Marilyn Minter zeigt in der Ausstellung „Privat“ eindringliche Porträts ihrer Mutter. Wir waren in ihrem Studio in Downtown New York zu Gast und sprachen mit ihr über Frauenbilder in ihren Arbeiten und ihre Kundin Madonna.

Sie sieht aus wie ein alternder Hollywoodstar. Nur ist diese Frau auf dem Schwarzweißabzug nicht in feine Hüllen geworfen und steht auch nicht in einem Profistudio vor der Kamera. Sie liegt im Bett, eine Zigarette dampft in einer Hand. Die Haare sind sorgfältig frisiert, das Gesicht stark geschminkt, als halte die Frau krampfhaft an ihrer welkenden Weiblichkeit fest. Ihre Brüste liegen schlaff auf dem fleischigen Bauch, bedeckt sind sie lediglich von einem dünnen Nachthemd. Ein Träger ist über die Schulter gerutscht und gibt der Frau mit dem düsteren Blick ein bizarres laszives Antlitz. Als Marilyn Minter ihre Mutter porträtierte, war die Künstlerin gerade 21 Jahre alt. Heraus kam die legendäre Serie „Coral Ridge Towers“.

Heute ist Marilyn Minter 64 und arbeitet mit mehreren Assistenten in einem New Yorker-Studioloft in der Nähe des Times Square an neuen Werkserien – Fotos, Videos, Gemälde. Wir machen es uns auf dem Sofa gemütlich. Minter trägt eine elegante schwarze Bluse und schwarze Hosen, einen roten Bob, roten Lippenstift, eine modische Brille. Hinter dem glatten Gesicht lässt sich ihr Alter nur erahnen. Nach ihren Bildern von damals gefragt, reagiert sie emotionslos: „Die Leute sind fasziniert von diesen Bildern, aber für mich ist das einfach nur meine Mutter.“

„Ich zeigte die Bilder lange Zeit niemandem.“

Minters Mutter verbrachte zu dieser Zeit den ganzen Tag im Bett, nahm Tabletten, rauchte, trank. Sie zog sich völlig in ihren Privatraum zurück, machte sich aber immer noch täglich zurecht. Als die junge Kunststudentin an diesem Wochenende im Jahr 1969 bei ihr zu Besuch war, griff sie nach ihrer Kamera. „Mir war langweilig, also sagte ich: Mutter, setz deine Perücke auf, ich will dich fotografieren.“ Die Bilder nahm sie mit in den Unterricht, die Klasse war geschockt: „Oh mein Gott, sagten die anderen, ist das deine Mutter? Das war mir unglaublich peinlich, also zeigte ich die Bilder lange Zeit niemandem mehr, erst 1995 traute ich mich wieder.“

Die Ästhetik ihres Werks hat sich seit damals stark verändert. Statt kleiner Schwarzweißabzüge produziert Minter knallbunte hyperrealistische Fotos und poppige Gemälde. Um uns herum arbeiten fünf ihrer Assistenten, sitzen auf rollenden Bürostühlen vor großen Leinwänden und malen. Es ist viel zu tun, seit einigen Jahren ist Minter eine der gefragtesten Künstlerinnen der USA. Für die Gemälde erstellt sie Vorlagen aus übereinander montierten Fotografien, projiziert sie auf Leinwände und ihre Assistenten übertragen sie dann aufwendig in mehreren Schichten – das dauert bis zu einem Jahr.

„Plötzlich wirst du mit diesen Photoshop-Bildern verglichen.“

Zu Minters Kundenkreis gehört auch die Popsängerin Madonna. Für ihre „Green Pink Caviar“-Serie produzierte Minter ein Video, das Madonna bei ihrer „Sticky & Sweet“-Tour im Jahr 2009 in ihre Bühnenshow integrierte. Es zeigt eine Glasscheibe, die mit grüner, pinkfarbener und goldener Flüssigkeit beschmiert ist, dahinter volle Lippen und eine Zunge, die diese Flüssigkeit über die Scheibe schmiert. „Madonna hatte schon vorher Fotos von mir gekauft, überhaupt kauft sie viele Kunstwerke von Künstlerinnen“.

An einer Wand hängen ein paar neuere Fotografien. Sie entstehen meist analog, sind völlig unbearbeitet. Die Motive sind an Hochglanzmagazine angelehnt, arbeiten aber mit störenden Details: Ein Fuß in einem silbernen High Heel fällt durch eine schmutzige Ferse auf, aus einem aufgerissenen Mund ragt eine Zunge voller triefender goldener Flüssigkeit. „Die Dinge, die ich in meine Arbeiten ästhetisch einfließen lasse, werden oft als oberflächlich und minderwertig abgetan. Aber sie umgeben uns überall. Die Glamourindustrie ist ein bedeutender Wirtschaftszweig, sie bereitet Frauen ja tatsächlich viel Freude, macht ihnen aber gleichzeitig das Leben schwer: Plötzlich wirst du mit diesen Photoshop-Bildern verglichen. Ich versuche zu visualisieren, wie sich all das anfühlt.“

„Kunst ist oft ein Verarbeitungsprozess.“

In einer Werkserie aus dem Jahr 2007 inszenierte Minter eine aufgedunsene und alt wirkende Pamela Anderson. In diesen Arbeiten ist Angst zu spüren, die Angst davor, alt zu werden, dick zu werden, nicht mehr begehrenswert zu sein – gesellschaftlich suggerierte Ängste, die für Frauen heute gegenwärtiger sind als je zuvor. Es sind Themen, die schon in Minters beeindruckenden Bildern von ihrer Mutter stecken, und welche, die Minter heute mehr beschäftigen dürften als damals. Auf einem Tisch im Studio liegt ein Buch mit dem Titel „The Joys of Getting Older“.

Was sich im Vergleich zu damals verändert hat, ist vor allem die Vorstellung davon, welche Bilder zu intim sind, um sie der Öffentlichkeit zu präsentieren. Minter findet das gut: „Das Private hat oft mit Geheimniskrämerei zu tun und Geheimnisse machen Menschen krank. Das ist wie bei Menschen mit einer schrecklichen Kindheit: Je mehr sie darüber sprechen, desto weniger Macht hat diese Erfahrung über sie. Auffällig wenige gute Künstler kommen aus behüteten Verhältnissen. Kunst ist oft ein Verarbeitungsprozess.“