In die Ausstellung „Weltenwandler“ geht Christine Baldt schon zum zweiten Mal – um ihren Blickwinkel auf die Kunst zu erweitern. Auch berufllich hat sie sich mit Outsider Art beschäftigt.

Sie haben sich die Ausstellung „Weltenwandler. Die Kunst der Outsider“ angesehen. Welchen Gesamteindruck haben Sie?
Ich bin total fasziniert. Ich habe eine Verbindung zu dieser Art von Kunst, weil ich mich beruflich mit psychisch kranken Menschen beschäftigt habe. Der Sozialpsychiatrische Verein Kreis Groß-Gerau, für den ich gearbeitet habe, hatte selbst auch eine Kunstgalerie – die Galerie „Am Sandböhl“ in Groß-Gerau. Sie musste sie aber leider schließen, weil sie sich nicht getragen hat. Dort haben wir ebenfalls Kunst von psychisch kranken Künstlern ausgestellt, aber nicht ausschließlich, sondern auch Werke von anderen, um Kunst auf einer Ebene zu präsentieren, unabhängig davon, ob jemand als krank oder gesund bezeichnet wird.

Das heißt sie kennen sich im Kunstkontext Outsider Art aus?
Ich bin sicherlich sehr interessiert, was diese Formen von Kunst angeht, aber ich bin keine Spezialistin (lacht). August Walla ist mir natürlich bekannt und Leo Navratil, weil ich Österreicherin bin, und auch die Prinzhorn-Sammlung ist mir ein Begriff. Aber in der Ausstellung werden auch viele Künstler gezeigt, die ich noch gar nicht kannte.

Ich war vor kurzen schon mal in der Ausstellung, zusammen mit der Kuratorin der Galerie „Am Sandböhl“, die mir einen anderen Blick eröffnet hat – zum Beispiel, was die Formensprache der Bilder angeht oder die Besonderheiten der einzelnen Kunstwerke. Ich finde die Ausstellung als Ganzes sehr faszinierend. Uns ist in dieser Ausstellung aufgefallen, dass sehr intensiv auf die Lebensumstände der Künstler eingegangen wird, und auf die tragischen Ereignisse im Leben mancher Künstler, die auch dazu geführt haben, dass sie sich auf ihre Weise künstlerisch betätigt haben. Da hatten wir die Frage: Muss man das bei dieser Art von Kunst tun?

Im Vergleich zu anderen Outsider-Art-Ausstellungen ist der biografische Aspekt sogar eher gering vertreten. Man braucht allerdings ein Minimum dieser Informationen, um die Arbeiten in ihren Kontexten zu verstehen.

Bei welcher Arbeit ist diese Frage aufgekommen?

Zum Beispiel bei Judith Scott, der Künstlerin mit Down-Syndrom, die Objekte mit Wolle umwickelt hat. Das hat mich fasziniert, weil sie so ein großes künstlerisches Potential besitzt. Dann stelle ich mir sofort die Frage: Wo entsteht eine solche Kunst?

Gerade bei Judith Scott ist der Blick auf ihre Biographie interessant: Mit Down-Syndrom geboren wurde jahrzehntelang ihre Taubheit nicht entdeckt. Von ihrer Umwelt wurde sie als wenig kontaktfreudig und nicht lernfähig eingestuft. Erst nach 25 Jahren Aufenthalt in der Columbus State Institution kam sie durch das Engagement ihrer Zwillingsschwester in das Creative Growth Center nach Oakland, wo sie sich ihre Kunst entfalten konnte.

Sie schauen sich die Ausstellung jetzt schon zum zweiten Mal an?
Ja, und ich werde sie mir auch noch ein drittes Mal anschauen, mit anderen Leuten. Ich bin schon ganz gespannt, was die Freunde, mit denen ich hierher komme, dazu sagen, und welchen Blickwinkel sie mit eröffnen. Das ist eine Ausstellung, die ich wirklich sehr empfehlen kann.