Die Kunsthalle Mainz zeigt den belgischen Videokünstler David Claerbout, der die Grenze zwischen stehendem und bewegtem Bild auslotet und dabei Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verschwimmen lässt.

Drei schwere Betonpfeiler, elf farbenfrohe Motorroller, über vierzig still aufschauende Männer, eine den Boden überspannende glitzernd-mäandernde Wasseroberfläche und nur zwei Regenmäntel – David Claerbouts jüngste Arbeit „Oil workers (of the Shell company of Nigeria) returning home from work, caught in torrential rain“ (2013) zeigt weder die nach der Schicht verlassene Fabrik, noch das dynamische Heimströmen der Arbeitermasse. Und doch erweisen Titel wie auch das Werk selbst ihre Reverenz an den Kurzfilm „La Sortie de l’Usine Lumière à Lyon“ (1895), eines der bekanntesten Beispiele des frühen Kinos der berühmten Brüder Lumière. Gemeinsam ist beiden Arbeiten die Faszination für Bewegung und Zeit sowie die hingerissene Beobachtung des Lichtspiels.

Rückschauen

In David Claerbouts Arbeiten finden sich nicht nur Verweise auf die Filmgeschichte. Nach einer klassischen Malereiausbildung in Antwerpen kam der Belgier als Sammler zur Fotografie. In seinen Videoarbeiten verwischen die Grenzen zwischen den Disziplinen, wie etwa bei den „Oil Workers“, wo eine klassisch-malerische Komposition, angelehnt an das Bürgerportrait des 17. Jahrhunderts, aufgeht in einer Videoarbeit mit minimaler Bewegung, sodass man sie fast für ein 3D-Foto halten könnte. Das Bildergebnis flirrt zwischen seinen Quellen, eine handfeste Deutung lässt sich nicht ziehen. Die konstante Rotation der Kamera, die schließlich auf dem hell reflektierenden Schmutzwasser zur Ruhe kommt, hält den Moment in der Zeitlosigkeit gefangen.

Der Moment davor

Das fließende Wasser nimmt auch bei der Zweikanal-Videoinstallation „Riverside“ (2009) eine zentrale Position ein. Entlang eines geräuschvoll plätschernden Flusses inmitten der Vulkanlandschaft der Auvergne laufen die Geschichten zweier Protagonisten scheinbar auf einander zu. Die Erwartung eines Zusammentreffens lässt den zögernden Fortgang immer spannender werden. Doch während das Wasser konstant weiterfließt, stellt sich heraus, dass die beiden Wege zwar am gleichen Ort, doch nicht zur gleichen Zeit enden. 

Auch die Arbeit „Arena“ (2007) fokussiert den Moment davor. Eine Art Diaschau zeigt die Basketballspieler und das Publikum der Antwerp Giants einen Sekundenbruchteil bevor der Ball in den Korb geht – aus einer Vielzahl von Perspektiven. Man meint den weiteren Fortlauf, die Zukunft, zu kennen und doch wird die Erwartung nie befriedigt. Was aussieht wie der festgehaltene Augenblick eines turbulenten Spiels ist zudem die perfekte Täuschung. Aufwendig stellte Claerbout dutzende Einzelaufnahmen jeder seiner Figuren her, um aus ihnen ein Gesamtgeschehen zu komponieren.

Modellierung der Zeitlichkeit

Die Arbeiten von David Claerbout sind eng verwoben mit Gilles Deleuzes Filmtheorie. Analog zu den Darstellungen des Philosophen sieht der Betrachter in den Videoarbeiten des Künstlers nicht die Zeit als Maß der Bewegung, sondern die Bewegung als Gerüst der Zeit. Die stimmungsvolle Strandszene etwa, die Claerbout in „The Quiet Shore“ (2011) abbildet, ist dem Anschein nach nicht allein durch Bildmanipulation, sondern mittels künstlerischer Modellierung von Zeit kreiert worden.

Die kühle Stimmung der monochromen Videoarbeit erfasst den ganzen Raum wie eine kühle Seebrise. Eine nicht endende Anzahl von Blickachsen und Rückenfiguren nimmt den Betrachter als einen von vielen Zuschauern in das Bild mit auf. Der Betrachtete, ein Junge der kraftvoll ins Wasser greift, durchbricht mit seinem energischen Akt die Ruhe des sonst spiegelglatten Meeres. Während auch diese Bewegung auf ihrem Höhepunkt in Stillstand versetzt wurde, wird der Betrachter zur Brücke in die Gegenwart. 

Nach der Doppelausstellung Attila Csörgő / Roman Signer ist David Claerbout die zweite große Schau von Thomas D. Trummer, dem neuen künstlerischen Leiter der Kunsthalle Mainz. Situiert im ehemaligen Kesselhaus am Mainzer Zollhafen erwarten den Besucher dort großformatige Erzählungen, die ihre Qualität aus dem Zusammenspiel der Bildformen gewinnen.