Biber, Pfau und Bison: In „Migration“ streifen Tiere durch Motelzimmer – und der Mensch kann ihnen dabei zuschauen.

Wer in der Doug Aitken-Ausstellung durch den „Migration“-Raum schritt, der konnte hier viele bewundernde und entzückte „Aaaws“ und „Ohhhs“ hören, sobald Biber und Co. die Szenerie der menschenleeren Motelzimmer betraten. Unmittelbare Emotionen auslösen – darin sind vor allem Tiere mit Fell und putzigem Gesicht immer noch Meister ihres Fachs.

Geliebt, gefürchtet, überhöht und gequält: Das Verhältnis von Mensch und Tier war und ist ein ambivalentes. Lange Zeit galt das Tier vor allem als Bestie, gefürchtet und bekämpft – lebendig werden diese Mythen noch heute in den Märchen der Gebrüder Grimm, in antiken Sagen und mittelalterlichen Malereien. Nach und nach machte sich der Mensch das Tier dann als Nutzvieh zu eigen, womit die Gattung nach und nach ihren Schrecken verlor (auch, wenn der böse Wolf natürlich gerade unter Tierhaltern gefürchtet blieb).

Mit dem gesellschaftlichen Wohlstand kam die Entdeckung des Tieres als Gefährte und Hausfreund: Erst, wenn es einem Großteil der Menschen einigermaßen gut geht, kann er sich um die Versorgung von Hund und Katze, Wellensittich und Teichfisch kümmern. Daher waren Haus- lange Zeit vor allem als Hoftiere den Adeligen und Mächtigen vorbehalten: Sie begleiteten die Hausherren als Reittiere oder Jagdhunde, bewachten die stattlichen Anwesen und waren als Schoßhündchen für gelangweilte Prinzessinnen im Einsatz. Auch exotische und wilde Tiere übten seit jeher eine Faszination aus: König Henry von England war nicht der einzige Monarch, der sich einen Zoo mit prächtigen Exemplaren aus aller Welt leistete.

Die Transformation zum weit verbreiteten Indoor-Tier, das ganz am behaglichen Familienalltag teilnehmen darf, nahm mit der bürgerlichen Gesellschaft seinen Lauf. Parallel hierzu entdeckte die Rechtsprechung mit Beginn des 20. Jahrhunderts auch in Deutschland langsam den Tierschutz für sich – die wichtige Errungenschaft trieb nur wenig später auch radikale Blüten bis hin zu offen antisemitischen Tiraden, die offenbaren, wie sehr das Tier auch für seine vermeintlichen Freunde Projektionsfläche für menschliche Sehnsüchte und Abgründe bleibt.

„Tiere um uns sind keine besseren Menschen, in ihrer Welt herrscht des Stärkeren Recht“ sang Jochen Distelmeyer der Hamburger Band Blumfeld im durchaus liebevollen Lied „Tiere um uns“ einmal, die Überhöhung des Tieres als nobleres Geschöpf kommentierend. So sehr sich der Mensch auch eine moralische Bewertung herbeisehnt – dass das Tier bösartig oder wohlwollend handelt, ist höchst fraglich, sehr viel eher existiert es fernab ethischer (und somit eben immer: menschlicher) Kategorien. Und doch ist es eben mehr als nur ein Ding, handelt es auf eine ihm ureigene Weise, dessen innerstes Geheimnis sich dem Beobachter kaum erschließen mag.

Kaum verwunderlich, dass Tiere nicht zuletzt in der Kunst zum beliebten Motiv wurden: Von den mittelalterlichen Malereien mit Höllenhunden und ähnlich schaurigen Wesen bis hin zu den neuesten Bemühungen, klecksende Tiere selbst als Künstler und somit handelnde Subjekte anzuerkennen – neben Primaten übt sich unter anderem auch ein Nacktmull im Malen –, spiegelte sich auch hier immer wieder das hohe Symbolpotential des unbekannten und doch so vertraut scheinenden Wesens wider.

Doug Aitkens „Migration“ (2008) konzentriert sich zunächst ganz auf die Beobachtung der Fell- und Federwesen. Sie residieren im „All Star Inn“ oder checken im „Motel 6“ ein: Ein Elch stolpert ins Zimmer, sieht sich skeptisch um, ein Fuchs läuft zielstrebig zum Puzzle, das auf dem Boden ausgebreitet liegt, ein Bison schiebt den Vorhang zur Seite, als wollte er aus dem Fenster blicken.

Aitken inszeniert die tierischen Darsteller, wie er anderswo Menschen ins Bild setzt: Mit unendlicher Ruhe, sehr fokussiert, sehr vereinzelt. Die Bildsprache verstärkt den Eindruck, es handele sich hierbei um einen ganz und gar menschenleeren Ort. Doch natürlich ist der Mensch alles andere als abwesend: Er hat das Licht gesetzt, die Kamera positioniert, er hat die Tür geöffnet, durch die der Fuchs ins Zimmer stürmt, und natürlich hat auch er das Wasser eingelassen und nicht der Biber.

Was tun Tiere also im Motel? Dasselbe, was sie draußen tun: Rumstehen, Rumliegen, ¬--Untersuchen, Baden, Zerfetzen (ein paar Hotelkissen müssen dran glauben), Sachen herunterschmeißen. Ihnen dabei zuzusehen, sie ihrem natürlichen Kontext zu entreißen und das Reh anstelle menschlicher Gäste die Minibar zerdeppern zu lassen, kann die tierischen Wesen vertrauter wirken lassen, den Eindruck gegenseitiger Fremdheit noch verstärken – oder beides zugleich. Doug Aitkens Filme fangen die Ambivalenz dieser Beziehung, die ohne den Beobachter nicht gedacht werden kann, in melancholisch-schönen Bildern ein.