Möbelstücke aus der Vergangenheit: Einst dienten sie dem Besucher der ersten Documenta-Ausstellungen vor den Größen der Modernen Kunst als Sitzgelegenheit. Tobias Rehberger transformiert sie zu Kindermöbeln und erinnert damit an das enge Nachkriegsdeutschland.

Was haben diese Stühle, Hocker und Bänke mit den großen Künstlern der Modernen Kunst – Picasso, Pollock und Hartung – zu tun? Und warum zeigt Tobias Rehberger Kindermöbel in seiner Ausstellung? Eine erste Assoziation: Rehberger hat die Künstler als Sitzmöbel portraitiert, ähnlich seiner Vasen-Portraits. Die Genese dieser Sitzgelegenheit ist jedoch eine andere und lässt sich fast nur durch Hintergrundwissen, das uns der Künstler allerdings gibt, erfassen. 

Die Vorbilder für die Kunstwerke waren Möbelgruppen, welche auf der documenta I (1955), documenta II (1959) und documenta III (1964) als Sitzgelegenheiten für die Besucher dienten. Die Titel generieren sich aus Werken, vor welchen die Möbel standen. Rehberger transformierte somit nicht die eigentlichen Ausstellungsobjekte in Möbel, sondern kopierte die Plätze, von welchen aus man die Kunstwerke betrachten konnte. Weniger sind wir an die Künstler Jackson Pollock, Picasso oder Hans Hartung erinnert als vielmehr an das Design der Nachkriegszeit in der Bundesrepublik.

Die ersten drei documenta-Ausstellungen standen alle unter der Leitung Arnold Bodes und Werner Haftmanns. Tobias Rehberger, selbst Jahrgang 1966, hat diese nicht besuchen können, sondern die Sitzgelegenheiten von Fotografien reproduziert. Durch die documenta versuchte die BRD nach der Isolation vom internationalen Kunstgeschehen mit dieser großen Überblicksschau wieder Anschluss zu finden. Für die meisten Deutschen waren die frühen documenta-Ausstellungen die erste Begegnung mit zeitgenössischer Kunst. Viele junge Künstler sahen im zerstörten, oft beengten Nachkriegs-Deutschland auf der documenta II erstmalig die großformatigen abstrakten Malereien der Amerikaner.

Die Besucher saßen auf den Vorbildern der von Rehberger reproduzierten Möbel und betrachteten, was wenige Jahre zuvor durch die Nationalsozialisten in diesem Land noch verfemt war. Rehberger hat die Sitzgelegenheiten jedoch nicht eins zu eins kopiert, sondern einen künstlerischen Verfremdungseffekt angewendet: sie sind auf die Größe von Kindermöbel geschrumpft. Eine mögliche Erkärung für diesen Eingriff: vor den internationalen Größen der modernen Kunst hat sich der deutsche Betrachter vor fünfzig Jahren vielleicht – mit der unmittelbaren unrühmlichen deutschen Vergangenheit im Hinterkopf – klein gefühlt.

Rehberger stellte diese Sitzgelegenheiten erstmals 1995 in seiner Ausstellung „Cancelled projects“ in der Kunsthalle Fridericianum in Kassel aus. Und somit an jenem Ort, an welchem auch die documenta stattgefunden hat. Er nutzte den Ort seiner Ausstellung als Inspirationsmoment, wie er das auch schon für seine sogenannten "Kamerun-Stühle" getan hat.