Felix Große-Lohmann sieht sich nicht als klassischer Kurator: Mit seiner Galerie „Huss­le­hof“ setzt er ein Zeichen für mehr Freiraum in der zeitgenössischen Kunstproduktion.

Felix Große-Lohmann wohnt mit seiner Freundin Nadia direkt neben dem „Husslehof“ – einem nichtkommerziellen Ausstellungsraum, den er seit ziemlich genau fünf Jahren in der ehemaligen Siebdruckwerkstatt seines Opas betreibt. Bei unserem Besuch trägt er Jogginghose und Schlappen. „Wir sind hier im Gallus“, sagt er. „Hier kannst du auch im Bademantel auf die Straße gehen und niemand guckt dich deshalb schräg an. Das finde ich ganz angenehm.“

Vor dem garagentorgroßen Eingang im Hinterhof befindet sich ein Gully, in den ein Rinnsal aus Tränen zu fließen scheint, der bei näherem Hinschauen aus Glas modelliert ist. Drinnen hängen drei weinende Pferdeköpfe aus Ton an den weißen Wänden. „Crying Horses“ heißt die poetische Schau, für die sich die Städelschüler Hadas Auerbach, Xenia Bond und José Montealegre zusammengetan haben.

Unter dem Motto „Alles muss raus!“ hatte Montealegre im Husslehof schon einmal eine Einzelausstellung, erinnert sich Große-Lohmann. Das war nicht lange nach der Eröffnung des Husslehof. „Der Raum wurde damals in einen Shop für Baumaterial verwandelt. Alles sah aus wie beim Closing Sale. Einige Besucher waren irritiert. Sie dachten, wir würden tatsächlich schon wieder schließen.“ Große-Lohmann versteht sich nicht so sehr als klassischer Kurator, sondern eher als Organisator im Hintergrund. „Der Husslehof soll Freiraum und Experimentierfeld sein. Ich gebe hier jungen Künstlern die Möglichkeit, ihre Ideen zu verwirklichen“, sagt er. Hin und wieder werden die rund 55 Quadratmeter großen Räumlichkeiten auch als Atelier genutzt. Viele der ausgestellten Werke entstehen direkt vor Ort. 

Hier kannst du auch im Bade­man­tel auf die Straße gehen und niemand guckt dich deshalb schräg an.

Felix Große-Lohmann
Hadas Auer­bach, Xenia Bond und José Monte­alegre, Crying Horses, Ausstellungsansicht Husslehof, Courtesy the Artists, Foto: Neven Allgeier

Der mittlerweile 34-Jährige ist in der Nähe von Hanau aufgewachsen. An der Goethe-Uni studierte er Kunstpädagogik und Englisch auf Gymnasiallehramt. Die Frankfurter Galerien-Szene lernte er jedoch auf Umwegen über Paris kennen: „Dort habe ich in den Semesterferien meine Schwester besucht, die mir Tipps für meine Zeit in der Stadt gab und erklärte: Galerien sind Räume, in denen zeitgenössische Kunst gezeigt wird, ohne dass es Eintritt kostet. So etwas kannte ich vorher nicht. Wieder zu Hause habe ich meine Professorin Eva Maria Kollischan darauf angesprochen. Sie hat dann mit uns einen Galerien-Rundgang organisiert.“

Im Gallus lernt Große-Lohmann, wie man sich Räume aneignet 

Nach einem Praktikum arbeitete er anderthalb Jahre als Assistent in einer Galerie in der Braubachstraße, wo er viele interessante Künstler kennen lernte. Außerdem veranstaltete er Lesungen, Konzerte, Barabende und Ausstellungen mit dem Verein „SIKS e.V.“ – die Abkürzung steht für Stadtteilinitiative Koblenzer Straße. Dort lernte er, wie man sich Räume aneignet und mit den unterschiedlichsten Konzepten bespielt. „Das war eine wichtige Erfahrung.“ Wir haben es uns mittlerweile auf einem Sofa im Nebenraum gemütlich gemacht. Hier steht ein imposanter Küchenwagen, auf dem auch ein Herd seinen Platz hat. 

Hadas Auer­bach, Xenia Bond und José Monte­alegre, Crying Horses, Ausstellungsansicht Husslehof, Foto: Neven Allgeier

Während wir reden, brüht Große-Lohmann hin und wieder Kaffee auf oder dreht sich eine schmale Zigarette, die er sich eine Zeit lang hinters Ohr klemmt, um sie bei nächster Gelegenheit am offenen Fenster zu rauchen. Den Raum, in dem wir sitzen, nutzt Große-Lohmann im Alltag unter anderem als Arbeitszimmer. In der Ecke neben dem langen Holztisch mit dem Laptop liegt ein Basketball. Manchmal klemmt er ihn sich unter den Arm, um auf dem Spielplatz um die Ecke ein paar Körbe zu werfen. Als Besucher des Husslehofs zahlt man keinen Eintritt. Damit sich der Projektraum trotzdem rechnet, muss Große-Lohmann bei der Finanzierung oft kreativ sein. 

Künstler haben hier zum Beispiel schon Editionen ihrer Werke verkauft, um die Kosten zu decken. Manchmal werden Ausstellungen, die hier Premiere hatten, an andere Häuser weitervermittelt. Aus dem Nichts heraus etwas zu schaffen, mit beschränkten Mitteln arbeiten – das ist nur eine der vielen Bedeutungen des schillernden Wortes „to hustle“, das die Philosophie des Ortes so treffend beschreibt. Im Nebenberuf arbeitet Große-Lohmann als Lehrer. Außerdem stellt er momentan ein Projekt auf die Beine, bei dem es um nachhaltige Materialkreisläufe geht. Er hat festgestellt, dass bei Kreativprojekten oft Holz, Stoff, Plexiglas oder Farbe weggeschmissen wird oder für teures Geld entsorgt werden muss.

Foto: Neven Allgeier
Foto: Neven Allgeier

Seine Idee ist es, sich stattdessen um den Abtransport zu kümmern und die neuwertige Ware zu fairen Preisen der Kreativszene zugänglich zu machen. Große-Lohmann ist gerade dabei, sich im Seckbacher Industriegebiet einen Lagerraum einzurichten. Im Husslehof steht bald die nächste Schau an. Die Pferdeköpfe sollten eigentlich schon längst wieder abgehängt sein. „Wir haben die Ausstellung extra für eine Freundin ein paar Tage verlängert. Sie war in den vergangenen Wochen viel unterwegs und hat erst heute Abend Zeit, um vorbeizukommen“, sagt Große-Lohmann. Am 14. Juni läuft „Scabbard“ an.

Gezeigt werden Malereien und Collagen von Cudelice Brazelton. Große-Lohmann hat den in Texas geborenen Künstler vor zwei Jahren beim Rundgang an der Städelschule entdeckt und war begeistert von seinen Arbeiten. Inhaltlich geht es um die Konstruktion von Körperidentitäten. Oft sind Fotografien der eigenen Haut Bestandteil seines Werks, häufig in Kombination mit Metallspitzen, Schrauben oder Teilen aus Leder. Motive, die manchmal an skurrile Gesichter oder Lebewesen erinnern. Mit Sicherheit ein guter Anlass, um mal im Husslehof vorbeizusehen.

Foto: Neven Allgeier

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