Sibel und Anny Öztürk, die früher im Atelier Frankfurt den „Salon Noir des Artistes“ betrieben haben, starten in Offenbach ein neues Projekt: Das „Labor“ ist offenes Atelier, Bar und Ausstellungsraum zugleich.

In den Himmel gewachsene Bürotürme, die in den meisten Fällen wohl leerstehen, ein Sex-Shop, eine heruntergekommene Bar, mehr Pflasterstein als Grün: Der Platz der Deutschen Einheit ist kein Idyll. Aber er soll eins werden. In das Haus mit der Nummer fünf sind Kreative eingezogen, Designer, Grafiker, Architekten, Künstler. Zwei von ihnen sind die Geschwister Anny und Sibel Öztürk. In dem Bürohaus, das lange leer stand, das früher die Offenbacher Industrie- und Handelskammer beherbergte und zuletzt dem Stadtschulamt Raum bot, soll eine Mischung aus Kreativzentrum und Wohnraum für junge Familien entstehen. Eine Dachterrasse mit Urban Gardening ist geplant, außerdem ein Café -- das Projekt soll den Platz wieder beleben.

„Das hier ist der Rock Hudson Saal", sagt Anny Öztürk nicht ohne Stolz. Edelbraunes Holzfurnier an den Wänden, eine riesige Fensterfront, die den Raum erhellt, schwarze Thonet-Stühle: Hier fühlt man sich auf der Stelle wohl, auch wenn der Raum noch etwas karg wirkt. „Wir mussten sofort an einen alten Film mit Rock Hudson denken, als wir den Raum zum ersten Mal besichtigt haben. Da sitzt der Schauspieler dann in seinem Büro, trinkt einen Whisky und sinniert darüber, wie er Frauen aufreißen kann", erzählt Anny Öztürk. So bekam das ehemalige Besprechungszimmer seinen neuen Namen.

Die Ateliertüren stehen offen

Für Anny und Sibel Öztürk ist der Raum zunächst einmal Atelier -- aber auch Ausstellungsraum, Konzertbühne, Laufsteg oder Bar. Die Idee dabei: Der Raum in der alten IHK wird zum offenen Atelier, zum Ort der Kommunikation, zum „Labor". „Das war schon immer unser Prinzip: Wir bringen Leute zusammen", erklärt Sibel Öztürk. Auch, dass bei den Geschwistern die Ateliertüren offen stehen, ist nichts Neues. „Weil ich zu Klaustrophobie neige", gesteht Anny.

Im Atelier Frankfurt, wo die Geschwister vorher gearbeitet haben, haben sie zwei Jahre lang den „Salon Noir des Artistes" betrieben, eine regelmäßige Partyreihe mit Essen, Bar und viel Programm: „Am Ende hat uns das ganz schön überfordert, wir waren nur noch dabei, das Gastronomische am Laufen zu halten -- die Kunst ist dabei zu kurz gekommen."

Deswegen wollen sie es in ihrem neuen „Labor" ruhiger angehen. Höchs­tens eine große Veran­stal­tung pro Monat, Einla­dungen werden nur über die Face­book-Seite des Projekts veröf­fent­licht, „Geheim­ge­sell­schaft" nennen sie das Ganze. Lang­weilig wird es trotzdem garan­tiert nicht. Der Jazz-Musiker Michael Wollny hat sich schon für ein Konzert ange­kün­digt. Genauso wie Bertil Mark, für den Anny und Sibel Öztürk auch schon ein Musik­video produ­ziert haben.

Der Comedian Wigald Boning, der im „Salon Noir" bereits eine Ausstellung seiner Einkaufszettel-Sammlung gezeigt hat, will auch wieder etwas gemeinsam mit den Öztürks auf die Beine stellen. Und die Offenbacher Modemacherin Sevinc Yerli hat versprochen, dass sie eine Modenschau ihres Labels „Chili Bang Bang" beisteuern wird. Wie das Programm entsteht? „Wir kennen eben Gott und die Welt", sagen die beiden.

Die Erinnerung macht Orte magischer 

Daneben soll viel Zeit für die eigene künstlerische Arbeit bleiben. Im Herbst eröffnen Sibel und Anny Öztürk, die beide an der Frankfurter Städelschule studiert haben, in Berlin eine Ausstellung mit neuen Arbeiten. Gerade experimentieren sie mit Sprühfarben auf einem alten Teppich. Der Grundgedanke für das neue Projekt ist, dass sie einen Raum für eine imaginäre Sammlung entstehen lassen. „Uns interessieren die obsessiven Sammler, die Fetischsammler. Menschen, die in ihren Sammlungen wohnen, die sich mit der Kunst umgeben, für die sie Geld ausgeben, die gar nicht ohne ihre Sammlung leben könnten", beschreibt Anny Öztürk die Idee.

Räume spielen im Werk der beiden Künstlerinnen eine zentrale Rolle -- und Erinnerungen. Die Istanbuler Wohnung ihrer Tante zum Beispiel haben die Öztürks einmal nachgebaut, nicht nach Vorlagen oder Fotografien, sondern aus der eigenen Erinnerung an diesen Ort. Oder sie haben Zeichnungen angefertigt, die Erinnerungen an die Geschichte ihrer eigenen Familie sind. „Das ist das Spannende an der Erinnerung: dass der Realität Dinge hinzugefügt werden, dass die Dinge und Orte dabei größer oder kleiner und vor allem magischer werden können", sagt Sibel Öztürk.

Ein magischer Ort: Das könnte das „Labor" der Öztürk-Schwestern auch werden. Am besten gleich jetzt, in der Gegenwart.

Aktuelle Veranstaltungen geben Anny und Sibel Öztürk kurzfristig über die Facebook-Seite des Projekts „Labor" bekannt