Kuratorin Anna Goetz eröffnete die erste Ausstellung in ihrem temporären Projektraum „Roberta“ im Bahnhofsviertel – mit Arbeiten von George Rippon, Moyra Davey und Lynn Hershman Leeson.

Hört man den Namen „Roberta", kommt einem womöglich zunächst einmal die begnadete Soulpianistin Roberta Flack in den Sinn -- weniger ein Kunstraum im Frankfurter Bahnhofsviertel.

„Roberta ist entstanden, als ich vor einiger Zeit mit der Künstlerin Lena Henke in der Küche saß und wir über Namen für einen Raum herumgesponnen haben", erklärt Anna Goetz. „Für mich war ganz klar: es muss ein Frauenname sein -- schließlich werden Boote auch mit Frauennamen getauft". Was zunächst wie eine willkürliche Namenswahl anmutet, umreißt wahrscheinlich wie kaum ein anderer Titel am besten, was die neue Kunstplattform der Kuratorin in der Münchener Straße eigentlich ausmacht: Roberta ist Anna Goetz zweiter Name, ein Name, den sie bisher verheimlicht hat, da sie ihn eigentlich „inbrünstig hasst", wie sie gesteht.

Mit diesem ersten eigenen Projektraum präsentiert sich Anna Goetz, die viele in Frankfurt vor allem als kuratorische Assistentin von MMK-Direktorin Susanne Gaensheimer kennen (mit der sie bereits den Deutschen Pavillon auf der Venedig Biennale 2013 organisiert hat und aktuell als Ko-Kuratorin die Triennale Kleinplastik in Fellbach 2016 vorbereitet) erstmals von einer ganz anderen Seite. Fern vom institutionellen Rahmen soll es bei ihrem Ausstellungsraum um persönliche Begegnungen in ihrer eigenen Wohnung gehen, die ihr als zeitweilige Ausstellungsfläche dient. Ein Jahr lang will Anna Goetz hier junge Künstler, die sie begleitet und schätzten gelernt hat, in kleinen Gruppenausstellungen in Dialog mit etablierten Positionen bringen und hin und wieder zu kuratierten Filmvorführungen laden. Feste Ausstellungszyklen und Öffnungszeiten soll es ganz bewusst nicht geben. Ein Format, das es so in Frankfurt nicht allzu häufig gibt.

So ist der Name „Roberta" im Grunde genommen erstes Indiz für das Thema der Eröffnungsausstellung, „What We Know", mit Arbeiten von George Rippon, Moyra Davey und Lynn Hershman Leeson. Hier dreht sich alles um das Selbstbild, das nie frei von Konstruktion sein kann. Dass Identität stets als Fiktion begriffen werden muss, schildert die Künstlerin und Pionierin der Medienkunst, Lynn Hershman Leeson, mit ihrer selbst erschaffenen Kunstfigur Roberta Breitmore. Lange vor der Digitalen Revolution hat Leeson die heutigen Kernthemen der digitalen Netzkultur vorweggenommen, Doppelidentitäten erfunden, um die Beziehung zwischen Mensch und Technik und deren Potenziale zu ergründen. Von 1974 bis 1978 lebte die Künstlerin zeitweise als Roberta Breitmore mit neuem Führerschein und Bankkonto und unterzog sich sogar psychoanalytischen Sitzungen, die Leeson in der gezeigten Arbeit „Roberta's Body Language Chart" (1978) in Momentaufnahmen festhält und mit Anmerkungen zur Körpersprache versieht.

Direkt gegenüber hängt eine Reihe von gerahmten Papierzeichnungen des Künstlers George Rippon: Eine Auswahl von Szenen aus verschiedenen Filmen, in denen unstete Beziehungskonstellationen in den Blick genommen werden und die Rippon anhand seiner individuellen Erinnerungen in scheinbar flüchtigen Skizzen wiedergibt. In einem Bild sehen wir den Schönheitschirurgen Robert Ledgard aus Almodóvars „Die Haut, in der ich wohne", der aus dem Vergewaltiger seiner Tochter das bildschöne Ebenbild seiner toten Frau erschafft („Untitled (In Treatment)", 2015). Eine andere Zeichnung katapultiert uns zurück in dem berüchtigten „Club Silencio" aus David Lynchs Streifen „Mulholland Drive" (2001), wo die zwei Hauptdarstellerinnen fassungslos erstarren, als ein Ansager auf der Bühne verkündet, alles bereits Geschehene sei nur Illusion. Wenn Sein und Schein miteinander verschmelzen, ist es fraglich, ob wir das Wesen der Dinge überhaupt noch hinter einer Fassade suchen müssen. Wenn das äußere und innere Ich zusammentreffen, gerät die eigene Identität ins Schwanken. Vor den Zeichnungen ragt eine baumartige Pfahlskulptur Rippons mit dunkler Spitze aus einem Eimer heraus. Zwei gefundene Holzbalken sind in vager Pose übereinander montiert, wobei nachträglich eingesetzte Pflöcke wie markante Einkerbungen hervorstechen und den instabilen Fuß mit der stolzen, jedoch angekohlten Spitze verbinden. Es handelt sich um Rippons Interpretation seiner eigenen Familie, zusammengehalten von einem blauen und gelben Zurrgurt mit der Mutter am oberen Ende, gefolgt von seinem Zwillingsbruder und ihm.

In dem danebenliegenden Raum läuft der Film „Les Goddesses" (2011) der Künstlerin Moyra Davey, die ähnlich wie Rippon auf ihr eigenes Lebensbild blickt und dieses mit biografischen Schriften von Künstlern, Literaten und Philosophen neu verwebt. Während Davey mit einem Tonbandgerät durch ihr New-Yorker Studio flaniert, spricht sie geduldig einen über Kopfhörer tönenden Text nach, den sie zuvor selbst eingesprochen hat. Manchmal verhaspelt sich ihre Stimme dabei. In diesem erzählerischen Fluss verschwimmen ihre eigenen Lebensereignisse mal mit Tagebucheinträgen des Filmregisseurs Louis Malle, mal mit persönlichen Aufzeichnungen Goethes.

Jede Position in der Ausstellung „What We Know" entlarvt letztlich die Identität des Subjekts zunehmend als unhaltbare Fiktion -- im Wissen um die Untrennbarkeit der Außenwelt und des Ichs. Man könnte meinen, dass nicht nur die Künstler in ihren Arbeiten, sondern auch die Kuratorin selbst mit dieser Eröffnungsausstellung die Frage aufwerfen, ob nicht jede menschliche Identität irgendwie als schizophren zu begreifen ist. So unterliegt das Selbst doch immer wieder reproduzierten Spiegelungen, die nicht nur das Verhältnis von einer Person zu sich selbst, sondern auch das zu ihrem Nächsten bestimmt.

Man darf gespannt sein, wie Anna Goetz jene tiefgründigen Konstellationen in ihren nächsten Ausstellungen weiterführt. Geplant ist etwa ein gemeinsames Projekt mit der Kuratorin Franziska Glozer und der Dichtung Hannah Weiners, die um ein ganz eigenes Verständnis der menschlichen Psyche kreist sowie dem mexikanischen Künstler Rodrigo Hernández.