Personenkult, Eliten und Riten: Beobachtet man den internationalen Kunstbetrieb, kann man durchaus Parallelen zu den Mechanismen geheimer Bünde erkennen.

Merkmale von Geheimbünden sind der strikte Wunsch nach Exklusivität der Gruppierung, die durch die Festlegung spezieller Aufnahmeverfahren für neue Mitglieder garantiert werden soll. Dieses Merkmal findet sich auch im zeitgenössischen Kunstbetrieb wieder: Im internationalen Kunstmekka London existiert seit langem, vor allem historisch bedingt, das in Deutschland unübliche Konzept des Members‘ Clubs für die Kreativ-Elite: Ein exquisiter Rückzugsort für zahlende Mitglieder, denen durch offizielle Bewerbungsverfahren und kritische Selektion Eintritt in eine exklusive Welt verschafft wird. Die „Initiation“ neuer Mitglieder in die geschlossene Gesellschaft des Members‘ Clubs geschieht durch die Prüfung ihres sozialen Status. Jene aufgenommenen Künstler, Galeristen, Filme- und Modemacher, Journalisten und Musiker genießen nach bestandenem Ausleseprozess besondere Privilegien. Als im Frühjahr 2010 das ‚Soho House‘ – einer der bekanntesten Members‘ Clubs in London mit Ablegern in Miami, New York und Hollywood – in Berlin eröffnete, war die Aufregung groß: gerade in Berlin, wo man zu Recht stolz ist auf seine demokratische und wenig elitäre Kunstszene, soll nun die künstlerische „High-Society“ von der Masse abgespalten werden! Mittlerweile, so hört man, hat sich das Verhältnis zum neuen Privatclub entspannt.

Die zeitgenössische Kunstszene erscheint Außenstehenden oft ebenfalls als verschworenes Konglomerat von Künstlern, Galeristen, Kuratoren, Sammlern, Orten (Basel, Miami, Maastricht, Venedig, London, New York etc.) und intellektuellen Themen. In der Anwendung besonderer Symbole und Codes, die nur von einer Gruppe Eingeweihter beherrscht zu werden scheinen, mag eine andere Parallele zwischen der Geheim- und der Kunstgesellschaft liegen. Zeichen und Codes materialisieren sich in der Kunstszene durch eine eigene Rhetorik, die benutzt wird, um Kunst in Worte zu fassen. Sicher hat jeder schon einmal die Erfahrung gemacht, eine Ausstellung zu besuchen, ohne das übergreifende Thema tatsächlich nachvollziehen zu können. Vor allem bei Gruppenausstellungen kann man manchmal erstaunt beobachten, welche Verbindungen, Muster und Zusammenhänge zwischen den entferntesten Themen hergestellt werden – es gibt kaum ein Thema, das nicht bereits inszeniert wurde. Diese Fähigkeit nimmt eine Internetseite namens „Lazy Curator“ humorvoll auf, indem sie sich eines Zufallsgenerators bedient, um die abstrusesten Ausstellungstitel zu generieren. Es entstehen Titel wie “Fantastic History: Figuring the Status Quo” oder “Postcolonial Illusion: Locality and Dysfunction”.

Ein wesentliches Merkmal von Geheimbünden – das Verschleiern ihrer Existenz, der unbedingte Wille zur verdeckten Aktivität – steht jedoch geradezu diametral dem heutigen Kunstbetrieb gegenüber. Während bei klassischen Geheimgesellschaften die Aufdeckung ihrer Existenz das Scheitern ihrer Ziele bedeutet, so scheint es in der Kunstszene ein explizites Bestreben zu geben, sich auf Aufsehen erregende Art und Weise öffentlich zu inszenieren. Die Macht der Medien und die modernen Kommunikationsmittel sind notwendige Mittel zur Darstellung der Kunstwelt als Sehnsuchtsort.

Die Autorin Claudia Stockhausen war fünf Jahre für eine internationale Galerie für zeitgenössische Kunst in London tätig.