Am Wochenende gab das Berliner Medienkunstfestival Transmediale Einblicke in die Kunstproduktion zwischen Hacking, Whistleblowing und digitaler Kultur. Ein Rundgang über die Ausstellung.

Wie ein digitales Meeresrauschen wabert die Soundkulisse durch die Ausstellungshalle des Hauses der Kulturen der Welt. Mit computergenerierten Stimmen klagen arbeitslose Avatare ihr Leid. Eine gehackte Computerfestplatte spuckt private Bilder, Dokumente und Cache-Dateien im Eiltempo aus, gefunden wurde sie auf einer Elektroschrotthalde in Nigeria. Ein Künstler trägt ein Magnetfeld vor sich her – er hat sich mehrere Ringe aus ausrangiertem Fernsehdraht durch den Bauch piercen lassen und performt die Vision des selbstbestimmten Cyborgs. Und mitten im Trubel der Transmediale 2014, auf einem Flachbildschirm, brennt ein Lagerfeuer, die Flammen züngeln über alten Computern, Tastaturen und Mäusen.

Ein bisschen ekelig, sehr beklemmend und so kühl wie die Touchscreens unserer Telefone und Tablets ist die Atmosphäre beim „Art Hack Day“, als nach einem 48-stündigen Hackathon die Türen öffnen. 80 Künstler und Hacker haben in dieser kurzen Zeit Exponate für die zentrale Ausstellung des Berliner Medienkunstfestivals geschaffen, das Projekt entstand in Kooperation mit dem Berliner Projektraum LEAP (Lab for Electronic Arts and Performance).

Das Gefühl, das sich hier einstellt, will nicht so recht zu der Metapher passen, die Leiter Kristoffer Gansing und sein Team zum Leitmotiv der 27. Festivalausgabe gemacht haben. Mit dem „Afterglow“, wörtlich dem Nachglühen der Sonne in der Dämmerung, beschreiben sie den Abend der digitalen Revolution. These: Die Euphorie hat sich abgenutzt, wir sind in einen postdigitalen Moment eingetreten, in dem E-Waste-Berge in schwindelerregende Höhen wachsen, dunkle „Clouds“ über unseren Köpfen hängen, Geopolitik im Internet gemacht wird und Big Data-Kapitalismus herrscht. Wohlig und entschleunigend wie das rote Glühen am Abendhimmel wirkt diese Gegenwart nicht.

Immer online sein, immer gläsern.

Und ungestört lässt sich der digitale Sonnenuntergang auch nicht genießen. Die Smartphones der Besucher schreien im Minutentakt auf, sie empfangen Textnachrichten von verschlüsselten Absendern. „Welcome to your new NSA partner network IMSI:262032012970051“. „Spying Reform 2014-A6. Embrace Our Transparency.“. „Still. Do Not Switch Off Device“. Immer online sein, immer gläsern. Willkommen am Morgen danach: Der Spaß ist vorbei, der Kopf tut weh. Eben haben wir die digitale Revolution noch gefeiert, jetzt sind wir mit einem Kater aufgewacht. Was einst so vielversprechend frohlockte – Freiheit, Basisdemokratie, glänzende Interfaces – zeigt jetzt sein wahres Gesicht.

Spätestens seit Whistleblower Edward Snowden die Welt über die Spähattacken der NSA aufgeklärt hat, haben auch die letzten Optimisten Partyhütchen und Tröte zur Seite gelegt. In der Medienkunst übt man schon seit Jahren Kritik am politischen und ökonomischen Machtgefüge des Digitalen. Der „Art Hack Day“ spielt noch einmal das ganze Repertoire dieser Kritik durch: Künstler jagen Glitches, gezielt programmierte Darstellungsfehler, über Bildschirme, hacken Hardware, türmen sie zu E-Waste-Skulpturen auf, nehmen Technologien auf die Schippe, etwa solche, die zur Gesichtserkennung eingesetzt werden, und demonstrieren mit Interventionen im Internet Emanzipation.

Unzählige Werke flirren durchs Netz, der Overkill hält Einzug in die Kunstproduktion der Gegenwart. Konzepte wie Autorenschaft und Künstleridentität lösen sich allmählich auf. Und dann auch noch das: Der Kurator ist analog, im postdigitalen Zeitalter kuratieren Kollektive, es ist die erste Transmediale ohne Ausstellungskurator. Irgendwie fühlt sich dieses Mal alles etwas anders an. Die Ästhetik des postdigitalen Lebensgefühls ist gekommen, um eine ganze Weile zu bleiben, so scheint es. Die Mediennostalgie liegt in den letzten Atemzügen, nur noch ein paar gehackte alte Joysticks, klobige Computerkisten und Diakarusselle sind dabei. Noch einmal spielen mit dem geliebten Schrott, verabschiedet euch, das Internet der Dinge wartet.