In Basel hat die Ausstellung "Poesie der Großstadt. Die Affichisten" eröffnet. Co-Kuratorin Esther Schlicht erwartet die Ausstellung mit Spannung in der Schirn und erfreut sich am bereits erschienenen Katalog.

Dass ein Ausstellungskatalog bereits Monate vor der Eröffnung einer Ausstellung gebunden und verschweißt auf dem Tisch liegt, kommt selten vor. Meist darf man sich glücklich schätzen, wenn er ein oder zwei Tage vor Eröffnungstermin geliefert wird und man nicht noch am Morgen der Pressekonferenz um den rechtzeitigen Eingang bangen muss. Umso erhebender ist es, bereits heute durch die Publikation zur Ausstellung "Poesie der Großstadt. Die Affichisten" blättern zu können, die wir Anfang Februar in der Schirn eröffnen.

Die Ausstellung stellt fünf Künstler vor, die im Paris der 1950er-Jahre zu Pionieren der Street-Art wurden, indem sie auf der Straße erbeutete Plakatwände zum Ausgangspunkt ihrer Werke machten. Ihre ebenso rauen wie poetischen Bilder faszinieren noch immer und nehmen vieles vorweg was heute, gerade im Hinblick auf die jüngere Kunst, wieder an Aktualität gewinnt. In Kooperation mit dem Museum Tinguely entstanden, hat die Ausstellung in Basel bereits eröffnet und stößt dort auf begeisterten Zuspruch. Daher auch der frühe Katalog und die gesteigerte Vorfreude auf die Präsentation in Frankfurt im kommenden Frühjahr.

Wenn der Katalog nun über Tage und Wochen hinweg so daliegt, fällt der Blick immer wieder auf das Cover, das dem Buch gewissermaßen sein Gesicht verleiht. Oft liegt bei der Vorbereitung einer Katalogpublikation gerade in der Wahl des Covermotivs eine der mühsamsten Entscheidungen. Im Falle der Affichisten konnten wir uns zum Glück schnell einigen und entschieden uns für "Cet homme est dangereux" [dt.: "Dieser Mann ist gefährlich"]. Das Werk stammt vom französischen Künstler Raymond Hains, der auch als der Erfinder oder Initiator des künstlerischen Verfahrens der Décollage gelten kann. Es geht zurück auf ein politisches Plakat aus dem Jahr 1957, das von anonymen Passanten derart zerrissen wurde, dass in tieferliegenden Papierschichten etliche Streifen blauen, schwarzen und weißen Untergrundes sichtbar werden und weite Partien kaum mehr entzifferbar sind. Nur der Titel "Cet homme est dangereux" ist deutlich zu lesen.

Wer aber ist dieser gefährliche und dabei freundlich lächelnde Mann, dessen Name ebenfalls kaum mehr erkennbar ist und vor dem die Öffentlichkeit hier gewarnt werden soll? Pierre Poujade war ein rechtsextremer Politiker, der in Frankreich Mitte der 1950er-Jahre zu immenser Popularität gelangte und der in diesem Aufruf seiner antiparlamentarischen und republikfeindlichen Gesinnung bezichtigt wird. Sein Aufstieg war symptomatisch für die Wirren der französischen Politik jener Zeit, die durch den Unabhängigkeitskrieg in Algerien noch verschärft wurden.

Im Geiste eines mit den Affichisten aufkommenden „neuen Realismus" spiegelt das mutwillig zerstörte Plakat die heftigen Auseinandersetzungen im politisch zerrissenen Frankreich der ausgehenden 50er-Jahre unmittelbar wider. Zugleich aber wird dabei ein politisches Plakat zum Gemälde, sehen die Rissspuren doch vielmehr aus wie anonym eingefügte Pinselstriche in einem abstrakten Bild. Der Text wiederum zerfällt in Stücke, wandelt sich zu sinnentstellter Lautmalerei. So ist das Werk typisch für die Kunst der Affichisten: Auf ihren Streifzügen durch die Metropolen der Nachkriegszeit entdeckten sie eine neue Poesie des urbanen Alltags. Dabei wurde ihnen ein politischer Aufruf, eine Werbung, ja, die ganze Welt der modernen Großstadt zum ästhetischen Erlebnis.