Ed und Nancy Kienholz behandeln in ihren Werken große Themen mitten aus dem politischen und gesellschaftlichen Alltag. Für welche Themen würde sich das Künstlerpaar wohl heute entscheiden?

Die Materialien, die Edward Kienholz für seine Kunst auf Schrottplätzen und Flohmärkten gesammelt hat, wirken heute ziemlich historisch. Alte Fernseher, Möbel, Teppiche oder Zeitschriften erinnern an die Lebzeiten des Künstlers. Seine Themen hingegen kommen nicht in die Jahre, auch wenn sie tatsächlich historische Wurzeln haben und von einer Art Flohmarkt der persönlichen Erlebnisse und geschichtlichen Ereignisse stammen.

Kienholz hatte viel zu sagen

Kienholz fand zu seiner uns bekannten Bildsprache in den frühen 1960er Jahren. Nachdem er sich an abstrakten Skulpturen versucht hatte, wurden seine Werke gegenständlich, denn die Kunst war seine Sprache und er hatte viel zu sagen. Zwei sehr persönliche Erlebnisse dienten ihm als frühes Versuchsfeld: 1961 wehrt er sich mittels zweier Skulpturen gegen den Spott des Kunstkritikers Henry Seldis (The Big Eye) und gegen einen Polizisten namens Carter, mit dem er eine Auseinandersetzung hatte. Kienholz porträtiert Carter in The Bad Cop (Lt. Carter), einer Skulptur die er teert und federt und deren „Kopf“ tatsächlich das Porträtfoto des Polizisten Carter persönlich zeigt.

Die Schrecken des Krieges im gemütlichen Wohnzimmer

Bald werden auch politische und gesellschaftliche Ereignisse aufgegriffen. Kienholz, der als Fernsehjunkie galt, hatte stets die neuesten Nachrichten vor Augen. Manchmal regten sie ihn direkt zu neuen Werken an. Im Jahre 1962 reagiert er mit The Future as an Afterthought auf die Kubakrise, den drohenden Atomkrieg und die damals viel diskutierte Explosion der Weltbevölkerung. Mit The Illegal Operation kommentiert er die im selben Jahr losgebrochene Debatte über die Legalisierung von Abtreibung in den USA. Das traumatische Ereignis des Vietnamkriegs führt schließlich 1968 zur Entstehung zweier Hauptwerke. Während die US-Bürger in Großdemonstrationen auf die Straße gehen, bringt Kienholz seine Wut und seine Frustration mit The Eleventh Hour Final und The Portable War Memorial zum Ausdruck. In ersterem Werk lässt er die Schrecken des Krieges ins gemütliche Wohnzimmer schleichen, in letzterem thematisiert er Propaganda und stumpfsinniges Heldentum mit einem Denkmal, dessen zu erinnernden Kriege und ihre Helden völlig austauschbar sind.

Stellvertretend für alle Völker

Nach diesen Großprojekten widmet sich Kienholz ab den 1970er Jahren gemeinsam mit seiner Frau Nancy breiteren Themenkomplexen wie Politik, Medien, Religion oder der Diskriminierung von Minderheiten. Nur noch vereinzelt greifen Werke auf konkret Erlebtes zurück, beispielweise Claude Nigger Claude, ein Porträt des einzigen Schwarzen am Wohnort der Künstler und eine Parabel für die gescheiterte Chancengleichheit von Schwarzen und Weißen. Die spektakuläre Ozymandias Parade von 1985 steht beispielhaft für einige spätere Werke des Künstlerpaars zu allgemeiner gefassten Themen. Die absurde Militärparade behandelt im großen Rundumschlag Imperialismus, Aufrüstung, versteckte politische Korruption, blinden Patriotismus und unreflektierte Religionshörigkeit. Ideen für diese Arbeit lieferten sicher die neokonservativen Strömungen der Zeit, der Anführer der Parade ist jedoch kein Porträt des damals regierenden Ronald Reagan, sondern die allgemeine Personifikation eines Machthabers an sich. So kann die Parade stellvertretend für alle Völker marschieren.

Themen die sich nicht abnutzen

Gleichwohl ob ein Werk nun ein konkretes Ereignis oder weiter gefasste Themenkomplexe zum Ausgangspunkt hat, Edward und Nancy Kienholz nehmen sich stets handfeste und benennbare Themen vor. Das passt gut ins Bild welches wir von Edward Kienholz als einem Künstler haben, der von Anfang an das Robuste, Materielle und Handwerkliche dem Filigranen, Feingeistigen und Intellektuellen vorzog. Dazu passt auch die handfeste und direkte Bildsprache die er erst allein und später mit Nancy entwickelt hat. Sehr fein wiederum war offenbar das Gespür dafür, diejenigen Themen ihrer Zeit auszumachen, die sich im Gegensatz zu den Materialien, nicht abnutzen. So kommt es, dass die Kienholzschen Werke als „Zeichen der Zeit“ gleichzeitig historisch und hochaktuell sind. In diesem Zusammenhang ist eine interessante Frage leider nicht mehr zu beantworten, aber doch ein Gedankenspiel wert: Lebte Edward Kienholz noch, für welche Themen würden sich das Künstlerpaar heute entscheiden?