SCHIRN TIPP

PARFÜMIERT MIT DYNAMIT

Die Frankfurter Ateliergemeinschaft basis zeigt raumgreifende Installationen und filigrane Arbeiten in einer großen Sommerausstellung.

Der Münchner Kunsthistoriker Gürsoy Doğtaş führt uns durch die Sommerausstellung „Parfümiert mit Dynamit", die er kuratiert hat. „Ich wollte Künstler zusammenbringen, die zwar im selben Haus arbeiten, sich aber nicht zwangsläufig kennen. Es war spannend zu sehen, was dann passiert", sagt er. Insgesamt arbeiten rund 150 Kreative in den drei Atelierhäusern der Produktions- und Ausstellungsplattform basis e.V. im Frankfurter Bahnhofsviertel. Zwölf von ihnen hat Doğtaş für die diesjährige Sommerschau ausgewählt, auf fünf Ausstellungsräume im Erdgeschoss verteilt und zu Kollaborationen angestiftet. Entstanden sind viele interessante Rauminstallationen. Bei unserem Besuch waren die Vorbereitungen noch in vollem Gange. Inzwischen hat die Ausstellung geöffnet.

Der mit Abstand größte Ausstellungsraum, der sich gleich neben der Bibliothek befindet, wirkt auch am sommerlichsten. Als wir ihn betreten, schraubt die Bildhauerin und Städel-Absolventin (studiert hat sie bei Tobias Rehberger) Sandra Havlicek gerade eine grau-weiß-gestreifte Markise an die Wand. Der handelsübliche Sonnenschutz ist gewissermaßen die Fortsetzung oder Verlängerung eines Wandgemäldes, das sich direkt an der Wand darunter befindet und ebenfalls aus weißen und grauen Streifen besteht. „Die Markise sorgt für Abgrenzung und markiert einen Raum im Raum", erklärt Havlicek. „Sie beflügelt aber auch die Neugierde." Wer sich mit dem Rücken zur Wand darunter stellt, hat einen guten Ausblick auf das zweite Kunstwerk im Raum, mit dem man auf diese Weise in Dialog tritt: Die HfG-Studentin Jennifer Gelardo hat eine großflächige Teichfolie aufgespannt. In einer Ecke stehen drei altmodische TV-Geräte, die von amorphen Skulpturen aus Styropor eingerahmt werden, so dass am Ende nur noch die Mattscheibe herausguckt. Wenn das Kunstwerk fertig ist, werden die Röhrenfernseher auf die hoch in den Raum ragende Teichfolie gestellt und mit Filmen bespielt, auf denen abstrakte Bilder zu sehen sind, die an Spiegelungen auf Seeoberflächen erinnern.

Der Betrachter muss sich schon etwas anstrengen

In einem weiteren, fensterlosen Raum stehen drei kleine iPod-Musikboxen mitten auf dem Boden. Man traut ihnen nicht viel zu. Statt Angst um seine Ohren hat man Angst, auf die winzigen Lautsprecher zu treten. Ausgerechnet aus diesen so fragil wirkenden Boxen schallt der Sound der Revolution: Klangschnipsel, die bei Protesten auf öffentlichen Plätzen zum Beispiel in Athen, Madrid und Istanbul aufgenommen wurden. Der Künstler Hannes Seidl hat diese digitalen Sounds bewusst so extrem komprimiert, dass wesentliche Details verloren gingen. Die eher abstrakt anmutenden Klänge lassen die ursprüngliche Geräuschkulisse vor Ort nur erahnen. Auf die hohen (und bei unserem Besuch noch weißen) Wände wird das Künstlerduo Özlem Günyol und Mustafa Kunt eine graphische Umsetzung jener Schallwelle aufsprühen, die von den Protesten in Istanbul stammt. Markantes Detail: Die zackigen Ausschläge der Amplitude haben unverkennbar die Form von Nato-Draht.

Einen Raum weiter entsteht ein Gemeinschaftswerk von Olivia Hyunsin Kim und Sabine Rak, das die Fernarbeitsbeziehung thematisiert, die die beiden Künstlerinnen in den vergangenen Monaten geführt haben. „Sabine arbeitet oft in Leipzig und ich bin häufig in Berlin", erzählt Hyunsin Kim, die wir hier bei ihren Vorbereitungen treffen. In eine Ecke des Raumes hat sie einen Sessel ohne Beine gestellt, auf dem ein Kopfhörer liegt, der an einer Musikanlage angeschlossen ist. Wer ihn aufsetzt, hört geloopte Geräusche, die unter anderem in Ateliers in verschiedenen Städten aufgenommen wurden. In einiger Entfernung, gegenüber der Tür, sieht man die Rückseite eines von Sabine Rak gemalten Triptychons. Wer die Vorderseite betrachten will, muss das Werk erst einmal umrunden -- mit seinen blickabweisenden Seitenflügeln wirkt es fast so abgeschottet wie eine Wahlkabine. „Unsere Rauminstallation erschließt sich dem Betrachter nicht sofort. Er muss sich schon etwas anstrengen", sagt Olivia Hyunsin Kim. Zum Beispiel sollte man sich die Mühe machen, die teils zerknüllten, teils kunstvoll gefalteten Zettel zu öffnen, die überall auf dem Boden liegen. Es handelt sich um intime Notizen, die Olivia Hyunsin Kim und Sabine Rak in den vergangenen Monaten per Mail ausgetauscht haben.

Der nächste Raum unterscheidet sich von den anderen, weil es hier keine raumfüllenden Installationen gibt, die von den Künstlern eigens für die Ausstellung geschaffen wurden. „Ich habe hier auf eher klassische Weise kuratiert und Arbeiten aus Werkserien herausgesucht, die mir gut gefallen haben", erklärt Gürsoy Doğtaş. An der Wand hängen zwei gerahmte Seiten aus dem Buch „Die Raumstadt" des Stadtplaners Walter Schwagenscheidt. In Frankfurt kennt man ihn vor allem als Erbauer der Nordweststadt. Das Künstlerduo Wiebke Gösch und Frank Metzger hat Schwagenscheidts Buch antiquarisch erstanden und eine Gruppe von Grundschulkindern darum gebeten, die Seiten nach Lust und Laune etwa mit Hilfe von Buntstiften zu überarbeiten und mit ihren eigenen Utopien zu überlagern. Gegenüber steht eine Skulptur des Medienkünstlers Simon Speiser, die ein wenig an das Horn eines Tieres oder eine medizinische Prothese erinnert. Über eine Treppe gelangt man in eine Zwischenetage, die direkt obendrüber liegt.

Oben erwartet den Besucher eine Reihe textiler Skulpturen, die von der #Städel -Absolventin Sofia Duchovny aus Leinwandstoff, weißen Handschuhen und Meterware gefertigt wurden. „Sie befinden sich in einer Art Zwischenzustand, in einem Augenblick des Wartens auf Energie", sagt Gürsoy Doğtaş. Tatsächlich hat man den Eindruck, ein zufälliger Windstoß könnte den schlaff und leblos über hohe Metallständer drapierten Stoffgebilden nicht bloß Volumen, sondern auch Leben einhauchen. „Ähnlich wie bei Sofia Duchovny geht es auch in der Arbeit von Timo Lenzen um Bewegungen wie Ausleeren und Auffüllen", erzählt Gürsoy Doğtaş. Dreidimensional animiert auf einem Monitor und auf drei großformatigen Schwarz-Weiß-Drucken, die an der Wand hängen, zeigt der Graphikdesigner Lenzen neun komplexe geometrische Körper, von denen jeweils drei nach Art eines Puzzles zueinanderpassen.