Mit in Kamerun gefertigten Stühlen hinterfragt Tobias Rehberger den sakralen Status westlicher Designklassiker. Welche? Klicken Sie auf die Punkte im interaktiven Bild!

Ist das Kunst oder kann ich darauf sitzen? Tobias Rehberger lässt bezüglich solcher Fragen gerne eine Restunsicherheit im Raum stehen. So auch in der SCHIRN, wo sich jetzt mehrere Stühle und Hocker aus Holz, Stahl und Leder in die raumgreifende, vom Künstler selbst entworfene Ausstellungsarchitektur fügen. Irgendwie bekannt kommen sie einem vor, irgendetwas stimmt aber nicht mit diesen ausgestellten Sitzgelegenheiten. Darauf sitzen soll man wohl nicht, so viel ist klar.

Ihre Form ist bekannt. Es handelt sich um Designklassiker des 20. Jahrhunderts, Inkunabeln der Moderne. Doch ist es wirklich die richtige Form? Die Proportionen und die etwas plumpen Gestalten irritieren. Der Betrachter wühlt in der Erinnerung und versucht die Vorbilder vor seinem geistigen Auge zu visualisieren. Genau das tat Rehberger, als das Goethe Institut in Yaoundé, Kamerun, ihn vor 20 Jahren einlud, eine Ausstellung zu zeigen. Er skizzierte die Designerstücke aus dem Gedächtnis und ließ sie in dem zentralafrikanischen Land von einheimischen Handwerkern fertigen.

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Rehberger bringt Vorstellungen von Autorenschaft und Urheberschaft gewaltig ins Wanken, und zwar zweifach. Einmal, indem er ein Original kopiert, auch noch leichtfertig, mit locker geschwungenem Bleistift. Und dann lässt er die Stühle auf dieser vagen Grundlage von jemandem herstellen. Es ist ein wenig wie stille Post. Rehberger desakralisiert sich selbst als Künstlerperson. Es ist postmoderne Konzeptkunst, die aus der Moderne zitiert und Bruchstücke ihrer Designgeschichte als Devotionalien entlarvt, die erst durch einen bestimmten soziokulturellen Kontext zu solchen werden, während sie in anderen wertlos sind. Ihre Urheber, die gefeierten Künstlerdesigner des 20. Jahrhunderts, die im Westen wie Heilige verehrt werden, profanisiert Rehberger ebenfalls, im Ausstellungsraum: ein doppeltes Paradox.

Deutsche Kolonialgeschichte wird gerne mal vergessen

Die sich so ergebende Irritation eröffnet Raum für alle möglichen Lesarten und Assoziationen. Dabei kann Rehbergers Werk durchaus politisch werden. Die Analyse von Wesen und Funktionsweisen von Gedächtnis in dieser Werkserie wird zur Metapher für die in Deutschland gerne mal vergessene Kolonialgeschichte. Ende des 19. Jahrhunderts wurde Kamerun zur deutschen Kolonie und über mehrere Jahrzehnte hinweg wirtschaftlich ausgebeutet, nach dem Ersten Weltkrieg verwalteten Frankreich und Großbritannien das Land. Die Kolonialherrschaft wirkt im unabhängigen Kamerun nach, die Werkserie verweist auch auf das ökonomische Ungleichgewicht.

Die meisten der Designklassiker, auf die Rehberger sich bezieht, entstanden in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, als die europäischen Kolonialherren noch wüteten. Parallel blühte die Moderne auf. Das von Walter Gropius gegründete Bauhaus schrieb erst in Weimar und dann in Dessau den Fortschritt in die Designgeschichte ein. Kunst, Technologie, Architektur und Gestaltung sollten verschmelzen, auch um den Menschen, und zwar der Masse, ein besseres Leben zu ermöglichen -- komfortabel, schlicht, ästhetisch, erschwinglich. Dass die auf Funktion und Form reduzierten Arbeiten von Bauhäuslern wie Marcel Breuer zu Luxusobjekten werden sollten, ist Ironie der Geschichte. Und ein weiteres Paradox.