Grundlegende Skepsis gegenüber der Dingwelt: Die Affichisten werden häufig den Nouveaux Réalistes zugeordnet, dabei waren sie schon lange vor der Entstehung dieses Begriffs aktiv. Eine Begriffsklärung

Wer von Realismus spricht, meint in der Hauptsache eine Kunstform, die sich primär am Sujet orientiert, nicht am Malstil. Diese Bedeutung des Realismus, wie sie heute überwiegt, hat ihren Ursprung im 19. Jahrhundert (wenn es natürlich auch schon vorher realistisch geprägte Kunst gab). Anfang des Jahrhunderts entwickelte sich der Realismus als Gegenbewegung zur Romantik und zum Klassizismus, programmatisch fixiert wurde er von Gustave Courbet. Nachdem Courbets Werke auf der Weltausstellung von 1855 abgelehnt wurden, stellte er eine eigene Ausstellung auf die Beine, den "Pavillon du réalisme".

Im selben Jahr erschien sein "Realistisches Manifest", das den "Grundsatz des Realismus" mit der "Verneinung des Idealen" festlegt. Der Maler solle darstellen, was Teil seiner alltäglichen Lebenswelt ist und somit lebendige Kunst erschaffen. Sie soll sich mit der Gegenwart beschäftigen und nicht mit der fernen Vergangenheit, sie soll kein verklärtes Ideal darstellen, sondern die raue und oft beschwerliche Realität. Eben all das darstellen, was Klassizismus und Romantik nicht tun. Courbets #réalisme wurde zur Parole und der Realismus zu einer der großen Hauptströmungen des 19. Jahrhunderts.

In den 1920er-Jahren entwickelte sich schließlich eine realistische Strömung in Deutschland. Otto Dix, Käthe Kollwitz, Max Beckmann oder George Grosz stellten die Alltagswirklichkeit nach dem Ersten Weltkrieg dar. Die Künstler einte nicht ihr Malstil, sondern die Themen ihrer Bilder. Verortet werden sie heute unter dem Begriffen "Neue Sachlichkeit" oder "Magischer Realismus".

Schließlich hatte ab den 1950er-Jahren der Neue Realismus seinen Auftritt, der sich als Gegenbewegung zum Abstrakten Expressionismus und zum Informel formierte. Die Künstler wählten nicht mehr das Gemälde als Ausdrucksform, sondern Aktionskunst, Happening, Fluxus oder Objektkunst. Die Künstler arbeiteten mit Gegenständen des alltäglichen Lebens und galten damit nicht nur als europäisches Pendant zur amerikanischen Pop Art, sie nahmen diese in einigen Elementen sogar vorweg.

Die Hauptvertreter des Neuen Realismus schlossen sich 1960 um den Kritiker Pierre Restany zusammen. Dieser hatte das Manifest der Gruppe veröffentlicht und ihr damit den Namen Nouveaux Réalistes gegeben. Der Kern der Gruppe bestand aus den Künstlern Jean Tinguely, Daniel Spoerri, Martial Raysse, Arman, Christo, César, Yves Klein und Enrico Baj. Die Nouveaux Réalistes hegten eine grundlegende Skepsis gegenüber der Dingwelt, als würde dahinter eine antagonistische Kraft stecken. Ihre Werke sind meist sinnfrei und zwecklos und damit auch Marcel Duchamp und dem Dadaismus nicht fern. Tinguely, zum Beispiel, nahm Maschinen auseinander und baute aus Einzelteilen mechanische Apparaturen zusammen, die willkürliche Bewegungen ausüben. Bekannt geworden sind seine "Machines à dessiner", tragbare Malmaschinen, die mechanisch Zeichnung anfertigen.

Die Nouveaux Réalistes versuchten, das Objekt zu beherrschen, setzten dabei aber gleichzeitig auf dessen autonome Kraft. Ab 1960 entstand Césars Serie "Compressions dirigées". Mit Hilfe einer hydraulischen Presse drückte er Autowracks und Metallteile (später auch Holz, Papier, oder Jute) bis zur Unkenntlichkeit zusammen. Nur bei genauem Hinsehen lässt sich der Originalgegenstand noch ausmachen, etwa ein Türgriff oder die Felgen. Das Endprodukt, das Kunstwerk, lassen die Einwirkungen, also die Kraft der Presse, noch erkennen. Wichtig war den Künstlern, dass sie in den Prozess – vom Alltagsgegenstand zum Kunstwerk – selbst nicht massiv eingreifen.

Zwei der bekanntesten Vertreter des Nouveau Réalisme waren Yves Klein, der bevorzugt in Ultramarinblau (das er sich zu International Klein Blue patentieren ließ) arbeitete, und Christo, der seit den 60er-Jahren zunächst Gegenstände wie Stühle und Dosen, dann ganze Gebäude und Landschaften verpackt.

Auch Mimmo Rotella war den Nouveaux Réalistes zugehörig, gleichzeitig auch den Affichisten. Diese werden immer noch gerne als Untergruppe der Nouveaux Réalistes betrachtet, obwohl sie schon in den 1940er-Jahren aktiv waren und vielmehr als Vorläufer des Neuen Realismus verstanden werden müssten. Die Affichisten vertrauten ebenfalls auf die autonome Kraft ihrer Objekte und auf deren autonome Aussage. Die Plakatabrisse veränderten sie kaum und durch die noch sichtbaren Bild- und Textfragmente der Originalplakate entfalten ihre Objekte automatisch eine Aussage.

Die Kunstrichtung des Neuen Realismus fand jedoch nicht nur in Frankreich ihren Ausdruck. In den 1960er-Jahren formierte sich in Deutschland die Künstlergruppe ZEBRA, die bis heute besteht. Zu ihren Vertretern zählen die Maler Dieter Asmus, Peter Nagel, Dietmar Ullrich und Nikolaus Störtenbecker sowie die Bildhauer Karlheinz und Christa Biederbick.