Das SCHIRN MAGAZIN im Gespräch mit dem Künstler Marco Poloni über sein Porträt der italienischen Mittelmeerinsel Lampedusa, Parallelen zu dem "Floß der Medusa" von Théodore Géricault und seine neueste Arbeit in Wien.

Der Künstler Marco Poloni setzt sich in komplexen Installationen mit gesellschaftspolitischen Themen auseinander. Wir sprachen mit ihm über „Displacement Island“, ein Porträt der immer wieder von afrikanischen Flüchtlingen angesteuerten Mittelmeerinsel Lampedusa, den Maler Théodore Géricault und seine neueste Arbeit „The Pistol of Monika Ertl“, die jetzt in Wien zu sehen ist.

SCHIRN MAGAZIN: Herr Poloni, dass wir eine Verbindung zwischen Ihrer Arbeit „Displacement Island“ und Théodore Géricaults Gemälde „Das Floß der Medusa“ aus dem Jahr 1819 gesehen haben, hat Sie anfangs überrascht. Warum?

Marco Poloni: Die Verbindung habe ich vorher nie bewusst wahrgenommen, aber ja, sie besteht tatsächlich. „Das Floß der Medusa“ ist eines meiner Lieblingswerke der Historienmalerei. Ich habe das Gemälde vor ein paar Jahren im Louvre gesehen. Es berührte mich sehr und weckte bei mir Assoziationen mit der Migration im Mittelmeerraum und ihren tragischen Folgen.

SM: „Displacement Island“ entstand 2006. Seitdem wurde die Arbeit immer wieder ausgestellt, zuletzt Ende 2013 bei der Berliner Galerie Campagne Première. Das Thema ist nach wie vor aktuell: Es geht um Flüchtlinge aus Afrika, die auf der italienischen Insel Lampedusa stranden oder vor der Küste verunglücken.


MP: Im Oktober 2013 spielte sich vor Lampedusa ja die schreckliche Katastrophe mit fast 400 Toten ab. Ein Boot war in Brand geraten, als Flüchtlinge mit Feuer auf sich aufmerksam machen wollten. Als ich das Thema 2006 anging, wurde es in Italien schon länger diskutiert. Schon 2002 war das nach zwei Politikern benannte „Bossi-Fini-Gesetz“ erlassen worden, das die Flucht nach Europa kriminalisiert und Strafen für Fischer vorsieht, die Flüchtlingen zu Hilfe kommen. Das widerspricht völlig dem Rechtsverständnis alter Seegesetze, die besagen, dass man jedem, der in Seenot geraten ist, helfen soll. Ich ging damals nach Lampedusa und fing an, Fotos zu machen. Als Künstler gehe ich dabei natürlich nicht wie ein Journalist vor. Mich interessieren vor allem Fragen der Repräsentation. Ich entschied mich schnell dagegen, Migranten zu zeigen.

SM: Auch das ist eine Parallele zu „Das Floß der Medusa“: Géricault zeigt keine Opfer, sondern Männer, die wohl genährt und gesund wirken. Obwohl die Überlebenden des Schiffbruchs, der ja wirklich stattgefunden hat, völlig ausgemergelt ausgesehen haben müssen.

MP: Viele der Flüchtlinge, die aus Afrika nach Lampedusa kommen, würden auf den Booten wahrscheinlich tatsächlich einigermaßen gesund aussehen, denn die meisten sterben bei Unfällen vor der Küste. Ich zeige aber weder Überlebende noch Leichen, sondern arbeite mit Metaphern und Indexen, also visuellen Spuren. Ich fand zum Beispiel Zigarettenpakete und Pullover am Strand, die Flüchtlinge zurückgelassen hatten. Viele kommen völlig durchnässt an und werfen erstmal ein paar Kleider von sich. Allein das zu zeigen, wäre mir aber noch zu viel an Repräsentation gewesen, also appropriierte ich zusätzlich diverse Bilder, Postkartenmotive, Fotos aus Urlaubskatalogen, Medienbilder und ähnliches.

SM: Das Ergebnis ist eine raumgreifende Foto-Installation mit 67 Bildern. Damit ermöglichen Sie dem Betrachter eine besondere Erfahrung. Wie würden Sie diese beschreiben?

MP: Meine Arbeiten sind vielschichtig und dabei mitunter sehr komplex, so dass sie schwer verdaubar sind. Dem einzigartigen Kunstobjekt stehe ich kritisch gegenüber. Ich distanziere mich sogar von meinen eigenen Fotografien: Der Betrachter von „Displacement Island“ weiß nicht, welche Bilder von mir sind und welche appropriiert. Das Konzept der Autorenschaft wird quasi völlig verflacht. Alles in allem hat der Betrachter es mit einem Raum zu tun, auf den er sich wirklich einlassen muss, und zwar gegen die gängigen Mechanismen der Kunstrezeption. 

SM: Gerade ist auch ein Buch zu „Displacement Island“ erschienen, wie funktioniert die Arbeit in diesem Format?
MP: Das Buch, das ich mit dem Verleger und Grafikdesigner Winfried Heininger (Kodoji Press) erarbeitet habe, funktioniert ähnlich wie die Installation. Wir haben Konstellationen von Bildern daraus in das Buch übertragen. Diese sind enorm wichtig, denn für sich genommen sind die Bilder ja bewusst flach, haben keine künstlerische Tiefe, wenn man so will. Sie zeigen einfach, was sie zeigen. Erst durch die Kombination werden sie wirklich interessant.

SM: Seit einer Woche ist eine neue Arbeit von Ihnen in der Wiener Gruppenschau „Places of Transition“ zu sehen. Die Ausstellung setzt sich kritisch mit globalen Prozessen der Veränderung auseinander. Was zeigen Sie dort?

MP: Mit 'The Pistol of Monika Ertl' präsentiere ich die Ergebnisse einer lang angelegten Recherche, als Multimediainstallation mit Texten und Archivbildern. Ausgangspunkt war mein Interesse an links-revolutionären Untergrundbewegungen im Italien der 1970er-Jahre. Ich bin dann auf interessante Verbindungen zwischen diesen Bewegungen, der Hinrichtung Che Guevaras und einem Mord an einem bolivianischen Generalkonsul namens Quintanilla in Hamburg gestoßen. Die Frau, die ihn 1971 erschoss, war Monika Ertl, eine Tochter Hans Ertls, der als Kameramann mit Leni Riefenstahl gearbeitet hatte. Nach dem Zweiten Weltkrieg war er nach Bolivien gegangen, wo Monika Ertl später Guerilla-Kämpferin wurde und eine Beziehung mit dem geistigen Sohn Che Guevaras einging. Ertl rächte Guevaras Tod, die Pistole bekam sie von dem italienischen Verleger und Revolutionär Giangiacomo Feltrinelli. Der Journalist Jürgen Schreiber, der ein Buch über Monika Ertl geschrieben hat, unterstütze mich mit Archivmaterial. Dieses internationale Netzwerk ist enorm interessant.