Bereits einige Wochen bevor im Gallus das „Ninti’s“ eröffnet, findet hier eine Reihe von Ausstellungen statt

Gegen 11 Uhr morgens im Gallusviertel. „Guck Dir einfach mal an, wie hier jetzt praktisch aus dem Nichts heraus Etwas entsteht“, sagt der Eventmanager und Gastroberater Hannibal Tarkan Daldaban. Dann greift er zu einer Sackkarre, um nacheinander eine Reihe Stehtische, einen Tischkicker und eine Tischtennisplatte auf den Hinterhofparkplatz neben der ausgemusterten Spielothek an der Mainzer Landstraße 229 zu schleppen. Kurz darauf biegt ein himmelblauer Kleinbus um die Ecke. Ein Mann steigt aus, der auf dem Kopf einen Strohhut und in der Hand eine Milchkanne trägt. Mit seinem ländlichen Outfit wirkt er in diesem urbanen Winkel einen kurzen Moment lang wie ein Fremdkörper. Das ändert sich aber schnell. Denn innerhalb weniger Minuten rollen drei weitere Food-Trucks heran und bilden zusammen den „Korrekt“-Food-Court, der hier seit einigen Monaten die Geschäftsleute im Viertel in der Mittagspause mit raffinierten Leckereien versorgt.

Die Food-Trucks sind nur das erste Lebenszeichen eines Großprojekts, das Hannibal zusammen mit dem Investor Harald Franz hier auf dem Gelände verwirklicht. Ursprünglich wollte Franz vier Spielotheken unter einem Dach betreiben. Als 2014 ein neues Gesetz eingeführt wurde, das eine derart hohe Dichte von Slot-Machines verbot, musste eine von zwei bereits bestehenden Spielhallen wieder zurückgebaut werden. Einige in Folie verpackte Sportwetten-Terminals stehen noch auf der Baustelle herum, über die Hannibal uns jetzt führt. Fenster und Wände des zweistöckigen Gebäudes sind mit rot gestrichenen Rigipsplatten verschalt, die nun entweder entfernt oder übermalt werden. Anthrazit soll später die dominierende Farbe sein. Überall liegen Deckenbalken, Rohre oder Kabel frei.

Hinter der Beton-Brutal-Fassade (die übrigens bald ein Graffiti verpasst bekommt) soll ein ambitionierter Mix aus Club, Bar, Konzerthalle, Kantine und Galerie entstehen: das Ninti’s – benannt nach Hannibals Tochter. „Man kann ja nur ein Lebenswerk haben“, kommentiert er die Namenswahl. Im Grunde ist Hannibal aber dagegen, den Räumen eine allzu starre Rolle zuzuweisen. Lieber spricht er davon, wie wichtig es ist, die richtigen Leute zusammenzubringen, damit etwas Spannendes passiert. „Soziale Choreographie“ nennt er das. In den verwinkelten Gebäuden rund um die Spielhalle will er Fotografen, Künstler, Programmierer und Designer ansiedeln. Langfristig ist ein Kreativzentrum geplant – ähnlich wie zum Beispiel die Zollamt-Studios in Offenbach.

Internationale Gäste im Ninti's

Kunst ist aber schon jetzt ein Thema. Noch bevor das „Ninti’s“ (wahrscheinlich im Oktober) offiziell eröffnet, lässt Hannibal hier seine Pop-Up-Galerie „Punkt“ wieder auferstehen – ein kreatives Zwischennutzungskonzept in leerstehenden Immobilien, mit dem er vor zwei Jahren bereits den ehemaligen Frankfurter Club Monza bespielte. Den Auftakt im Ninti’s macht am 7. August die Ausstellung „Flow“, die von Julie Mia Struve und Aileen Treusch kuratiert wird. Ebenso wenig wie Hannibal bei der Einrichtung der Räume die Vergangenheit des Ortes leugnen will (bei den geplanten Barhockern handelt es sich zum Beispiel um irre bequeme Spielhallensessel), wollen auch Struve und Treusch so tun, als stünden sie hier in einem Museum. Was angesichts der knallroten Wände auch wirklich schwierig wäre. Die beiden lernten sich vor anderthalb Jahren im Masterstudiengang Kunstgeschichte an der Frankfurter Goethe-Uni kennen. Struve hatte zuvor am Chelsea College of Fine Art in London Bildende Kunst studiert. In den Offenbacher Zollamt Studios gründeten sie die Non-Profit-Initiative „saint art“, die Ausstellungen in Off-Locations veranstaltet. 

Julie Mia Struve und Aileen Treusch

Für die Gruppenausstellung „Flow“ haben sich Struve und Treusch Künstler aus dem Umfeld von HfGund Städelschule ausgesucht – aber auch internationale Gäste wie zum Beispiel John Franzen aus Maastricht. Einige Werke befassen sich ganz unmittelbar mit dem Thema „Spiel“. In seiner Performance lädt der Städel-Absolvent Felix Bolze die Besucher zum Kartenspiel ein und an den Stehtischen auf dem Street-Food-Market macht eine Gruppe von Wirtschaftswissenschaftlern einfache, spieltheoretische Publikumsexperimente. „Es geht um Verlustängste und Ehrlichkeit“, sagt Julie Mia Struve. Außerdem gibt es eine weitere Performance der Künstlergruppe „Play“ (15.8.), um die Komponistin Jagoda Szmytka. John Franzen steuert Zeichnungen bei, die auf fast schon meditative Art und Weise entstehen. „Jeder Atemzug ein Strich“, kommentiert Aileen Treusch. „Franzen geht voll und ganz in seiner Tätigkeit auf. Er zelebriert den Flow als Schaffensmoment und als Schwebezustand, wie man ihn vielleicht auch beim Spielen erlebt“, sagt Struve und schlägt damit die Brücke zum Thema und zum Ort der Ausstellung. Der Darmstädter Künstler Willi Bucher ist mit einer Videoinstallation vertreten, die den Titel „Zivilisationsrest“ trägt. Kevin Egerer, der an der HfG studiert hat, stellt im Rahmen einer Rauminstallation Zeichnungen und Holzarbeiten aus. Finissage der Ausstellung ist am 20. August.

Anschließend machen die beiden Kuratorinnen mit einem zweiten Teil weiter, zu dem sie die Künsterlin Siou Soiu aus Taipeh eingeladen haben. In ihre Performance „Smartphoneparty“ können sich die Besucher mit dem Handy einloggen. Außerdem kann man am Roulettetisch ein Kunstwerk gewinnen, wer will kann in dieser Aktion einen Seitenhieb auf die Casinomentalität des Kunstmarkts begreifen. Im September findet im Ninti’s dann eine weitere Ausstellung statt, die von Moses Mawila und Anette Abel kuratiert wird.