In ihrem Video „Good Morning, Sunshine“ (2009) dringt die US-amerikanischen Künstlerin Laurel Nakadate in der Ausstellung „Privat“ in fremde Schlafzimmer ein.

Der Betrachter wird in das Schlafzimmer eines schlafenden jungen Mädchens geführt, das vor laufender Kamera mit den Worten „Good morning, Sunshine. Time to get up!" sanft von einer Frauenstimme geweckt wird. „You're so pretty, you're such a pretty girl, you know you're the prettiest girl? Show me your feet ...", spricht die Künstlerin Laurel Nakadate weiter und lockt das noch etwas benommene und schläfrige Mädchen unter ihrer Bettdecke hervor. Dabei klingen die Anweisungen verführerisch und manipulativ zugleich. Dann lenkt die Künstlerin ihr Interesse auf das niedliche, kindliche Snoopy T-Shirt und sagt „Make Snoopy go bye-bye!" Es erweckt den Eindruck, als spräche sie mit einem Kleinkind. Nakadates Filmmaterial bewegt sich in einem Grenzbereich zwischen kindlicher Unschuld und pädophilen sexuellen Phantasien -- und lässt beim Betrachter heftig die Warnlampen aufleuchten.

Die weitere Entwicklung der Handlung ist unangenehm und zieht den Zuschauer trotzdem in ihren Bann. Man blickt sich verstohlen im Ausstellungsraum um: Ist es etwas verbotenes, sich den Fortgang dieses verstörenden Videos weiter anzusehen, obwohl man erahnt wohin all dies führen wird? Die Künstlerin überredet in ihrem Film engelsgleich und trotzdem unnachgiebig drei junge Mädchen, sich langsam vor der Kamera zu entblößen. Zögerlich und schüchtern folgen alle drei den Aufforderungen. Die Szenen enden, wenn die jungen Frauen sich bis auf die Unterwäsche ausgezogen haben. Was bleibt, sind drei unsicher wirkende Mädchen, die mit kindlichem Ausdruck auf ihren Gesichtern entblößt auf ihren Betten hocken. Der Betrachter ist irritiert.

Verführung und Provokation

Die amateurhaften Aufnahmen wirken nicht inszeniert und entfalten deshalb wohl umso heftiger ihre Wirkung. Tatsächlich handelt es sich um Laiendarsteller, und erst dieses Wissen verschafft dem Betrachter zumindest eine gewisse Erleichterung. Nakadates Regieanweisungen folgend wurden die Mädchen in ihren eigenen Schlafzimmern gefilmt. Die Schauspielerinnen wurden vorher gecastet und sehr sorgfältig ausgewählt, da sie sowohl jugendliche Unsicherheit als auch kindliche Unschuld ausstrahlen sollten. Gleichzeitig scheinen sie sich aber ihrer weiblichen Reize bereits bewusst. Wie die Künstlerin in einem Interview verrät, ist sie fasziniert von jener Lebensphase, in der sich Mädchen in junge Frauen verwandeln.

Nakadate verweist auf einschlägige Internetseiten, die sie zu „Good Morning, Sunshine" inspiriert haben; auf die Flut unzähliger Plattformen und Videos im Internet, mit deren Hilfe heute sexuelle Phantasien ausgelebt werden. Seiten, auf denen beiderlei Geschlecht -- zugegebenermaßen vorzugsweise Männer -- versuchen, das Gegenüber per Chatfunktion zu einem Striptease vor der Kamera zu bewegen. Was passiert, wenn eine Frau denselben Vorgang mit einer anderen, noch dazu sehr jungen Frau durchspielt? Nakadate konstruiert und dekonstruiert die Vorstellungen, Absichten und Phantasien hinter diesen manipulativen Begegnungen.

Die 1975 in Texas geborene Künstlerin spielt in ihren Arbeiten häufig mit Verführung und Provokation. Dabei schlüpft sie als Verführende oder Verführte, als Lockvogel oder Jägerin in eine Vielzahl von Rollen und bezieht fremde Personen in ihr Spiel mit ein. In ihren Filmen überredet Nakadate nicht nur junge Mädchen sich auszuziehen. Auch sie selbst lässt sich von fremden Männern verfolgen, besucht einsame Kerle in ihrem Zuhause oder tanzt in Unterwäsche zu Songs von Britney Spears. Oft genug begibt sie sich dabei in heikle Situationen und dokumentiert diese privaten Momente filmisch. Sowohl vor als auch hinter der Kamera behandelt die Künstlerin mit ihrer herausfordernden sexualisierten Bildsprache große Themen wie Macht, Einsamkeit und Sehnsucht.