Das Museum Angewandte Kunst macht Richard McGuires Comicroman "Here" zur begehbaren Ausstellungsbühne, in der man mühelos zwischen Hier und Jetzt, Gestern und Heute switchen kann.

Zeitreisen, Wurmlöcher, Beaming! Fantastische Konzepte einer Ära, in der die ultimativen Konstanten Raum und Zeit, die x- und die y-Achse des menschlichen Lebens, im Science-Fiction- Modus standen. Heute scheint man sich selbst in diesem Genre weitestgehend damit abgefunden haben, dass Reisen durch Zeit und Raum auf der Erde recht ernüchternden Beschränkungen unterliegen. Die virtuelle Cloud bietet bescheidene Möglichkeiten, zumindest Datenpakete von hier nach da zu schicken, sie im virtuellen Raum aufzubewahren. 

Der Mensch aber reist immer noch von A nach B, meist viel schneller, doch qualitativ kaum anders als zu Beginn des vorletzten Jahrhunderts. Die Begeisterung für künstliche Intelligenz wird zum Ausdruck der eigenen Beschränkungen: Im Angesichte der AI, wie sie in dieser Alleskönner-Form aktuell tatsächlich nur in Literatur und Film existiert, erscheinen die menschlichen Möglichkeiten erst recht bescheiden. „Ex Machina“ und „Her“ statt „Zurück in die Zukunft“.

Extended Version eines Comicstrips

Die Kunst kann derlei Beschränkungen zum Glück lässig umgehen. Richard McGuire beispielsweise hat mit „Here“ einen Comicroman geschaffen, der seinen Leser mühelos die Grenzen der Zeit überwinden lässt, indem er einfach den Raum festlegt: Eine der beiden Konstanten muss schließlich als Anhaltspunkt bestehen bleiben, möchte man nicht völlig lost in time & space umherschweben. Mit diesem simplen Kunstgriff gelingt es McGuire, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu einer großen Narration zu verschmelzen. Denn was war diese Wohnzimmerecke, die hier gezeichnet wurde, vor 10, 20, 500 oder 10.000 Jahren? Was existierte und passierte hier, nomen est omen? Bisonweide, See und Sumpf, Nierentisch und Sessel, Kamin, Jahrhundertwende, menschliche und tierische Bewohner erscheinen auf der Bildfläche. Und weil all das im Comic noch immer abstrakt, weil gedrucktes Papier bleibt, hat das Museum  Angewandte Kunst ebenjene Wohnzimmerecke, in ihren unterschiedlichen Zuständen, zur begehbaren Ausstellung verwandelt.

Richard McGuire: Here, (farbig, 300 Seiten), Pantheon Books, New York 2014.
Richard McGuire: Here, (farbig, 300 Seiten), Pantheon Books, New York 2014.

„Here“ ist so etwas wie die extended version eines Comicstrips, den McGuire bereits 1989 veröffentlichte. Mehr als ein Jahrzehnt später erscheint schließlich die 300-seitige und voll colorierte Version in Form eines Comicromans, der von Kritikern, Lesern und anderen Comiczeichnern, darunter der ebenfalls stark mit Zeit und Raum beschäftigte Chris Ware, gleichermaßen gefeiert wird. Dabei greift „Here“ die schöne Comictradition, Ebenen bewusst zu brechen und den Leser rasant durch Raum und Zeit zu katapultieren, auf, um sie mit großer formaler Konsequenz auf den Punkt zu bringen. In die manifestierte Gegenwart lässt McGuire Schnipsel der letzten Jahrtausende hineinragen, woraufhin das Jetzt selbst schon wieder wie die Vergangenheit der Zukunft anmutet. Neben seiner Arbeit als Illustrator und Zeichner ist der New Yorker vor allem als Bassist der Post-Discopunk-Gruppe „Liquid Liquid“ bekannt, eine seiner Basslines gehört zu den berühmtesten, weil meist gesampelten der Welt.

Wenn Comicgeschichten in ein anderes Medium transportiert werden, dann ist es für gewöhnlich das bewegte Bild: Superhelden-Epen erleben aktuell ein großes Revival, Marvel verschafft einer Figur nach der anderen eine eigene Serie. Ob die Übersetzung der traditionell zweidimensionalen Erzählform in die dritte Dimension funktioniert? Schließlich ergeben sich aus dem Vorhaben gleich zwei spannende Bruchstellen: Zum einen die Übersetzung von Papier in die Skulptur, zum anderen die inhaltliche Herausforderung – also die Übersetzung von McGuires Zeitverschmelzung in die persönliche Erfahrung des Besuchers. Der kann hier zwischen verschiedenen Raumansichten aus dem Comicroman hin - und her switchen, Panels aus dem gedruckten Buch werden zu begehbaren Bühnen, die den Lauf der Zeit exemplarisch nachvollziehen lassen. 2014, 1915, 1352, 10.000 vor Christus, 2006, 1990. 

Richard McGuire, © Sarah Shatz
Ausstellungsansicht ZeitRaum. Nach “Here” von Richard McGuire, © Sarah Shatz

Die wahrhaftige Zeitreise bleibt einem natürlich auch hier verwehrt. So lässt sich die aktuelle Ausstellung vor allem als Versuchsanordnung lesen: Wer verschmerzen kann, dass auch die Transformation in die dritte Dimension noch immer ein paar Stationen von der wahrhaftigen Zeitreise entfernt bleibt, der wird im „ZeitRaum“ eine spannende Transformation vom Comic im Allgemeinen und von McGuires Comicroman im Speziellen vorfinden (der sich im Übrigen natürlich immer noch oder danach wieder zu lesen lohnt). Der Erschaffer dieser Welt schien jedenfalls ganz angetan: Richard McGuire präsentierte die Ausstellungsräume stolz auf seinem Instagram-Account, wo sie losgelöst vom konkreten Ort durch den digitalen Äther schweben. Zwischen den Raumansichten ein anderes Foto, Schaufensteransicht mit großen Leuchtlettern, aufgenommen an der Bedford Avenue: PAST PRESENT FUTURE.

Ausstellungsansicht ZeitRaum. Nach “Here” von Richard McGuire, Foto: Anja Jahn, © Museum Angewandte Kunst