Kuratorin Martina Weinhart bereiste die beiden brasilianischen Megalopolen Rio de Janeiro und São Paulo und entdeckte dort nicht nur brasilianische Künstler.

Wo anfangen? Das Land ist riesig und das Angebot an Ausstellungen in den Megalopolen Rio de Janeiro oder São Paulo ebenso, besonders während der São Paulo Biennale, die seit 1951 jeden zweiten Herbst (oder Frühjahr, das kommt ganz auf die Perspektive an) stattfindet. Die São Paulo Biennale ist die traditionsreichste neben der Biennale von Venedig und schon das Gebäude ist eine Architektur-Ikone der Moderne. Entworfen wurde es von Oskar Niemeyer, dem heute über 100-jährigen Mitgestalter des utopischen Brasilia, dem Palacio Capanema (unter anderem mit Le Corbusier) oder auch von Museumsbauten wie dem MAC Niteroi, das wie ein Ufo an der Guanabara-Bucht gelandet scheint und einen spektakulären Blick auf Rio bietet.

Für die diesjährige Ausgabe der Biennale zeichnet Luis Pérez-Oramas, der Kurator für Lateinamerikanische Kunst am New Yorker MoMa, verantwortlich. Unter dem Motto „A Iminência das Poéticas“ beschränkt sich die Kunst allerdings erstmals nicht allein auf diesen Ort, sondern ist über das weitläufige Stadtgebiet verteilt. Und so kann man Arbeiten von Jutta Köther im MASP, dem Museu de Arte de São Paulo, neben Alten Meistern wie Nicolas Poussin betrachten oder am anderen Ende der Stadt eine Soundinstallation in der Capela do Morumbi.

Bei der diesjährigen Ausgabe zeigt sich eine starke deutsche Präsenz. Dabei sind Künstler wie der Outsider Horst Ademeit mit seiner Obsession für gefährliche Kältestrahlung, die er mit Polaroids protokollierte oder Hans-Peter Feldmann, der auch in unserer Ausstellung „Privat“ zu bewundern ist. Die wunderbare Anna Oppermann ist ebenso vertreten wie die Klassiker der Moderne Charlotte Posenenske oder August Sander, aber auch jüngere wie Katja Strunz. So trifft man auf viel Vertrautes, das häufig erstmals dem südamerikanischen Publikum vorgestellt werden soll, aber es gibt natürlich auch viel Neues zu entdecken. Ich habe mich besonders über die ausladende Präsentation des ungewöhnlichen Schaffens eines weiteren – brasilianischen – Outsiders Arthur Bispo do Rosário gefreut, der hier einer großen Öffentlichkeit vorgestellt wird.

Doch zurück zum Biennale-Gebäude: außen schlicht, überwältigt den Besucher die kurvenreiche Innenkonstruktion, an der sich die ausgestellte Kunst messen muss. Kongenial wird am Fuße der ausladenden Architektur das zurückhaltende performative Werk „1. Werksatz“ von 1963-1969 von Franz Erhard Walther präsentiert, der vom brasilianischen Publikum begeistert geübt und wieder und wieder aufgeführt wird. Die Arbeit besteht aus Objekten, die die Betrachter benutzen sollen und besonders mit den langen Stoffbahnen wird hier gerne wild experimentiert.

Das ist sicher kein Zufall: In Brasilien hat diese Art von Mitmach-Kunst eine besonders starke Tradition. Davon konnte man sich unter anderem im Itáu Cultural an der Avenida Paulista überzeugen, wo zeitgleich eine große Retrospektive des Werks von Lygia Clark zu sehen war. Hier ist der Besucher ebenso stark in Aktion: Es wird durch Tunnel gekrochen, werden Masken aufgesetzt, Steine befühlt, Anzüge angezogen, mal bunt, mal Astronautenartig, es werden Netze geknüpft und Wände verschoben … Die Paulistas schätzen und würdigen das außergewöhnliche Werk dieser außergewöhnliche Künstlerin.