Der Surrealismus ist aus den amerikanischen Kunstströmungen des Abstrakten Expressionismus und der Pop Art nicht wegzudenken – auch wenn das gerne vergessen wird.

Längst ist der Surrealismus kunsthistorisch eingeordnet, als letzte große Avantgardebewegung Europas, bevor nach dem Zweiten Weltkrieg die Kunsthauptstadt Paris ihre Vorreiterrolle an New York verliert. Von dort aus übernehmen die Strömungen des Abstrakten Expressionismus und der Pop Art als neue, amerikanische Kunstformen die Führung in der Kunstwelt. Allzu oft wird bei solchen Betrachtungen vergessen, wie nachhaltig die Wirkung des Surrealismus in den USA war und wie bedeutend seine Rolle für den Ablauf dieses großen Paradigmenwechsels.

Der Gang durch die Ausstellung Surreale Dinge verdeutlicht, wie international vernetzt die Surrealisten bereits in den 1930er-Jahren waren. Es werden nicht nur Objekte aus ganz Europa präsentiert, sondern auch aus dem fernen Amerika. Dort bricht ein regelrechtes Surrealismusfieber aus, als in New York 1932/33 die ersten Einzelausstellungen von Max Ernst, Joan Miró und Salvador Dalí gezeigt werden. Sind bei der ersten surrealistischen Überblicksausstellung in der New Yorker Galerie von Julien Lévy lediglich drei Amerikaner beteiligt – Joseph Cornell, Charles Howard und Man Ray – zeigt die wegweisende Schau Fantastic Art, Dada, Surrealism im MoMA 1936 bereits zahlreiche amerikanische Surrealisten. Die meisten von ihnen sind Mitglieder in der ersten (und einzigen) amerikanischen surrealistischen Vereinigung, den Post-Surrealists.

Als in Europa die Begeisterung für den Surrealismus langsam ausklingt, versucht Breton bekanntlich mit der Objektkunst neuen Schwung in „seine“ Bewegung zu bringen. In den USA wird das Surrealismusfieber durch die Ausbreitung des Faschismus neu befeuert, die viele Surrealisten ins amerikanische Exil treibt. Zwischen 1938 und 1942 landen Kurt Seligmann, Yves Tanguy, Roberto Matta, Wolfgang Paalen, Man Ray, Salvador Dalí, André Breton, André Masson, Max Ernst und Marcel Duchamp auf amerikanischem Boden. Breton beansprucht sogleich seine gewohnte Rolle als Kopf der Surrealisten zurück, stößt aber mit seinem Dogmatismus bei den amerikanischen Kollegen auf Ablehnung oder bestenfalls Skepsis. Sein surrealistisches Gesamtpaket wird bald von zahlreichen Untergruppierungen unterminiert, die einzelne Ideen, oft unter Anleitung früherer Mitglieder seiner Gruppe, weiterverfolgen und damit über die Grenzen des Surrealismus hinaus wirksam machen. Eine solche Splittergruppe namens Dynaton formiert sich beispielsweise ab 1949 in San Francisco um Wolfgang Paalen, mit einem besonderen Interesse an metaphysischen Themen und der Kunst und Kultur der amerikanischen Urbevölkerung.

Erstaunlich enge und persönliche Bande bestehen zwischen einigen Surrealisten und den jungen amerikanischen Künstlern des Abstrakten Expressionismus. Ein Umstand, den letztere gerne verschweigen, da sie als erste genuin amerikanische Kunstströmung wahrgenommen werden wollten. So war Philip Guston beispielsweise Mitglied oben genannter Post-Surrealists. Robert Motherwell arbeitete 1942 mit Wolfgang Paalen an dessen surrealistischer Zeitschrift DYN, und Jackson Pollock nahm an einem Workshop des Surrealisten Roberto Matta teil, in dem er eine typisch surrealistische Technik erlernt: den Automatismus. Ein wichtiger Begegnungsort für beide Gruppen ist Peggy Guggenheims Galerie Art of this Century. Verbindendes Interesse ist das gemeinsame Ziel, psychischen und emotionalen Zuständen physischen Ausdruck zu verleihen.

Auch die zweite große amerikanische Nachkriegs-Kunstströmung, die Pop Art, ist eng mit dem Surrealismus verknüpft. Ganz entgegen Bretons Vorstellungen trieb Salvador Dalí die Paarung von Surrealismus und Populärkultur voran. Seine Kreationen werden in Mode, Design und sogar in Hollywoodfilmen aufgegriffen. Auch seine Selbstinszenierung als Künstler-Popstar findet in Andy Warhol, dem Inbegriff des Pop Art Künstlers, eine Entsprechung. Tatsächlich waren Dalí und auch Marcel Duchamp mit Warhol und seiner Factory gut bekannt. Zurück in Frankreich lädt wiederum André Breton höchstpersönlich zwei der bekanntesten Vorläufer der amerikanischen Pop Art, Jasper Johns und Robert Rauschenberg, zur Teilnahme an seiner EROS-Ausstellung 1959 in Paris ein.

Der Einfluss der Surrealisten auf die Entwicklung der Kunst im Nachkriegs-Amerika ist nicht zu unterschätzen. Nicht nur die künstlerischen Techniken, sondern vor allem auch die Strategie der Verunsicherung und des Abweichens von Normen haben zur Folge, dass sich nachfolgende Künstlergenerationen bis heute auf eine Suche danach begeben, was Kunst kann, darf und soll.