KONTEXT

PEACE_WEEKEND_LUCI_LIPPARD

Sie bewegen sich im Grenzbereich von Noisemusik, Poesielesung und Kunstperformance: Lucinda Dayhew und Hanne Lippard alias Luci Lippard sind am 2. Juli live in concert in der Schirn zum Eröffnungswochenende der Ausstellung PEACE.

Von Marie Sophie Beckmann

Die 2014 in Berlin gegründete Performance-Band Luci Lippard präsentiert am PEACE WEEKEND das große Abschlußkonzert. Das Duo Hanne Lippard und Lucinda Dayhew nutzt Schlagzeug, Text, Gesang und Synthesizer, „um aus Lyrik Krach zu machen“. Das Schirn Mag spricht mit ihnen über glückliche Zufälle und was es heißt, als Freundinnen gemeinsam in einer Band zu spielen, die sich im Grenzbereich von Noisemusik, Poesielesung und Kunstperformance bewegt.

Schirn Magazin: Luci, du beschäftigst dich mit Sound, Musik, Video, Fotografie und Installation. Hanne, du setzt deine Stimme in Performances und Lectures ein, um Mechanismen von Sprache und Sprechen zu untersuchen. Es lässt sich jeweils ein starkes Interesse an Rhythmus, Wiederholung, Übersetzung und Formen von Kommunikation erkennen. Wie habt ihr euch kennengelernt und wieso habt ihr euch dazu entschieden als Luci Lippard zusammenzuarbeiten?

Hanne Lippard: In Berlin habe ich früher in einem Café gearbeitet, das in der Nähe von Lucis Wohnung lag, sie war also Stammgast bei uns. Im Café wurden Magazine und Bücher verkauft. Mein Buch „Nuances of No“ gab es auch zu kaufen.

Lucinda Dayhew: Eines Tages hatte ich Hannes Buch in der Hand. Ich habe es gelesen und fand es total spannend. Wir haben angefangen uns zu unterhalten und es hat sofort gepasst zwischen uns.

HL: Für eine Performance in Mexico City hatte ich einen Drumcomputer eingesetzt, aber das hat sich nicht richtig angefühlt: ich wollte lieber etwas lebendigeres. Seitdem hat es mich interessiert, mit jemandem zusammenzuarbeiten, der tatsächlich Musiker ist.

Also wusstet ihr über die Arbeit der jeweils anderen vorher nichts?

HL: Nein, nicht wirklich.

LD: Wir haben einfach eine Unterhaltung angefangen. Wir haben einen ähnlichen Humor. Ich bin immer wieder ins Café gekommen und wir haben geplaudert. Erst später haben wir über unsere Arbeit gesprochen und gemerkt, dass wir auch auf der Ebene viel gemeinsam haben.

Konzert von Luci Lippard, © KW Institute for Contemporary Art, 31. März 2017, Foto: Daniele Tognozzi

Euer ähnlicher Sinn für Humor spiegelt sich auch in eurer Sprache wider. So sind Hannes Texte von Fehlkommunikationen und Wortspielen inspiriert oder sie verwendet Textfragmente aus Spam-Mails für Viagra. Wenn ihr beide zusammen eine neue Arbeit entwickelt, womit beginnt ihr: Text oder Sound?

HL: Wir agieren beide ziemlich autonom. Ich schreibe und Luci arbeitet an rhythmischen und musikalischen Interpretationen. Aber wir denken diese Dinge unabhängig voneinander, auch, weil wir nicht oft zusammen proben können. Glücklicherweise funktioniert unsere Kommunikation aber so gut, dass wir uns trotzdem immer auf die Arbeit der anderen beziehen können.

LD: An manchen Tagen sprechen wir zuerst über einen Text oder wir beginnen mit einigen Wörtern und arbeiten an ihrem Rhythmus. Manchmal folgt der  Sound dem Text, manchmal folgen die Wörter dem Sound. Als wir die Performance Band gegründet haben, sind wir gleichzeitig Freundinnen geworden. Somit fließt die Kunst bei uns ins Leben und andersherum. Oft treffen wir uns auch unabhängig von Luci Lippard und sprechen über andere Dinge, die dann wiederum in unsere Arbeit einfließen.

Lucinda Dayhew, Compartmentalising the S(h)elf, Part 1(a): Untitled (self-portrait), floor sculpture detail, courtesy the artist

Ihr sprecht von Proben und eurer Band, dennoch werdet ihr eher als Künstlerinnen- oder Performance-Duo bezeichnet. Sieht man eure Show, ist es aber tatsächlich wie eine Band, die ein Konzert spielt. Warum bewegen sich die Leute nicht?

HL: Weil es in einem Kunst-Kontext passiert.

Welche Bezeichnung ist euch denn lieber?

LD: Ich würde sagen, dass wir eine Performance-Band sind. Es gibt Performance-Elemente, aber wir sind definitiv eine Band; nur dass wir nicht innerhalb der gewohnten Song-Strukturen operieren.

HL: Luci, du warst schon in vielen Bands, ich bin dagegen eine völlige Anfängerin auf diesem Gebiet. Wie ist das für dich?

LD: Ich war tatsächlich schon in ungefähr einer Millionen Bands und meistens war ich gleichzeitig auch Künstlerin. Ich habe schon immer viel mit Sound gearbeitet, aber eben auch mit Film und Video, nur dass meine verschiedenen Aktivitäten immer getrennt voneinander existierten. Jetzt bringen wir diese Elemente zusammen und denken konzeptuell über Musik nach. Und da wir im Kunst-Kontext arbeiten, positionieren wir unsere Performance auch immer anders, je nachdem wo sie stattfindet.

In eurem Künstlerstatement sagt ihr, dass ihr „noise out of poetry“, also Lärm aus Poesie macht. Das ist so eine schöne und treffende Beschreibung. Ihr scheint auch eine sehr genaue Vorstellung von beiden Begriffen zu haben.

LD: Das ist natürlich ein bisschen ironisch gemeint. Aber trotzdem hat die Aussage Substanz. Es könnte dazu führen, dass man über die Poetry Performance nachdenkt, die normalerweise sehr kontrolliert abläuft und bestimmten Konventionen unterliegt, mit denen wir brechen. Wir positionieren uns irgendwo zwischen einer Poesielesung und einer Musikperformance. Unser Klang ist oft dissonant und laut. Es ist überhaupt nicht hübsch oder melodisch, sondern kann ziemlich rau sein.

Konzert von Luci Lippard, © KW Institute for Contemporary Art, 31. März 2017, Foto: Daniele Tognozzi

Denkt ihr bereits über die räumliche Anordnung nach, wenn ihr eure Performances konzipiert?

LD: Es kommt immer auf die Umstände an. Wenn wir, wie beim PEACE WEEKEND in der Schirn in einer Ausstellung spielen, dann passen wir unser Set den Gegebenheiten an.

HL: Luci hat mal eine Installation über das Proben und den Proberaum für die Galerie Wedding gemacht. Dort haben wir dann auch selbst gespielt. Dieses Setting war sehr spezifisch und hat sich auch so angefühlt.

Der Proberaum ist so ein magischer, mystifizierter Ort.

HL: Genau wie das Künstleratelier, oder?

LD: Hanne, hast du, seit du in der Performance Band spielst, neue Möglichkeiten gefunden, mit deiner Stimme umzugehen? Setzt du sie anders ein als beispielsweise bei deinen Lesungen?

HL: In dem Sinne habe ich eine bipolare Existenz. Ich habe meinen „solo act“ und meinen „band act“. Nur dass Luci Lippard mir mehr Raum für Improvisation bietet. Ich kann einen anderen Charakter spielen. Es ist anders, wenn man eine zweite Person hat, mit der man gemeinsam agiert. Ich sehe mich dann selbst wie von außen und bin viel entspannter. Einzelperformances sind sehr anstrengend. Ich werde manchmal sogar ein bisschen deliriös, als würde ich in mein Innerstes blicken. Das klingt jetzt sehr radikal…

LD: Vielleicht hat es damit zu tun, dass du die Performance nicht alleine tragen musst, so kannst du dich mehr entspannen. Unser Ansatz ist auch weniger förmlich, zwischendurch haben wir unseren Spaß und lachen. Es ist in einer Art und Weise ein bisschen Punk Rock, wir können tun was wir wollen.

Lucinda Dayhew, Practice Room, 2016, mixed media installation, Installationsansicht Galerie Wedding für zeitgenössische Kunst, courtesy the artist

Euer Name, Luci Lippard, ist ein sehr glücklicher Zufall.

HL: Das ist er! So sollten wir uns ab jetzt nennen: „Fortunate Coincidence“.

Eure Namensgeberin, die Kritikerin, Autorin und Kuratorin Lucy R. Lippard, ist bekannt für ihren feministischen und aktivistischen Ansatz bezüglich Kunst- und Kulturproduktion. Inwiefern identifiziert ihr euch mit ihrer Praxis?

LD: Wir haben schon immer gesagt: wenn wir mal eine Band gründen, nennen wir sie Luci Lippard. Es ist einfach das perfekte Wortspiel. Dann wiederum führt es aber zu Verwirrung, weil manche denken, dass es sich um die echte Lucy Lippard handelt, nur mein Name, also Luci, kurz für Lucinda, wird anders geschrieben, und so weiter. Es ist also ein beinahe zu perfekter Kunst-Witz, der nicht als Hommage an Lucy Lippard zu verstehen ist, sondern wirklich eher als glücklicher Zufall.

HL: Aber wenn ich zum Beispiel Maxi heißen würde und du mit Nachnamen Ernst, dann würden wir uns trotzdem nicht Max Ernst nennen. Der Name Luci Lippard kontextualisiert auch unsere Arbeit, denn in der Musikwelt hätte er keinerlei Bedeutung, nur wir selbst würden es lustig finden. Aber Lucy R. Lippards Theorien und besonders ihre Auffassung von der Dematerialisierung des Kunstwerks sind natürlich relevant für uns.

LD: Die Dematerialisierung des Kunstwerks (lacht) – das sind wir.

Lucy R. Lippard via public domain The Heretics