Dominik Gussmann zeigt im Frankfurter Ausstellungsraum EULENGASSE großformatige Radierungen und Lithografien. Wir haben mit ihm und Volker Steinbacher, Dozent an der HfG Offenbach, über das Potenzial der Druckgrafik gesprochen.

Lichtdurchströmt und leicht erscheint der Frankfurter Ausstellungsraum EULENGASSE dieser Tage. Und doch trägt die Einzelausstellung von Dominik Gussmann, Absolvent der Hochschule für Gestaltung Offenbach, eine schwere Thematik. „Legal Limbo“ heißt die Schau. So bezeichnen Menschenrechtsorganisationen Orte wie das Gefängnis auf Guantanamo Bay – „eine staatlich sanktionierte Vorhölle“ gewissermaßen, so Gussmann. Illegitim ausgeübte Gewalt ist Dominik Gussmanns Thema. Er übersetzt es in großformatige Ätzradierungen und Lithografien.

Vládmir Combre de Sena, Kurator Ausstellungsraum EULENGASSE im Gespräch mit Dominik Gussmann, Foto Eugen El

In seiner Konzeption lässt sich Gussmann von Theodor W. Adornos Essay „Odysseus oder Mythos und Aufklärung“ leiten. Anhand von Homers „Odyssee“ zeige Adorno das Janusköpfige und Zwiespältige der westlichen Kultur. Dominik Gussmann spannt mit Adorno einen Bogen von der antiken Mythologie zur Waffentechnologie des 20. und 21. Jahrhunderts. So begegnet man auf Gussmanns Drucken abwechselnd Protagonisten antiker und biblischer Texte, aber auch Militärdrohnen und den Atombomben von Hiroshima und Nagasaki. Gussmann sieht Senecas Selbsttötung und die Enthauptung von Holofernes durch Judith in einer Reihe mit dem umstrittenen Drohnenkrieg der Obama-Administration – als illegitime Gewalt.

Akribisch und technisch

Seine Bildmotive bezieht Dominik Gussmann teils direkt aus der europäischen Kunstgeschichte. So zitiert er beispielsweise Gemälde von Peter Paul Rubens und Lucas Cranach d. Ä. Manchmal fertigt er im Vorfeld eigene digitale Vektorzeichnungen an. Gussmann arbeitet hauptsächlich in der Technik der Fotoradierung. Er betreibt aber auch Lithografie (Steindruck). Als Bildmotive nutzt Gussmann digitale, gerasterte Fotografien und Bilder. Bei der Radierung wird das Motiv in einem fotochemischen Verfahren – mittels UV-Licht – auf die Druckplatte übertragen. Das Bearbeiten der Platte mit einer Stahlnadel entfällt. Stattdessen wird das Druckmotiv mit Natronlauge und Säure hergestellt, weshalb man von Ätzradierung spricht.

Dominik Gussmann, "Mythos und Aufklärung (Odysseus)", 70 cm x 100 cm, Fotoradierung, 2016

Dominik Gussmann schneidet seine Druckmotive anschließend aus. In der digitalen Bildbearbeitung würde man das als „Freistellen“ bezeichnen. So kann Gussmann mehrere Drucke auf einem Blatt collagieren. Auch für seine jüngst entstandenen Lithografien nahm er eine digitale Abbildung zur Grundlage. Die Drucke zeigen Fragmente der Totenmaske von Friedrich Nietzsche. Gussmann zerschlug den Kalkstein, der als Druckplatte diente, mehrmals, so dass das Motiv jedes Mal variiert. Seine Arbeitsweise bezeichnet er als „akribisch und technisch“. Bis zu einer Woche brauche es zuweilen, bis ein Blatt entsteht. Sein Ansatz sei „aus wildem Experimentieren“ hervorgegangen, sagt Gussmann.

Die „spezielle Materialästhetik“

Schon seit 2009, seit Beginn seines Studiums an der HfG Offenbach, arbeitet Dominik Gussmann in der dortigen Druckgrafikwerkstatt, anfangs noch unter Peter Baum. Seit 2011 unterrichtet der Künstler Volker Steinbacher das Fach freie Druckgrafik an der HfG. Im Gespräch erzählt Steinbacher, er habe sich um eine Neuausrichtung der Werkstatt bemüht. Er entschied sich dafür, die an der HfG stark präsenten digitalen Medien mitzureflektieren. „Von Anfang an war die Druckwerkstatt voll, und sie wurde zunehmend voller“, berichtet Volker Steinbacher.

Dominik Gussmann, "Judith und Holofernes", 60cm x 80cm, Fotoradierung, 2015

Die Studenten suchten nach Dingen, die man im Digitalen nicht finden kann. Einen anderen Zugang zur Linie nennt Steinbacher als Beispiel, während Dominik Gussmann die „spezielle Materialästhetik“ der Druckgrafik erwähnt. Auch experimentierten die Studenten mit Cyanotypie (Eisenblaudruck) und Kallitypie (Sepiadruck) und kombinierten die beiden Druckverfahren mit digitaler Fotografie. „Jeder hatte ein anderes Verfahren für sich entwickelt“, resümiert Steinbacher. Darunter waren auch exotisch klingende Ansätze wie das „Laser-Bügeleisen-Verfahren“. Auf der Suche nach experimentellen Druckverfahren wurden einige Studenten auch auf YouTube fündig. Volker Steinbacher kommt es vor allem darauf an, „auf andere Weise“ Bilder zu erzeugen. Er stellt dennoch klar: „Wir betreiben hier keinen Handwerkskult.“

Arbeit in zwei Schritten

Als Besonderheit der Druckgrafik gegenüber anderen künstlerischen Medien nennt Steinbacher die Arbeit in zwei Schritten. So stellt man zuerst eine Druckplatte mit dem gespiegelten Bildmotiv her, um dann erst drucken zu können. In diesem Prozess stecke „eine Vielzahl künstlerischer Entscheidungsmöglichkeiten“, so Steinbacher. Andererseits seien auch viele Zufälligkeiten dabei, ergänzt Gussmann. Mögliche Unregelmäßigkeiten und das Ungeplante – es sei „eine Art Materialwille“, sagt Volker Steinbacher. Darin sieht er eine Chance: „Im Idealfall entsteht etwas, das über das eigene Wollen hinausgeht.“

Dominik Gussmann und Volker Steinbacher im Gespräch, Druckgrafikwerkstatt der HfG Offenbach, Foto Eugen El
Dominik Gussmann, "Mythos und Aufklärung (Polyphem I)", 70 cm x 100 cm, Fotoradierung, 2016