Abtauchen in Yayoi Kusamas funkelnde Spiegelzimmer, ein voyeuristischer Blick in Richard Jacksons Rooms oder absolute Immersion bei Hito Steyerl: Diese Künstlerräume eröffnen neue Welten, jenseits aller Normalität.

1. Richard Jackson, „Rooms“, seit 2002 

Mit Farbschläuchen, motorisierten Pumpen und knallbunten Farben werden die Cartoon-artigen Menschen, Tiere und Objekte in Richard Jacksons „Rooms“ Teil des Gestaltungsakts selbst. So lässt im „The Dining Room“ ein Familienvater auf dem gedeckten Küchentisch die Hosen runter, während „Delivery Room“ Einblicke in eine martialische Geburtsszene bietet. Und jeder der „Rooms“ ist mit Farbe bespritzt. Jackson gewährt so Zugang zu intimen Szenen, verbindet sie mit provokativem Witz und löst den Künstler vom Kunstwerk selbst. Die Zuschauer rücken ins Zentrum und werden zeitgleich zum Ermittler und Voyeur.

Richard Jackson, Installationsansicht, The Delivery Room, © Schirn Kunsthalle Frankfurt, 2020, Foto: Marc Krause
2. Yayoi Kusama „Infinity Mirror Rooms“, seit 1965

Unendliche Weiten… Die japanische Künstlerin gestaltete den ersten dieser einzigartigen Spiegelräume bereits in den 1960er Jahren, doch über die Sozialen Medien haben ihre Räume stark an Popularität zugenommen. Das Gefühl in einem dieser vollverspiegelten Kuben, illuminiert von bunten LED-Lichtern oder bevölkert von Kusamas surrealen, mit Punkten verzierten (Tentakel)Skulpturen zu stehen, ist das ultimative, immersive Erlebnis. Von Raum und Zeit losgelöst lässt es sich hier in die Unendlichkeit blicken. 

Yayoi Kusama Chandelier of Grief 2016/2018 Tate Presented by a private collector, New York 2019 © Yayoi Kusama, Image via www.tate.org.uk

3. Walter de Maria „The New York Earth Room“, 1977

Wer einen Trip nach New York City plant, sollte sich die 141 Wooster Street in die Google Karte eintragen. Im zweiten Stock des unauffälligen, für SoHo typischen Wohnhauses befindet sich Walter de Marias „The New York Earth Room“. Durchgehend seit 1980 füllen dort 197 m3 dunkle, feucht schimmernde Erde die Gesamtfläche eines 335 m² großen Apartments aus. Die Betrachter können diese Rauminstallation allerdings nur aus der Distanz hinter eine Glasscheibe einsehen, das Betreten der Erde ist verboten. De Maria wurde für seine Werke im Bereich Minimal-Art und Konzept-Kunst in der New York Avantgarde-Szene der 60er Jahre bekannt. Ein weiteres seiner Projekte, „The Vertical Earth Kilometer“ wurde 1977, anlässlich der documenta VI, in Kassel in der Erde versenkt. 

Walter De Maria, The New York Earth Room, 1977. © Estate of Walter De Maria. Photo: John Cliett, Image via www.diaart.org

4. Mark Dion „Toys’R’Us (When Dinosaurs Ruled the Earth)“, 1995

Mark Dion ist bekannt für seine Kombination von Kunst und Natur. In seinen Installationen arrangiert er meist eine Vielzahl an Objekten zu einem Themenraum oder auch zu Wunderkammern, wie es Naturkundemuseen oft tun – gerne mit einem Augenzwinkern. So ist „Toys’R’Us (When Dinosaurs Ruled the Earth)“ auf den ersten Blick das Zimmer eines Kindes, das tief in der Dinosaurier-Phase steckt (Dion selbst ist ein großer Dino-Fan). Auf den zweiten Blick jedoch beschäftigt es sich mit Fragen nach Über-Konsum und dem Aussterben der Arten. 

Mark Dion, When Dinosaurs Ruled the Earth (Toys R U.S.), 1995 
© Mark Dion, Image via wikiart.org

5. Edward & Nancy Reddin Kienholz, „The Caddy Court“, 1986-87

Ein Van der Marke Dodge verschränkt mit einem Cadillac bietet Raum für eines der bizarrsten Gerichte, das die Kunstwelt je gesehen hat: In Edward und Nancy Kienholz‘ „The Caddy Court“ residieren neun Richter des Obersten Gerichtshofes (Supreme Court) in klassischen, schwarzen Roben, aber mit ausgestopften Tierköpfen in unterschiedlichen Verwesungsstadien. Eine Fabel auf Ecstasy. Die Kienholzs sind für ihre unverblümte, stark polarisierende Umgangsweise mit abgründigen, gesellschaftspolitischen Themen wie Kindes- oder Machtmissbrauch, Sexismus und Rassismus bekannt geworden. 

Edward & Nancy Reddin Kienholz, The Caddy Court, 1986-87, Image via nyt.com

6. Gregor Schneider „Haus u r“, seit 1985

Räume sind für Gregor Schneider dreidimensionale, begehbare Skulpturen. Seit den 1980er Jahren funktioniert er nicht nur einzelne Räume um, sondern nahm sich gleich ein gesamtes Haus vor, das er fortlaufend veränderte: das „Haus u r“, ein Mehrfamilienhaus in der Unterheydener (u) Straße in Rheydt (r). Dort baute er neue in bereits bestehende Räume ein oder brachte Wände, Decken und Böden mit Hilfe von Motoren in minimale Bewegung. Besucher berichten von Beklemmungsgefühlen beim Begehen des Hauses. 2001 gewann Schneider den Goldenen Löwen der 49. Biennale in Venedig mit einer Version des Hauses, die er „Totes Haus u r“ nannte und für die er Teile aus dem Haus in Rheydt per Schiff nach Venedig bringen ließ. 

Gregor Schneider, Raum 10, Kaffeezimmer, 1993, aus dem Werkkomplex „Haus u r“, Image via www.kulturstiftung.de

7. Renée Green „Mise-en-Scène: Commemorative Toile“, 1992

Eine erste Version von „Mise-en-Scène: Commemorative Toile“ entstand 1992 als Teil einer Kooperation zwischen Renée Green und dem Fabric Workshop in Philadelphia. Green ist bekannt für ihre Auseinandersetzung mit soziokultureller Geschichte und dessen Umdeutung. Für dieses Werk nahm sie sich Wandbespannungen und Polsterstoffe des 18. Jahrhunderts vor. Sie behielt deren Stil – florale Girlanden umranken pastorale Szenen – bei, doch ersetzte die lieblichen Landschaftsmotive durch brutale Szenen der Sklaverei. Mit diesem Stoff gestaltet sie Wände, Möbel und mehr, ganz im Stil eines „Period Rooms“ (Nachbau eines historischen Raums) und erzählt so eine Alternativgeschichte jener Zeit. 

Renée Green, in collaboration with The Fabric Workshop and Museum, Philadelphia, Mise-en-Scène: Commemorative Toile (exhibition view), 1992, Photo credit: Will Brown, Image via fabricworkshopandmuseum.org

8. Theaster Gates „Assembly Hall“, 2019-20

Für „Assembly Hall“ verwandelte der US-amerikanische Künstler Theaster Gates vier Räume des Walker Art Centers in Minneapolis in ein Gesamtkunstwerk, indem er Objekte wie Bücher, Möbel, aber auch Tontöpfe und anderes Geschirr aus seiner persönlichen Sammlung, die von seinem ausgeprägten Interesse für die Afro-Amerikanischen Materialkultur geprägt ist, sowie Teile seines Studios in die Räumlichkeiten des Museums transferierte. Gates interessiert sich hier besonders für die „Wiederbelebung“ von alten, gefundenen Objekten, die er in einen anderen Kontext setzt. Dadurch wird ihre Entstehung und sozio-kulturelle Bedeutung für die Geschichte der Afro-Amerikanischen Kultur neu erfahrbar So schuf er einen Raum, der jene Kultur einerseits zelebriert, aber auch ihre Marginalisierung und Exklusion aufzeigt.

Theaster Gates: Assembly Hall, exhibition view, 2019-2020. Photo: Bobby Rogers, Walker Art Center, Image via walker-web.imgix.net

9. Hito Steyerl, „Factory of the Sun“, 2015

Ein neonblaues, an den Science-Fiction-Klassiker „Tron“ erinnerndes Raster lenkt den Blick der Betrachter fast magnetisch auf die leicht gekippte Videoleinwand im Zentrum des Raumes. Dort läuft ein 20-minütiger Film, der um drei thematische Stränge kreist: Yulia, eine jüdisch-russisch stämmige Computerspiel-Erfinderin, ihren Bruder, der im Stil von japanischen YouTube Stars zu Donna Summers tanzt und schließlich so genannte „poor images“, Bilder von schlechter Qualität, die Überwachungsthemen wie Dronenangriffe darstellen. Steyerl durchbricht häufig politische Themen mit pop-kulturellen Referenzen, um sie für alle zugänglich zu machen. „Factory of the Sun“ wurde das erste Mal im Deutschen Pavillon auf der 56. Biennale in Venedig 2015 gezeigt und rückt die Artist Rooms in ein neues, digitales Licht. 

Hito Steyerl, Factory of the Sun, 2015, courtesy of The Museum of Contemporary Art, Los Angeles, Photo © Justin Lubliner, Image via www.moca.org

10. Rimini Protokoll „Situation Rooms“, 2013

Für „Situation Rooms“ haben Helgard Haug, Stefan Kaegi und Daniel Wetzel aka Rimini Protokoll zwanzig Räume nachgebaut, die stellvertretend für zwanzig Personen fungieren, deren Leben von Waffen stark beeinflusst wurde – vom Präsidenten einer Rüstungsfirma, über einen Berliner Schützenverein bis hin zum Soldaten und Kriegsfotografen. Die Betrachter werden in diesem Labyrinth zu Akteuren: jeder hält am ausgestreckten Arm (nicht unähnlich einer Waffe) ein Tablet vor sich und folgt dessen Erzählspur. Auf dem Tablet wird sowohl der reale Raum wahrgenommen als auch, mit Hilfe von Augmented Reality, weitere, virtuelle Möglichkeiten dargeboten: So können beim Anklicken ausgewählter Objekte beispielsweise Filme, abgespielt werden. Interaktion mit den Räumen und den anderen Akteuren ist ausdrücklich erwünscht, der Screen bleibt als willkommene räumliche Trennung dennoch omnipräsent.

Rimini Protokoll, Situation Rooms © Ruhrtriennale / Jörg Baumann, Image via www.rimini-protokoll.de