zugenommen hat. War also nicht nur ein Bauchgefühl. Und im Zuge dessen habe ich dann halt immer weiter mich in meiner Forschung auf dieses Thema fokussiert. Denn der Müll hatte tatsächlich siebenfach zugenommen am Hausgarten und das ist eben sehr weit im Norden, fernab der Zivilisation und somit schon ein Alarmsignal.

Anja Krieger: Du hattest da eigentlich Lebewesen dir angeschaut, ne? Was lebt denn da alles in der Tiefe in der Arktis?

Melanie Bergmann: Da sind viele Seegurken, Schwämme, Schlangensterne. Dann haben wir da auch Aalmuttern, das ist eine Art Fisch. Und ja, Seeanemonen. Solche Tiere halt. 

Anja Krieger: Und als du das das erste Mal gesehen hast, hast du da erstmal dir nicht so viel dabei gedacht, oder gleich gedacht, oh, das könnte ein Problem für diese Ökosysteme sein?

Melanie Bergmann: Nein, zuerst habe ich mir nicht so viel dabei gedacht. Die Müllteile tauchten auch in den ersten Aufnahmen von 2002 immer mal wieder auf. Aber man merkte halt schon, dass es immer mehr wurde im Laufe der Jahre. Und dann nahm das Unbehagen zu und irgendwann war es dann so groß, dass ich mir das mal genauer angeschaut habe. 

Anja Krieger: Jetzt arbeitest du da schon ein ganzes Jahrzehnt dran und hast in den letzten Jahren unglaublich viele Studien zu den Folgen unseres Plastikkonsums selber durchgeführt, begleitet und gelesen. Was waren für dich da die überraschendsten, vielleicht auch erschreckendsten Erkenntnisse? Und gab es auch Momente, wo du mal aufgeatmet hast, weil die Ergebnisse dann doch besser waren, als du gedacht hast?

Melanie Bergmann: Besonders erschreckt hat mich die Menge von Mikroplastik, die man eben im Meereis findet, aber eben auch im Schnee, was darauf hindeutet, dass viel Mikroplastik auch in der Luft vorhanden ist, weil das wiederum dann auch bedeutet, dass wir es einatmen. Und das war eben für mich auch erschreckend zu sehen, dass Mikroplastik in menschlichen Lungen gefunden wurde und wie weit es schon in den menschlichen Körper vorgedrungen ist, dass es sogar in der Plazenta, das war auch noch mal so ein Aufreger für mich, gefunden ist, weil es eben zeigt, dass unsere Nachkommen, bevor sie überhaupt zur Welt kommen, schon diesem Problem ausgesetzt sind. Und aufgeatmet, muss ich sagen, habe ich eigentlich wenig. Eigentlich hat sich immer mehr verdichtet im Laufe der Zeit, dass das Problem eigentlich größer ist, als wir vielleicht zunächst angenommen haben. 

Anja Krieger: Jetzt gibt es ja viele Forscher*innen, die sagen: Sie sorgen für das Wissen, aber sie positionieren sich nicht. Sie bleiben neutral, sie halten sich raus, was aus dem Wissen wird, und das muss dann eben die Gesellschaft und die Politik entscheiden. Du hast dich dagegen ganz bewusst entschieden, als Wissenschaftlerin und auch als Bürgerin öffentlich aktiv zu werden. Was hat dich dazu bewegt, aus dieser neutralen Haltung herauszutreten?

Melanie Bergmann: Mich hat bewegt, dass die Politik viel zu langsam handelt. Das sieht man besonders auch am Bereich Klima, wo viel zu langsam gehandelt wird, aber auch im Sinne von Plastik, wo die Produktion quasi exponentiell gestiegen ist in der letzten Zeit, in den letzten Jahrzehnten und nicht genug getan wurde, um das Problem einzudämmen. Und da denke ich, ist es eben auch Aufgabe der Wissenschaft, auf die Risiken hinzuweisen und auch in nicht wissenschaftlicher Sprache, eben den Erkenntnissen, die man gewonnen hat, Gehör zu verschaffen. 

Anja Krieger: Magst du da ein paar Beispiele nennen, wie du dich jetzt engagierst?

Melanie Bergmann: Ich engagiere mich bei Scientists for Future zum Beispiel, also besonders am AWI, bei AWISforFuture. Dann habe ich natürlich viel gemacht im Bereich Wissenskommunikation. Ich spreche viel mit Medien, halte Abendvorträge, spreche in Schulen, probiere also wirklich das Wissen breit in die Gesellschaft zu tragen. Und…ja, ich probiere, mit Künstler*innen zusammenzuarbeiten, indem ich zum Beispiel immer wieder auch mit Swaantje Günzel zusammenarbeite, indem ich ihr Exponate zur Verfügung stelle aus meiner Forschung im Sinne von Bildern, aber auch Plastikmüll, der an arktischen Stränden für uns gesammelt wurde, von Bürgerforschenden und arbeite aktuell eben auch daran, dass wir einen Comic herstellen, wo es um die sogenannte Säuberung des Plastiks aus den Meeren geht. Ja, und dann habe ich natürlich auch so Formate ausprobiert, wo wir dann als Scientists for Future im Zug die Mitreisenden informiert haben. Da ging es dann allerdings eher um die Klimakrise. Wobei ich habe sowas ähnliches auch gemacht beim Klimastreik, wo wir dann in der Fußgängerzone die Passant*innen über Plastikmüll, Plastikproduktion aufgeklärt haben. 

Anja Krieger: Spielt die Kunst für dich bei diesem Thema eine bestimmte Rolle, also hat die…siehst du da Potenzial drin?

Melanie Bergmann: Ja, da sehe ich sehr großes Potenzial drin. Denn das eine ist sozusagen die Macht der Daten, die aber scheinbar nicht alle Bürger*innen erreicht, und ich denke, dass über die Kunst Menschen noch mal auf einer anderen Ebene abgeholt werden, dass es sie emotional mehr berührt und dass da vielleicht noch mal eine andere Verbindung dann auch zu den Fakten hergestellt werden kann. Deswegen halte ich das für ein sehr wichtiges Mittel, Forschungswissen in die Gesellschaft zu tragen. 

Anja Krieger: Vor zehn Jahren haben wir das erste Mal ein Interview gemacht. Und da warst du die erste Person, die mir einen ziemlich bestechend einfachen Gedanken ins Mikrofon gesprochen hat. Du hast gesagt: Es wird einfach zu viel Plastik konsumiert und produziert, das heißt, wenn wir das Problem lösen wollen, dann müssen wir auch die Produktion senken. Das klang für mich damals total logisch, aber es haben damals wenige andere Leute das gefordert. Damals ging es eher um Abfallmanagement, um Kreislaufwirtschaft, Recycling usw. Mittlerweile habe ich das Gefühl, hat sich der Fokus verschoben. Es wird jetzt auch viel mehr über die Produktion gesprochen. Was hat sich da aus deiner Sicht verändert?

Melanie Bergmann: Das Problem ist einfach immer größer geworden. Also es wurde immer klarer, wie und  wo überall Plastikmüll und Mikroplastik und Nanoplastik schon zu finden ist. Und ich denke, dadurch wurde auch klarer, dass wir tiefergehende Maßnahmen brauchen. Die Recyclingquoten können nicht mithalten mit dem, was produziert wird, aus verschiedensten Gründen. Und gerade in den letzten Jahren, ich glaube 2020 war’s, sind ja auch einige Studien noch mal rausgekommen, die das tatsächlich modelliert hat, wo die Reise hingeht. Wenn wir nichts unternehmen, wenn wir business as usual weiter machen - und ich glaube, das war noch mal so ein Weckruf für sehr viele Forschende, aber auch zum Teil für die Politik - zu sehen, dass wir wirklich umsteuern müssen und dass auch Produktionsgrenzen dazugehören müssen.

Anja Krieger: Eine Zeitlang wurde ja darüber diskutiert, was ist jetzt eigentlich wichtiger? Ist das Plastikproblem gar nicht so wichtig wie die Klimakrise und verdrängt in der Aufmerksamkeit vielleicht das viel wichtigere Problem Klima? Mittlerweile ist das nicht mehr so, denn die beiden Probleme gehören ja zusammen, ne?

Melanie Bergmann: Ja genau das, also der Ursprung von Plastik und anderen Klimaverschmutzern, ist natürlich der gleiche. Und ja, viel von dem Gas, was jetzt vielleicht künftig dann nicht mehr in die Verbrennung gesteckt werden kann, weil klar ist, dass wir nicht mehr so viel Fossile verbrennen dürfen, soll künftig eben in die Plastikproduktion gesteckt werden, weil man eben daraus Ethen und dadurch leicht Ethylehen und dann wiederum Polyethylen (eines der häufigsten Verpackungskunststoffe), sehr leicht herstellen kann. Und da ist man eben dabei, den Markt zu diversifizieren und Druck auszuüben, zum Beispiel auf die afrikanischen Staaten, dass sie ihre Umweltregularien auch senken sollen, um ja den Markt, der anderswo schon gesättigt ist, eben zu befriedigen.

Anja Krieger: Also Plastik als Plan B für die petrochemische Industrie, im Grunde.

Melanie Bergmann: Genau. Das ist halt das Erschreckende, dass während wir ein Plastic Treaty verhandeln oder insgesamt die Gesellschaft denkt, wir sind auf einem Weg, das Plastikproblem in den Griff zu nehmen, dass Milliardeninvestitionen getätigt wurden und neue Fabriken gebaut werden, um eben dieses Frackinggas dann für die Plastikproduktion zu nutzen. 

Anja Krieger: Du hast da auch Forschung zu gemacht, was noch so ein bisschen im hypothetischen Raum, glaube ich, ist, wie Plastik auch ins Klimathema reinspielen könnte.

Melanie Bergmann: Ja, dazu gibt es leider noch viel zu wenig Untersuchungen. Deswegen kann man zurzeit in erster Linie Hypothesen aufstellen, dass zum Beispiel dunkle Plastikpartikel eben dazu führen, dass die Rückstrahlkraft von weißen Flächen wie Eis und Schnee geringer wird, dadurch mehr Wärme absorbiert wird von diesen Flächen, was dann zu höheren Schmelzraten führt, wodurch noch mehr Wärme aufgenommen werden kann, vom Ozean beispielsweise oder Landmassen. Aber da gibt es noch keine Forschungserkenntnisse, genauso wie zum Beispiel, was Partikel in der Atmosphäre ausmachen. Ob das auch ähnlich wie bei anderen organischen Partikeln zum Beispiel oder Sulfat, ob das auch Rückstrahlung verhindert oder den Greenhouse Gas Effekt eher noch verstärkt. Ja, da müssen wir halt schauen, was die Forschung hoffentlich bald zutage fördert. 

Anja Krieger: Wenn du jetzt drei Wünsche frei hättest, was in den nächsten Jahren politisch passieren sollte, um das Plastikproblem zu lösen, was würdest du dir wünschen?

Melanie Bergmann: Ich würde mir wünschen, dass die Plastikproduktion reduziert wird und wirklich nur das allernötigste Plastik, was man nicht anders, aus anderen Materialien herstellen kann, hergestellt wird. Dann würde ich mir wünschen, dass es Plastik, das hergestellt wird oder auch Bioplastik, wenn das als Alternative genutzt wird, da es dafür nur unbedenkliche Chemikalien zum Einsatz kommen, damit eben dieses wenige wirklich notwendige Plastik dann auch recycelbar ist, also in einen Kreislauf gehen kann. Denn momentan enthalten Plastikprodukte wahrscheinlich über 16.000 Chemikalien, von denen rund 1/4 gesundheitsschädlich ist. Also davon müssen wir auf jeden Fall wegkommen. Und als dritten Wunsch wünsche ich mir, dass wir Subventionen in die Produktion von fossilen Plastik abgebaut werden müssen. 

[Musik Blue Latex von Blue Dot Sessi­ons]

Anja Krieger: Die Wegwerfgesellschaft ist an ihre Grenzen gelangt, doch die Menge an Plastik und Chemikalien wächst weiter. Manche sagen, wir werden in Zukunft immer Plastik brauchen, und sogar mehr davon. Nur eine bessere Abfallwirtschaft und neue Recycling-Technologien könnten helfen. Und dann gibt es noch die vielen Initiativen, die den ganzen Müll, der in der Umwelt landet, mühsam wieder einsammeln. In den letzten Jahren haben viele Länder und auch die Europäische Union begonnen, das Problem anzugehen. Doch Plastik ist ein Material, das sich nicht um Ländergrenzen schert. Es  reist durch die Luft, durch Flüsse und Ozeane, rund um die Welt. Wie lässt sich so ein globales Problem angehen? Darüber habe ich mit Per-Olof Busch von der Beratungsfirma adelphi gesprochen. Busch ist Experte für Umweltpolitik mit Schwerpunkt Kreislaufwirtschaft und Plastikverschmutzung – und wie Melanie Bergmann ist er als Beobachter bei den Verhandlungen um das globale Plastikabkommen der Vereinten Nationen dabei. Dieses “Plastics Treaty” soll eine internationale Vereinbarung werden, die die Verschmutzung der Umwelt durch Plastik in Zukunft verhindert.

Anja Krieger: Herr Busch, Wieso braucht es aus Ihrer Perspektive so ein internationales Abkommen?

Per-Olof Busch: Als allererstes ist Plastikverschmutzung natürlich ein grenzüberschreitendes Problem, das nicht nur innerhalb der Grenzen von Nationalstaaten auftritt, sondern das Plastik wird über Flüsse transportiert in andere Länder und verursacht da Probleme. Und letztendlich landet ja auch ein Großteil des Plastiks in den Ozeanen. Das heißt, es braucht internationale Kooperation, um dieses Problem so gut es geht zu bewältigen. Das ist der eine Punkt. Der zweite Punkt ist das Ausmaß des Problems. Das Ausmaß des Problems erfordert konzentrierte Anstrengungen auf internationaler Ebene, dass Staaten das Problem alleine gar nicht bewältigen können. Und das gilt vor allen Dingen für Staaten im globalen Süden, die vor wirklich großen Herausforderungen stehen, da ein Abfallsystem aufzubauen und daher auch viel Unterstützung brauchen, auch in der Entwicklung von Politiken. Und sowas kann natürlich ein globales Plastikabkommen bieten. Und aus der wirtschaftlichen Perspektive schafft so ein globales Abkommen natürlich einen einheitlichen Rahmen und Mindeststandards, sodass die Plastikwirtschaft nicht mit unterschiedlichen Regelungen konfrontiert ist, dass sich möglicherweise auch die Wettbewerbsnachteile von einer nachhaltigen Plastikproduktion, die vor allen Dingen insbesondere in der Europäischen Union angestrebt wird, auch reduziert. Der letzte Punkt ist, dass so ein Abkommen natürlich auch einen Rahmen schafft, sofern es denn dann irgendwann verabschiedet wird, auf den sich nationale Akteure berufen können, um die Regierung zum Beispiel dazu zu bewegen, mehr gegen Plastikverschmutzung zu unternehmen. 

Anja Krieger: Jetzt haben Sie gerade den globalen Süden erwähnt. Meines Wissens war der ja in der Plastikpolitik, zumindest was so strenge Vorgaben angeht, recht früh dabei. Also so Länder wie Kenia oder auch Bangladesch, ne?

Per-Olof Busch: Das hat in der Tat schon vor vielen Jahren angefangen. Ruanda ist ja eines, ist ja einer der Staaten, die diese ganzen Verhandlungen auch auf den Weg gebracht haben, mit einer entsprechenden Resolution bei der Umweltversammlung der Vereinten Nationen. Und das ist das erste Land gewesen, das tatsächlich ein Verbot von Plastiktüten eingeführt hat, weltweit. Wenn Sie an den globalen Süden denken, sind das tatsächlich die Instrumente, die dort verwendet werden. Da geht es um Verbote, auch Importverbote, insbesondere von Einwegplastik, was ja besonders problematisch ist, weil es einfach eine kurze Lebensdauer hat und dann weggeschmissen wird. Komplexere Instrumente, wie zum Beispiel die erweiterte Herstellerverantwortung, also dass die Produzenten das Einsammeln, den Plastikmüll und den auch dann verwerten, die gibt es da vor Ort nicht. Und gerade die Länder des globalen Südens, das wurde auch in den Verhandlungen jetzt in Paris ganz deutlich, sehen sich wirklich vor einer großen Herausforderung, wenn es darum geht, den Abfall umweltgerecht und nachhaltig zu behandeln. Da fehlt einfach die Infrastruktur, da fehlt es manchmal an der Sammlung von diesen Abfällen. Aber selbst wenn das da ist, dann ganz oft reichen die Kapazitäten nicht aus, um den Abfall so zu verwerten, dass er eben nicht in die Umwelt gerät. Und dadurch gibt es, was in der Literatur so schön “missmanaged plastic waste” genannt wird, also der Anteil von nicht gut verwerteten Plastikabfall. Der steigt sehr und endet dann eben in Flüssen, in Kanälen, in Seen, auf dem Land und möglicherweise dann letztendlich auch im Ozean.

Anja Krieger: Jetzt treffen sich ja bei diesen zwischenstaatlichen Verhandlungen Vertreter*innen und Expert*innen aus aller Welt, aus allen möglichen Staaten. Und Sie waren da bei den Verhandlungen auch als Beobachter dabei. Was waren denn da aus Ihrer Sicht die großen Themen und über welche Lösungen wird gesprochen?

Per-Olof Busch: Momentan – das ist jetzt ja die zweite Verhandlungsrunde gewesen, die dritte findet jetzt im November in Nairobi statt – momentan liegen eigentlich so ziemlich alles, was die Politik aufzubieten hat, auf dem Tisch. Also es gibt von dem Sekretariat ein Dokument, das die Vorschläge der Staaten für mögliche Lösungen zusammenfasst. Das ist 32 Seiten lang. Sie können sich vorstellen, da steht ne Menge drin und es geht teilweise um Verbote, tatsächlich von zum Beispiel vermeidbaren und unnötigen Plastik, von besorgniserregenden Chemikalien, von bestimmten Polymertypen, also von bestimmten Plastiksorten, wenn Sie so wollen. Manchmal geht es auch nur um eine schrittweise Eliminierung, aber das Ziel ist schon, das Plastik so weit wie möglich zu reduzieren, das eben der Umwelt und der menschlichen Gesundheit schadet. Aber es geht auch um Fragen, wie kann Mikroplastik reduziert werden? Wie kann eigentlich so ein Abkommen finanziert werden? Wie können wir Länder des globalen Südens dabei helfen, mit dem Plastikabfall umweltgerecht und nachhaltig umzugehen? Was brauchen sie für Unterstützung? Wie können wir Ländern helfen, Politiken zu erlassen und diese dann auch? Das ist auch tatsächlich häufig ein Problem, diese dann auch vor Ort effektiv umzusetzen. Aber es geht auch über den ganzen Plastikzyklus. Also es fängt an mit der Produktion von Plastik, über die Verarbeitung von Plastik, über den Konsum von Plastik und dann eben um den umweltgerechten Umgang mit dem, was am Ende von den Plastikprodukten übrig bleibt. Und in all diesen Bereichen gibt es Vorschläge zu unterschiedlichen Maßnahmen, auch ökonomische Instrumente, wie Steuern und Gebühren, also wirklich alles, was Sie sich vorstellen können.

Anja Krieger: Jetzt gibt es ja in der Geschichte auch schon Vorbilder für große globale Umweltabkommen. Beim Montreal Protokoll, mit dem ab den 80er dann die Ozonschicht gerettet werden konnte, hat man ja ganz am Anfang angesetzt. Man hat die Produktion reguliert dieser Fluorchlorkohlenwasserstoffe, dieser FCKW, die die Ozonschicht über der Antarktis zerstört haben. Besonders beim Klimaabkommen von Paris dagegen geht es immer um Emissionen, also das, was am Ende rauskommt, wenn ich jetzt Kohle, Öl, Gas verbrenne. Ist das ein Unterschied, der eine Rolle spielt für das Plastikabkommen?

Per-Olof Busch: Da sprechen Sie die zentrale Konfliktlinie dieser Verhandlungen an, die sich auch in Paris in, also für mich auch sehr, sehr überraschender Deutlichkeit und vor allem Vehemenz gezeigt hat. Es gibt natürlich eine Reihe von Staaten, die Öl produzieren, die Plastik produzieren, Plastik wird aus Öl produziert. Dazu gehören zum Beispiel China, Saudi Arabien, Iran, um einfach nur mal drei zu nennen, aber auch die USA. Aber gerade China, Iran, Saudi Arabien und auch tatsächlich zum Teil auch Brasilien wehren sich vehement gegen eine Reduzierung der Plastikproduktion. Und das ist das, was zum Beispiel die HIgh Ambition Coalition, in der auch die EU ist, auch Deutschland ist da drin, das ist eine Vereinigung von Staaten, wie der Name schon sagt, die eben ein ambitioniertes Plastikabkommen haben wollen. Die fordern eine Reduzierung der Plastikproduktion, weil sie sagen: Selbst wenn wir überall die Verwertung von Abfällen verbessern und ausbauen. Das wird nicht reichen, sondern die Menge muss tatsächlich reduziert werden. Und der Vorteil bei dem Montreal-Protokoll, das Sie angesprochen haben, war ja damals, dass da schon Alternativen vorhanden waren. Das heißt, da stand die Wirtschaft im Grunde genommen schon in den Startlöchern mit neuen Produkten, mit Ersatzprodukten. Und dass die Frage dann eben war: Wie kriegen wir es hin, dass das auch in Ländern des globalen Südens erfolgreich umgesetzt wird? Und dann hat man sich eben auf dieses Montreal-Protokoll geeinigt. Da gab es bestimmte Face up Pläne, die aber finanziell unterstützt wurden. Und es gibt natürlich auch im Plastikbereich durchaus Wirtschaftsakteure, die auch für ein ambitioniertes Plastikabkommen sind. Da gibt es auch eine Vereinigung solcher Unternehmen, da gehören ganz große Unternehmen insbesondere aus der Konsumgüterindustrie dazu, die ein ambitioniertes Plastikabkommen fordern. Aber sie haben dann eben auch natürlich die Chemiekonzerne und die öl- und gasproduzierenden Unternehmen, die vehement versuchen, dagegen zu arbeiten, dass an die Plastikproduktion rangegangen wird. Einfach aus dem Grund, Sie stehen schon unter Druck, wegen der Klimapolitik, wegen der internationalen Klimapolitik, wegen nationaler Klimapolitiken. Das heißt, sie haben Schwierigkeiten, fossile Rohstoffe zu verkaufen? Und Plastik war so ein bisschen der Ausweichmarkt, und dem geht es jetzt auch an den Kragen. Und ich glaube auch, daher rührt auch die Vehemenz, mit der insbesondere die Staaten, in der solche Unternehmen arbeiten, gegen eine Reduzierung der Plastikproduktion opponieren. Auch in Paris. Und das wird sich die ganze Zeit weiter, denke ich mal, durch die Verhandlungen ziehen, dieser Konflikt.

Anja Krieger: Beschlossen haben das die Vereinten Nationen im März 2022, dass man sich auf den Weg machen möchte für ein solches globales Plastikabkommen. Die erste Verhandlungsrunde fand dann in Ecuador statt, im Winter 2022 und jetzt die zweite in Paris im Sommer 2023. Geben Sie uns doch mal einen Ausblick: Wie geht es jetzt mit den Verhandlungen weiter, und was steht dann am Schluss? 

Per-Olof Busch: Es sind noch drei Verhandlungsrunden angesetzt, bis das Abkommen stehen soll. Es soll also im Herbst 2024 stehen, um dann Anfang 2025 durch eine Konferenz verabschiedet zu werden. Ich halte das für einen extrem ehrgeizigen Zeitplan, und das war auch die Stimmung in Paris. Insbesondere, wenn man bedenkt, dass in Paris zweieinhalb Tage damit verbracht wurden, über die sogenannten Rules of Procedure, das heißt die, wenn Sie so wollen, die Regeln dieser Verhandlungen — wer stimmt ab, wer wird gewählt, wie wird abgestimmt, welche Mehrheiten braucht es und so — verhandelt wurde und wenig Zeit war, über Inhalte zu diskutieren, obwohl dann am Ende tatsächlich es noch geschafft wurde, das, was man sich vorgenommen hatte, auch in Paris zu schaffen. 

Wie geht es weiter jetzt? Zwei Dinge, die, glaube ich, jetzt vor der nächsten Verhandlungsrunde sehr interessant werden. Es gibt jetzt erst einmal den sogenannten Zero Draft, das heißt, der Verhandlungsleiter erstellt auf der Grundlage der Vorschläge der Staaten, aber auch der Diskussionen in Paris einen Vertragsentwurf. Der sieht in der Regel so aus, der komplette Text ist in eckigen Klammern und listet alle Optionen, die genannt wurden. 

Und dann wird es in Nairobi darum gehen, aus diesem Text einen Vertragstext zu machen und sozusagen die eckigen Klammern zu entfernen. Das ist der nächste Schritt, also die inhaltlichen Verhandlungen, wenn Sie so wollen, die beginnen jetzt in Nairobi. Davor war es eher ein Austausch von Positionen, wer was will, in welche Richtung das gehen soll. Und jetzt wird tatsächlich dann hart verhandelt, was in diesen Vertragstext kommt und was nicht. Es wurde bis jetzt noch nichts rausgeschmissen. 

Anja Krieger: Das heißt, bei den Verhandlungen bisher wurde eigentlich sehr viel über den Prozess diskutiert, über die Rahmenbedingungen, noch nicht so sehr über die konkreten Lösungen. Jetzt sind wir aber schon fast auf der Halbzeit dieses ambitionierten Plans, den sich die Vereinten Nationen vorgenommen haben, eben bis Ende 2024 das inhaltlich auszuverhandeln und dann 2025 auch zu verabschieden. Wie sieht das aus mit bereits bestehenden Ansätzen? Also ich denke an sowas wie Zero Waste, wie Einschränkung bestimmter Produkte, wie Alternativen. Also diese ganz konkreten Lösungsvorschläge auch. Welche halten Sie da für erfolgsversprechend und wie könnte das Abkommen solche bereits bestehenden Ansätze dann fördern?

Per-Olof Busch: Ich glaube, am vielversprechendsten ist es in der Tat, bei der Plastikproduktion anzusetzen, um die zu reduzieren, und zwar schrittweise. Das heißt jetzt nicht innerhalb von zwei Jahren, sondern über mehrere Jahre das schrittweise zu reduzieren, sodass auch wirtschaftliche Akteure ihre Investitionen und ihre Planung anpassen können. Aber das halte ich eigentlich für die wichtigste Maßnahme, weil wenn Sie die Produktion von neuem Plastik reduzieren, dann hat das Auswirkungen auf die gesamte Wertschöpfungskette im Plastikbereich. Das heißt am Ende, wenn Sie das neue Plastik reduzieren, steigt der Bedarf an wiederverwendbaren Plastikprodukten, steigt der Bedarf an recycelbaren Plastikprodukten, aber eben auch am tatsächlichen Recyceln von Plastikprodukten, also der Wiederverwertung von Plastikprodukten nach ihrem Lebenszyklus. Und das wiederum setzt ja auch Innovationen in Gang. Und am Ende kann man mit einer guten Strategie dieser schrittweisen Reduzierung eben auch erreichen, dass viel, viel weniger Plastikprodukte, Plastik in den Mülldeponien oder Verbrennungsanlagen, auch das ist nicht die beste Lösung. Aber anstatt dass sie in der Umwelt landen. Also ich glaube, das ist der Punkt, bei dem man ansetzen muss, weil der ganz viele andere Wirkungen in der ganzen Plastikwertschöpfungskette auslöst, die dazu beitragen werden, dass die Plastikverschmutzung und das ist ja das, worum es primär geht bei diesem Vertrag, die Verschmutzung der Umwelt durch Plastik und die Gefährdung der menschlichen Gesundheit durch Plastik reduziert wird.

Anja Krieger: Hm, hm. Jetzt lassen Sie uns zum Schluss noch mal in die Zukunft schauen. Und zwar in die Zukunft, wenn alles richtig gut gelaufen ist. Wie sieht da Ihre persönliche Vision aus? In was für einer Plastikwelt würden wir leben, im Jahr 2050?

Per-Olof Busch: Es wird noch eine Plastikwelt geben, davon bin ich überzeugt, weil Plastik ja auch in vielen Bereichen durchaus sinnvolle Verwendung findet. Das ist auch in Paris bei den Verhandlungen auch durchaus so. Als Produkt wird es nicht verteufelt, auch von denen, die für ein sehr ambitioniertes Plastikabkommen sich einsetzen. Aber es wird weniger Plastik geben, vor allem weniger unnötiges und vermeidbares Plastik. Also das ist glaube ich das erste. Es wird kein unnötiges und vermeidbares Plastik geben. Es wird, das hoffe ich, weniger Chemikalien in Plastik geben, insbesondere weniger gesundheitsschädliche Chemikalien, denn das ist eigentlich eine der Hauptursachen für die gesundheitlichen Schäden von Plastik, ist tatsächlich das, was da noch alles mit drin ist an Additiven. Es wird dann hoffentlich auch niedrigere Mengen von neu produzierten Plastik geben. Das heißt, es wird nicht mehr allzu viel Öl und Gas für die Plastikproduktion aus der Erde rausgeholt. Dadurch werden auch CO2 Emissionen verhindert.

Das trägt auch zum Schutz vom Klimawandel bei. Und gleichzeitig wird die Menge an wiederverwendbaren Plastikprodukten mit einer hohen Lebensdauer steigen und genauso die Menge an Plastikprodukten mit einem hohen Anteil an Recycling und Plastik, wenn nicht sogar 100 % vom Plastik. Und Plastik wird in der Zusammensetzung hoffentlich weniger komplex sein und damit eben auch besser zu recyceln. Das würde am Ende hoffentlich dazu führen, dass so gut wie kein Plastikmüll mehr in die Umwelt freigesetzt wird und bis 2050 wir auf jeden Fall nicht mehr von steigenden Mengen in der Abfall im Plastikabfall und auch von stark steigenden Mengen in der Plastikproduktion sprechen, sondern dass die Kurven da ganz klar nach unten gehen.

[Musik Plas­ti­city von Blue Dot Sessi­ons]

Anja Krieger: Das war unsere Miniserie LIVING IN A PLASTIC WORLD über die Welt der Kunststoffe, die die Kunst, das Design, die Architektur und überhaupt unser menschliches Leben beflügelten, bevor wir ihre Schattenseiten anfingen richtig zu verstehen. Die Diskussion darum, wie wir aus dem Dilemma wieder rauskommen, wird wohl noch viele Jahre dauern. 

Dieser Podcast ist eine Produktion der Schirn Kunsthalle Frankfurt. Mein Name ist Anja Krieger, und in dieser Folge zu Gast waren Melanie Bergmann und Per-Olof Busch. Die Ausstellung PLASTIC WORLD läuft noch bis zum 1. Oktober 2023 in der SCHIRN. Den Katalog dazu mit vielen Bildern und Texten kann ich sehr empfehlen. Weitere Informationen findet ihr auf www.schirn.de . Fragen und Kommentare zu unserer Serie könnt ihr uns an magazin@schirn.de senden. Wenn ihr mehr erfahren wollt zum Thema, hört auch mal in meine englischsprachige Serie rein, den Plastisphere Podcast. Und verpasst natürlich nicht die nächsten Folgen des Schirn Podcasts. Alles Gute und auf Wiederhören!

PLASTIC WORLD IN 3D

PLASTIC WORLD

22. JUNI – 1. OKTOBER 2023

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