26 Jahre lang war der Tisch vor der SCHIRN Kunsthalle regelmäßig Spielort für Kunstprojekte im öffentlichen Raum. Nun muss er der Rekonstruktion der Frankfurter Altstadt weichen – ein Abschied.

Oft wurde die Frage gestellt, was das denn sei, dieses Betongebilde neben der SCHIRN. Der sogenannte „Tisch“ ist integraler Bestandteil der Architektur der SCHIRN Kunsthalle, die Anfang der 1980er-Jahre von der Architektengruppe Bangert, Jansen, Scholz und Schultes geplant und 1986 eröffnet wurde. Er fügt sich nicht nur architektonisch in das Gesamtgefüge der SCHIRN ein, sondern war im Laufe der Jahre auch immer wieder Bestandteil von spannenden künstlerischen Projekten im öffentlichen Raum. Nun soll der Tisch der Rekonstruktion der Altstadt zwischen Dom und Römerberg weichen. Nach Einsprüchen des Architekten Dietrich Bangert, der das Urheberrecht an dem SCHIRN-Gebäude hat, wurde dieser in das Preisgericht des Wettbewerbs zur Überbauung des archäologischen Gartens eingebunden und stimmte schließlich dem Abriss des Tisches zugunsten der Neugestaltung zu.

Satellit und Monument

Auch in den 1980er-Jahren gab es Befürworter und Gegner einer Bebauung mit zeitgenössischer Architektur am Römerberg. Unter fast 100 Wettbewerbsteilnehmern setzte sich die Gruppe Bangert, Jansen, Scholz und Schultes mit ihrem Entwurf des postmodernen Gebäudes der Schirn durch. Es wird durch eine ausgewogene und subtile Komposition archetypischer Architekturelemente wie Wand, Säulenreihe und Rotunde bestimmt und ist und auf kreuzförmigem Grundriss in einem Spannungsfeld zwischen den Türmen des Doms und der Nikolaikirche platziert.

Der Tisch bildet dabei einen einfachen Kubus gegenüber dem Dom, einen Raum im Außenraum. Er ist, wie Bangert in einem Katalog zur Architektur am Römerberg schrieb, „ein frei nutzbarer Satellit der SCHIRN oder ein Monument“. Das haben auch viele Künstler so gesehen. Im Folgenden möchten wir noch einmal einige Projekte auf oder um den Tisch Revue passieren lassen.

Mark Bain, „Pill“, 2002

Von „Pill“ ging gleichermaßen eine Faszination wie eine Gefahr aus. Der geschlossene, in die Mitte des Tisches gespannte Zylinder enthielt einen mechanischen Oszillator, dessen rotierende Bewegungen den Zylinder und das Gebäude mit Vibration aufluden. An der Grenze des Hörbaren wurden Energien physisch auf die architektonische Form übertragen. „Pill“ war Teil der Ausstellung „Frequenzen [Hz]“, die 2002 eine Reihe internationaler, im Bereich der „Sound Art“ führender zeitgenössischer Künstler präsentierte.

gelitin, „Im Arsch des Elefanten steckt ein Diamant“, 2003
Christoph Büchel, „Dummy“, 2003

Die österreichische Künstlergruppe „gelitin“ hat ihre Arbeit einmal als Ausdruck des Wunsches beschrieben, Situationen zu schaffen, die wir bisher vermisst haben könnten. Zum Beispiel mit der Arbeit „Im Arsch des Elefanten steckt ein Diamant”, die die Besucher der Ausstellung „Auf eigene Gefahr“ anzuregen versuchte, sich an einer Aufsichtsperson vorbeizustehlen, über wackelige Bretter in 10 Meter Höhe zu balancieren und besagten Diamanten aus dem „Elefantenkörper“ zu ziehen. Auf eigene Gefahr, versteht sich.

Ein Gefahren- und Irritationspotential ging auch von Christoph Büchels „Dummy“ aus, einer auf dem Römerberg platzierten Polyethylen-Attrappe einer F16, des erfolgreichsten Kampfflugzeuges der amerikanischen Luftwaffe, die ebenfalls im Rahmen der Ausstellung gezeigt wurde.

Jan De Cock, „Denkmal 7, Schirn Kunsthalle Frankfurt, Römerberg 7, Frankfurt am Main“, 2005

Wie alle seine Arbeiten, ordnete sich auch Jan De Cocks „Denkmal 7, Schirn Kunsthalle Frankfurt, Römerberg 7, Frankfurt am Main, 2005“ in die vorhandene Umgebung ein, kommunizierte mit der vorhandenen Architektur genauso wie mit dem sozialen Umfeld und stellte gleichzeitig Distanz her. Aus Holz und anderen Materialien gefertigte Wand-, Boden- oder Deckenteile sowie ineinander verschachtelte Nischen und Kisten in minimalistischer Ästhetik ließen eine strenge, geometrische und doch geheimnisvolle, verführerische Landschaft entstehen, die in den Blick eingriff und ihn ständig neu organisierte. Gebäude wie das damals noch bestehende Technische Rathaus entwickelten durch den durch Jan De Cocks Strukturen geführten Blick plötzlich ganz neue, spannende ästhetische Reize.

20 Jahre SCHIRN, 2. September 2006

Ihren zwanzigsten Geburtstag feierte die SCHIRN mit einem großen Tag der offenen Tür. Auch das Gebäude wurde vom Architekturbüro „osa“ festlich ausgestattet: der Tisch mit einem Tischtuch, der Boden mit einer Bordüre und die Rotunde mit Geburtstagskerzen, die über den Dächern Frankfurts einen Leuchtkranz bildeten. 

Eva Grubinger, „Spartacus“, 2008

Die österreichische Künstlerin Eva Grubinger machte sich für „Spartacus“ ebenfalls die spezifische räumliche Situation der SCHIRN zunutze und positionierte ihre Arbeiten an drei Orten: in der Rotunde und auf dem Tisch im Außenraum sowie im Kabinett im Innenraum. Die quadratische umzäunte Installation auf dem Tisch bestand aus zwei einander gegenüberliegenden Tribünen. Der Beobachter beobachtete den Beobachter. Im Kabinett versperren ein weiteres Zaunstück und grelles Scheinwerferlicht dem Besucher den Weg. Auch in diese Arbeit ging es Eva Grubinger um Manifestationen von Macht und Ohnmacht. 

Michael Sailstorfer, „Untitled (Junger Römer)“, 2008

Speziell für die SCHIRN entstand Michael Sailstorfers große Lichtinstallation „Untitled (Junger Römer)“, die vom Tisch in den Stadtraum leuchtete. Der Titel des mächtigen, acht Meter langen Leuchtröhrengerippes entstand in Abwandlung des Songtitels „Junge Römer“ des Musikers Falco. Gleichzeitig spielt er auf den benachbarten „Römer“, das historische Frankfurter Rathaus, an. Das Original der Tafel, Aushangschild eines Radioherstellers der ehemaligen DDR, befindet sich noch heute als Reklame-Ruine hoch über den Dächern von Berlin-Mitte. Für die SCHIRN hat Sailstorfer seinem Neonröhrenobjekt ein Leuchtprogramm verpasst, wie es zu DDR-Zeiten über Berlin geblinkt haben könnte. In dieser Arbeit verband sich für Sailstorfer die Erinnerung an eine Musik, die vom Lebensgefühl der 1980er-Jahre zeugt, mit der Erinnerung an einen Staat, der nicht mehr existiert. Die Arbeit war Teil der Einzelausstellung „Michael Sailstorfer. 10 000 Steine“.

Playing the City 1, 2, 3, 2009-2011

Das Ausstellungsprojekt „Playing the City“ erschloss den öffentlichen Raum als einen kollektiven, freien und gestaltbaren Raum. Internationale Künstlerinnen und Künstler bespielten von 2009 bis 2011 für jeweils rund zwei Woche die Frankfurter Innenstadt – und natürlich den Tisch.

Raumlabor, „Küchenmonument“, 2009

Das „Küchenmonument“, das zur Eröffnung von „Playing the City 1“ realisiert wurde, gehört zu den spektakulärsten Projekten von Raumlabor. Eine semitransparente Raumhülle aus Kunststoff entfaltete sich per Überdruck aus einer Metallskulptur, wuchs wie eine Kaugummiblase an und lehnte sich weich an die umgebende Architektur. In dem Raum, der dabei entstand, konnten über 150 Menschen essen, trinken und sich unterhalten.

For Use / Numen, „Tape Installation“, 2010

Das österreichisch-kroatische Designkollektiv For Use / Numen lässt mit handelsüblichem Klebeband in Innen- und Außenräumen begehbare Installationen entstehen, die wie schwebende, transparente Kokons wirken und an biomorphe Architekturentwürfe und urbane Utopien der 1960er- und 1970er-Jahre erinnern. Für „Playing the City 2“ entstand eine neue, eindrucksvolle Variante dieser Arbeit, welche die Architektur des SCHIRN-Tisches einbezog und von den Besuchern mit Begeisterung auf ihren Bequemlichkeitsfaktor überprüft wurde.

25 Jahre SCHIRN, 10. Februar 2011

Mit der Ausstellung „Surreale Dinge. Skulpturen und Objekte von Dalí bis Man Ray“ feierte die SCHIRN ihr 25-jähriges Bestehen. Zur Eröffnung verwandelte die in Frankfurt lebende Künstlerin Sandra Kranich mit dem siebenminütigen Feuerwerk „Time Tower, Firework“ den Tisch in eine leuchtende Skulptur.

Das Feuerwerk hat der Tisch schadlos überstanden, den Raumbeschaffungswillen rund um die Rekonstruktion der Altstadt nicht. Die Gerüste stehen schon und in wenigen Tagen wird der „Rückbau“, wie es so schön heißt, abgeschlossen und der Tisch verschwunden sein. Das Areal rund um den Tisch wird von der SCHIRN weiterhin für künstlerische Aktionen genutzt werden. Vielleicht baut ihn ja ein Künstler im Rahmen eines Projektes wieder auf.

Upper Bleistein, „Die drei Croissantfabrikanten aus Upper Bleistein zeigen, was sie gebaut haben“, 2011

Für „Playing the City 3“ betätigten sich die drei Künstlerinnen der Gruppe Upper Bleistein als eigenwillige Stadtplanerinnen und verwandelten den Tisch der SCHIRN in ein Haus: Auf dem Dach wurde ein Gewächshaus für heranwachsende Pflanzen installiert, dessen Luftzufuhr mittels einer beweglichen Hauswand und eines riesigen Blasebalgs funktionierte. Das Bauwerk wartete und unterhielt sich selbst, der hausinterne Stoffwechsel konnte als rätselhafter Kreislauf von Besuchern in Gang gesetzt werden.