Finnland ist für den Schriftsteller Jan Costin Wagner zweite Heimat. Mit Helene Schjerfbeck verbindet ihn nicht nur das Land, sondern auch eine gewisse Melancholie. Ein Ausstellungsbesuch

Helene Schjerfbeck zählt in Finnland zu den berühmtesten Künstlerinnen des Landes. Hierzulande weiß das kaum jemand. Jan Costin Wagner (42) schon. Der Schriftsteller lebte bis vor kurzem die Hälfte des Jahres in Finnland, Schauplatz vieler seiner Kriminalromane und die Heimat seiner Frau Niina, einer Künstlerin. Seitdem die gemeinsame Tochter zur Schule geht, reisen sie nur noch in den Ferien in den hohen Norden und wohnen die übrige Zeit in Hainburg bei Seligenstadt. Nicht weit davon entfernt, in Heusenstamm, ist Wagner aufgewachsen. An einem Donnerstagnachmittag im November treffen wir uns mit ihm in Frankfurt, um zusammen die Ausstellung 'Helene Schjerfbeck' anzuschauen.

Jan Costin Wagner ist jeden Tag von Kunst umgeben, weil an den Wänden seines Hauses überall die Gemälde seiner Frau hängen. Durch sie hat er auch Schjerfbecks Werk kennengelernt: "Im Elternhaus von Niina hing ein Druck von 'Die Genesende', das sie durch ihre Kindheit begleitet hat", erzählt er. In der Ausstellung steht er vor dem Original, einem Ölgemälde von 1888, das ein kleines Mädchen auf einem Korbstuhl, eingewickelt in eine Decke, zeigt. "Was mich zutiefst anspricht, ist die Melancholie, die das Bild transportiert", sagt er. Wer Jan Costin Wagners Krimis kennt, den dürfte das nicht wundern, denn Melancholie ist das beherrschende Grundgefühl in seinen Romanen. Fünf von ihnen spielen in Finnland und in allen fünf ermittelt Kimmo Joentaa, ein schweigsamer, hochsensibler Polizist, dessen Frau an Krebs starb. Die Bücher sind sehr erfolgreich bei den Lesern, hochgelobt bei der Kritik und wurden in 14 Sprachen übersetzt. Eines von ihnen, 'Das Schweigen', wurde sogar verfilmt.

Nach Finnland kam Wagner zum ersten Mal vor 22 Jahren, kurz nachdem er Niina auf einer Interrail-Reise in Frankreich kennengelernt und sich in sie verliebt hatte. "Weil ich so glücklich war, habe ich mich gleich zu Hause gefühlt. Dort habe ich auch meinen ersten Roman 'Nachtfahrt' geschrieben. Finnland ist ein Land, das sich nicht inszenieren muss. Ich verbinde Selbstdisziplin, Echtheit und Unmittelbarkeit mit den Finnen. Und diese Eigenschaften sieht man Helene Schjerfbecks Werken an. Sie sind gänzlich unpathetisch", sagt er, während er das Bild 'Mädchen von den Inseln' betrachtet. Das Gemälde zählt zu der Reihe von Bildern, die Schjerfbeck malte, als sie schon zurückgezogen in einem finnischen Dorf lebte und sich unter anderem von französischen Modemagazinen inspirieren ließ. "Die Künstlerin zielt auf den Kern der abgebildeten Person und löst sie von der Zeit, in der sie lebt. Ich habe das Gefühl, dass das Mädchen mir nahe ist und gleich um die Ecke kommen könnte. Nur die Kopfbedeckung würde mich irritieren", sagt er und lacht.

So wie Helene Schjerfbecks Figuren einen Raum für die Begegnung mit dem Betrachter schaffen, so müssen auch Bücher einen Raum für die Fantasie des Lesers freigeben, davon ist Jan Costin Wagner überzeugt. "Ich mag Romane nicht, die ihre Figuren wie auf einem Steckbrief beschreiben. Das hat etwas Aufzwingendes. Ich will meine Figuren dem Leser ganz nah bringen, aber so, dass jeder sein eigenes Lesererlebnis entwickeln und visualisieren kann."

Als er weiter geht, sagt er irgendwann: "Was mir auffällt, ist, dass niemand auf den Bildern lacht oder auch nur lächelt." Besonders lange bleibt er vor den letzten Selbstportraits von Helene Schjerfbeck stehen, die die Künstlerin kurz vor ihrem Tod zeigen. "Die sind besonders stark. Schjerfbeck visualisiert Trauer so grundlegend und so beängstigend. Die Bilder erzählen von einer eigenartigen Stille." Jan Costin Wagner beschäftigt sich in jedem seiner Bücher mit den Themen Trauer und Tod, "aber mir geht es immer darum, vom Weiterleben nach der Katastrophe zu erzählen. Also von dem Moment, der auf die Stille folgt, von dem Moment, in dem der Dialog wieder beginnt."