Das SCHIRN MAG besuchte Yoko Onos erstes Deutschland-Konzert seit 27 Jahren, das die Künstlerin anlässlich ihres 80. Geburtstages in der Berliner Volksbühne gab.

Es zwitschert in der Volksbühne. Zum Beginn von Yoko Onos erstem Deutschland-Konzert seit 1986 läuft ihr „Fly“-Film auf imposanter Leinwandgröße – allerdings mit Vogelstimmen statt dem charakteristischen Soundtrack aus simulierten Fliegengeräuschen. Ono-Freund und -Kurator Jon Hendricks weiß: „Yoko likes birds a lot recently“ – ah, ja. Im Anschluss demonstriert das Berliner Electropop-Trio Jiga Eva Masumi mit seinem YouTube-Hit „Hey, Yoko Ono“ nicht nur die Hipster-Anbindung der Gastgeberin, sondern geht als kürzeste Vorgruppe der Welt gleich auch ins Guinness-Buch der Rekorde ein. Es folgt eine 15-minütige Dokumentation über das bisherige Wirken des Geburtstagskindes und dann ist sie auch schon da: Yoko Ono.

Die Hauptstadtpresse war naturgemäß schon Tage vorher aus dem Häuschen und wusste, das Ono mit der Wahl des historischen Ortes für den Jubiläumsgig vor allem Bertolt Brecht Tribut zollen wollte. Das Konzert war ebenfalls schon einen Monat vorher ausverkauft. Im Publikum Zausel-Alarm; bereits die Frankfurter Performance hatte ja schon gezeigt, dass der gemeine Beatles-Freak mittlerweile seinen Frieden mit der Hexe a. D. gemacht hat, Ono vielmehr nun als Verlängerung des seligen Gatten ins Diesseits versteht.

Die große Überraschung des Abends ist aber die sehr gut eingespielte, jüngste Inkarnation der Plastic Ono Band – 1970 von John und Yoko mit wechselnden Mitgliedern gegründet, mittlerweile unter Führung des gemeinsamen Sohnes Sean Ono Lennon aus dessen New Yorker Musikerfreunden (darunter Yuka Honda von Cibo Matto) anlässlich des 2009er Albums „Between My Head and the Sky“ zusammengestellt. Es ist Sean Lennons unbedingter Verdienst, seine Mutter bereits Mitte der 1990er-Jahre aus einem musikalischen Kontext gelöst zu haben, der oftmals nur auf der bloßen Diskrepanz zwischen traditionellen Rock- und Pop-Backgrounds und der vermeintlichen Exotik von Onos Stimme beruhte. Stattdessen maßschneiderte er ihr einen stilistischen Rahmen, der sich lose auf Noise und Funk Rock bezieht, der Protagonistin aber genügend Raum für ihre Vokal-Eskapaden lässt. Gleichzeitig bot er auch genügend Anschlusspunkte zur zeitgenössischen Musik, die die späte Reputation Yoko Onos als Musikern erst möglich machte und den Boden bereitete für kongeniale Kollaborationen wie zuletzt mit Thurston Moore und Kim Gordon von Sonic Youth oder den Neo-Psychedelikern der Flaming Lips.

Deren bassschweres Dub-Monstrum „Do It!“ fungiert denn auch das Passepartout für die gelungensten Momente des Konzertabends, wenn sich die Band in repetitiven, dichten Jams zu verlieren scheint, Ono aber gleichzeitig die feste Formen bietet, in der sich der freie Geist entfalten wie entrückt seine Sirenenschreie ausstoßen kann. Am zwingendsten vollzieht sich das beim Song „Moving Mountains“ oder der neuen Komposition „Cheshire Cat“, auf denen sich das gutturale Gurren und Schnurren Onos als Loop auf einem rudimentären Musikbett zu einem hypnotischen Hexengesang auftürmt. Das ist unerhört und könnte gerne so Stunden weitergehen, gerade auch weil die fast 80-Jährige während der gesamten 90 Minuten keinerlei Ermüdungsanzeichen zeigt, vielmehr tänzelt, quatscht und kichert sie sich durch den gesamten Konzertabend und kümmert sich erfrischend wenig um Konzert-Konventionen Das ist dann manchmal wie beim 80. Geburtstag der eigenen Oma, wo die Jubilarin auch gerne mal etwas tüddelig oder auch einfach nur stur sein darf. Da stört auch kaum, das Ono bei der als schmissigen Discofox gegebenen Version ihres größten Hits „Walking On Thin Ice“ durch Textschwächen glänzt – was interessiert sie schon die Vergangenheit? Die Frau ist offensichtlich ganz im Hier und Jetzt.

Gut informierte Kreise wussten ja bereits vorher, dass sich die internationalen Musikstars unter den Wahlberlinern ein Stelldichein zum Ono-Event geben würden. Und so durften dann zum Finale neben Peaches, die bereits „Yes I’m A Witch“ im Duett mit Yoko gesungen hatte, auch noch Rufus und Martha Wainwright, Robyn Hitchcock und ein stark ergrauter Michael Stipe ein Geburtstagsständchen singen und schließlich zum unvermeidlichen „Give Peace A Chance“-Chor ansetzen, der nicht nur F.A.S.-Autor Niklas Maak ungute Erinnerungen an deutsche Kirchentage weckte.

Offensichtlich sieht man es in den USA nicht ganz so eng mit verfrühten Gratulationen und bestimmt war es in Tokio oder New York oder sonstwo in der Welt bereits der 18. Februar, so dass sich die versammelte Prominenz nach Ende des Konzerts beruhigt in die urige Kantine des Volksbühne zurückziehen konnte, wo es so aussieht, als wäre Bertolt Brecht kurz mal raus zum Zigarettenholen. Auch das Geburtstagskind zog es nach kurzer Ehrenrunde schon vor der Geisterstunde wieder von dannen, schließlich sollte es am tatsächlichen Jubeltag dann noch Geburtstagskuchen in der Paris Bar geben. Das ausgerechnet an diesem Datum der Tod des frühen Beatles-Mitstreiters Tony Sheridan bekannt wurde, dafür kann Yoko Ono nun aber wirklich nichts.