Fabian Hart schreibt über Leben und Überleben, unter anderem. Neben etymologischen Wendungen und anderer Wortakrobatik verwendet er dafür Mode als Ausdrucksmittel. Für ESPRIT MONTMARTRE kleidete er sich in Gemälde von großen Künstlern.

Picasso. Paul Verlaine. Eric Satie. Die Künstler in Paris um 1900 hatten keinen Bock auf Belle Epoque, auf geschöntes Leben hinter Materialismus und Etikette und genauso wenig auf Bourgeoisie, kleine Karos, Spießbürgertum. Auf einem Hügel namens Montmartre, am Rande der Stadt, standen sie über den Dingen und fanden eine neue Realness. Zwischen Prostituierten, Säufern und Straßenhändlern schufen sie sich ein zu Hause und einen Ort, an dem sie komponierten, malten, schrieben, also die Dinge taten, für die sie später berühmt wurden. Man nannte sie Bohémiens. 100 Jahre später verkümmerte das an Mary Kate und Ashley Olsen zum Boho-Chic, der auch für den zeitgleich aufkommenden Lebensstil der Bobos bekannt wurde, Oberschichtler, die in teuer gestalteten Second-Hand- und Lumpen-Looks zu Galionsfiguren des Unwortes Gentrifizierung wurden. Aber zurück zur Pariser Bohème. Die war nicht für ihre Kohle bekannt, zu dieser Zeit noch nicht einmal für ihre Werke, aber wohl für ihre Mode, die mal nach abgerockter Arbeiterkluft aussah (Picasso), oder die Mode der Belle Epoque veräppelte. Erik Satie, der als Ur-Bohémien gilt, trug abgewetzte Anzüge und zerrockte Zylinder.

An diesem Punkt beginnt die Geschichte dieses Beitrags. Als das SCHIRN MAGAZIN eine Kooperation zur Ausstellung "Esprit Montmartre" anfragte, war mir klar, dass ich weder in der Lage sein werde einen kulturwissenschaftlichen Beitrag zur Mode am Montmartre um 1900 zu schreiben, noch das Klischee des posenden Modebloggers bestätigen möchte. Mal eben so Picasso performen oder Toulouse-Lautrec nachstellen? Keine gute Idee. Ich vermutete die Herausforderung im Styling und begann, die Formen und Silhouetten der Mode damals in der heutigen Mode wiederzufinden. Beanie statt Zylinder. Zum Beispiel. Office Mate Anna Wegelin fotografierte die Looks an mir, aber die Bilder sahen aus wie unspektakuläre Zitate. Als ich das Projekt schon fast als gescheitert abhaken wollte, fiel mir auf, dass ich eine ähnliche Gesichtsphysiognomie wie Émile Bernard habe, der Romanautor, Maler und Grafiker, der von Henri de Toulouse-Lautrec 1885 portraitiert wurde. Ich legte also beide Bilder als Photoshop-Ebenen aufeinander und kam auf die Lösung. Die Gemälde selbst wurden zur Mode, die ich mir überzog, schließlich ist Layering auch ein Trend. Das ursprüngliche Motiv, das Original, blieb dadurch erhalten und somit das Gefühl für die Zeit der Bohémiens des Montmartre. Es wurde nicht überdeckt, sondern ums Heute ergänzt.

Fabian Hart avec Henri de Toulouse-Lautrec:

Fabian Hart avec Amedeo Modigliani:

Fabian Hart avec Ramon Casas:

Fabian Hart avec Pablo Picasso: