Der Raum „Zeichnung und Fotografie“ in der Ausstellung „Edvard Munch. Der moderne Blick“ erzählt die Geschichte eines Malers, der seinem eigenen Spiegelbild misstraute.

Edvard Munch ist ein Serientäter: zeitlebens wiederholte er für ihn wichtige Motive und Bildthemen. Im Raum „Zeichnung und Fotografie“ zeigen alle Werke den Künstler selbst. Dabei geht es nicht bloß um die Ähnlichkeit zwischen dem Werk und dem äußeren Erscheinungsbild des Malers. Es geht um die Frage, ob Fotografie oder Zeichnung sich besser eignen, die Persönlichkeit des Porträtierten abzubilden. Diese Frage hat Munch beschäftigt und inspiriert.

Munchs Fotografien erscheinen wie spontane Schnappschüsse eines Amateurfotografen: das Motiv ist oft verwackelt und unscharf. Ist es Zufall oder gar technisches Unvermögen? Weder noch, andere Aufnahmen von Munch beweisen, dass er sehr wohl mit einer Kamera umgehen kann. Die häufigen unscharfen und doppelt belichteten Bilder lassen darauf schließen, dass es ein von Munch bewusst eingesetztes Gestaltungsmittel ist. Viele seiner Selbstporträts wurden mithilfe eines Statives aufgenommen. Dies ermöglicht, aufgrund der damals längeren Belichtungszeiten, die für Munch typisch dynamische Bewegungsunschärfe vor einem scharf abgebildeten Hintergrund. So wirkt es, als würde ein transparenter, fast geisterhafter Künstler mit seiner Umgebung verschmelzen. Er experimentierte gern mit Belichtungszeiten und Mehrfachbelichtungen, die jene schemenhaften Gestalten auf dem lichtempfindlichen Material entstehen lassen.

Heutzutage eine typische Geste

Die Selbstporträts in und vor seinem Atelier in Ekely von 1930 zeigen immer wieder dasselbe Motiv: eine Nahaufnahme von Munchs markantem Gesicht, mit einer neutralen fast ausdruckslosen Mimik und seinem nach vorne gerecktem Kinn; manchmal mit Hut oder Brille und manchmal ohne. Die Fotografie im Profil oder in einer Dreiviertel Ansicht ermöglicht es, eine andere Facette der äußeren Erscheinung festzuhalten als das stets frontale Spiegelbild. Die gewählten Bildausschnitte sind für die damalige Zeit ungewöhnlich. Heutzutage ist es eine typische Geste, das Objektiv der Kamera mithilfe des ausgestreckten Arms auf sich selbst zu richten während man den Auslöser betätigt. Vermutlich war Munch einer der ersten Fotografen, der mit dieser unkonventionellen Technik zur Selbstinszenierung das moderne „close-up“ aufnahm; eine heute so weit verbreitete Technik.

„Das soll ich sein?“

Eingerahmt von den fotografischen Selbstporträts, hängt in der Mitte des Raumes die Lithographie des Malers „Selbstporträt mit Hut“. Munch wirkt hier ausgezehrter und älter als auf den Fotografien desselben Jahres. Während die kleinen schwarz-weißen Abzüge aus hellen und dunklen Flächen bestehen, ist die Zeichnung mit geschwungenen Linien simplifiziert. Bei der Abbildung einer Person spielten Porträtstudien immer eine große Rolle in Munchs Arbeit. Die immer wiederkehrenden Selbstporträts scheinen Munchs Suche nach Selbsterkenntnis zu visualisieren, bei der er sich auch mit seiner nachlassenden mentalen und physischen Verfassung auseinander setzte. Jeder kennt das befremdete Gefühl beim Betrachten eines Fotos von sich. Scheinbar stimmt das eigene Bild nicht mit dem harten und objektiven Bild einer Fotokamera überein.

Wettstreit zwischen Fotografie und Malerei

Wie verhält es sich aber mit der Gegenüberstellung gezeichneter und fotografischer Porträts: kann die Fotografie mit den persönlichen Beobachtungen einer Zeichnung gleichziehen, oder ist das Foto sogar das „bessere“ Porträt? Fotografie wurde damals zwar als Vorlage zur Kunstproduktion aufgrund ihrer vermeintlich objektiven Wirklichkeitsabbildung akzeptiert, aber verraten die abgebildeten Gesichtszüge auf Gelatinesilberabzügen genauso viel über den Porträtierten wie die Linienführung eines Malers? Munchs Notizen zu diesem Thema zeugen von der Überzeugung, dass „die mechanische Darstellungsart in einer verständigen Hand […] gute Dinge hervorbringen“ kann. In seinen unzähligen Selbstporträts spiegelt sich seine komplizierte Beziehung zu seiner Identität wider. Seine selbstinszenierten Fotografien verraten mehr, als man auf den ersten Blick zu erkennen glaubt.