KONTEXT

ÄTHERISCHE BILDER VOLLER LICHT

Die Seerosen-Bilder von Claude Monet zählen heute zu den Hauptwerken des Impressionismus. Das war nicht immer so: zu ihrer Entstehungszeit ernteten die großformatigen Bilder harsche Kritik.

Von Ekkehard Tanner

Claude Monet, der mit der amerikanischen Künstlerin Mary Cassatt der letzte Überlebende des Impressionismus sein sollte, verbrachte seine letzten Jahre in seinem Anwesen in Giverny, etwa 70 Kilometer nordwestlich von Paris. Er war nur acht Jahre jünger als Édouard Manet, dessen Blumenstilleben er in der Ausstellung „Letzte Bilder“ gegenübergestellt ist, wird diesen aber um 43 Jahre überleben, um erst mit 86 Jahren im Jahr 1926 dem Lungenkrebs zu erliegen. Monet machte aus der Natur sein Atelier und gestaltete seinen Garten wie ein Gemälde. 1911 stirbt seine zweite Ehefrau Alice, sein Augenlicht verschlechtert sich und er hört für drei Jahre auf zu malen. Seine letzten Bilder entstehen ab 1914: Gegen die Dunkelheit und den Schrecken des Krieges setzt er Harmonie, Farbe und Licht. Er arbeitet an seinen berühmten Seerosenbildern, die heute allgemeine Anerkennung und universelle Bekanntheit erlangt haben.

Während man in den kleinen und intimen Blumenstillleben Édouard Manets den Privatmann zu erkennen glaubt, verwendet Claude Monet große, sehr große Formate, und wird zu einem „malenden Politiker“, einem frühen Friedensaktivisten: Sobald im November 1918 der Waffenstillstand unterzeichnet war, stieg der französische Ministerpräsident Georges Clemenceau in sein Automobil und wies seinen Fahrer an, nach Giverny zu fahren. Dort erwartete ihn sein Freund Claude Monet am Gartentor mit ausgestreckten Armen: „Ist es aus?“- „Ja.“ Die Männer fielen sich, weinend vor Erleichterung, in die Arme. Monet wollte dem französischen Staat aus Freude über den wiedergewonnenen Frieden zwei Seerosenbilder schenken, sein Freund Clemenceau sollte sie auswählen. Aus den geplanten zwei Bildern wurden 22 Großformate. In den ovalen Sälen in der Orangerie des Pariser Tuileriengartens sind sie seitdem zu zwei Endlosschleifen verbunden. Die beiden Säle werden bisweilen auch als „Sixtinische Kapelle des Impressionismus“ gewürdigt.

Monet vernichtet jene Bilder, die ihn nicht überzeugen

Doch der Weg dorthin war nicht einfach: Monet sieht immer schlechter, er leidet beidseitig am Grauen Star und lässt sich nur von Clemenceau schließlich zu einer Augenoperation überreden. Er ist ungeduldig, launisch, er zweifelt und zerstört eine Reihe von Seerosenbildern. Endlich wird seine Brille in Giverny angeliefert, doch dann folgt ein Schock: Monet entdeckt seine Bilder mit der gewonnen Sehkraft neu – und hält sie für schlecht. 1925 möchte Monet aus dem Vertrag mit dem französischen Staat aussteigen. Es kommt zum Bruch mit seinem Freund Clemenceau, der drei Monate andauert. Dann lädt Monet ihn zur Versöhnung zum Mittagessen ein und die beiden Freunde sehen sich wieder regelmäßig.

Monet malt Bilder des Seerosenteiches in seinem Garten. Darin spiegeln sich die Wolken, die umgrenzende Vegetation schimmert mal grünlich, mal blau, mal violett, einige Seerosenblätter, manchmal auch Blüten sind zu sehen. Es sind ätherisch-leichte Bilder voller Licht. Um seinen Kritikern zuvor zu kommen, vernichtet Monet weiterhin jene Bilder, die ihn nicht vollkommen überzeugen.

Die Wertschätzung folgt mit großer Verzögerung

Am 6. Dezember 1926 stirbt Claude Monet. Es heißt, Clemenceau habe das schwarze Tuch, das Monets Sarg umhüllte, durch einen bunten, mit Blumen bedruckten Stoff ersetzen lassen. Jene Blumen, die der Maler nicht bei seiner Beerdigung haben wollte, da es ihm zu schade schien, die geliebten Blumen seines Gartens zu plündern. Ein Jahr nach seinem Tod werden endlich die beiden Säle in der Orangerie eröffnet. Bis auf wenige Ausnahmen ist die Meinung eher ablehnend. Monets Bilder seien zu dekorativ, zu leer, Zeugnis der schwindenden Kräfte eines alten Mannes. Die Blüten haben seine Zeitgenossen wohl auch an dekorative Elemente des Jugendstils erinnert, der 25 Jahre früher noch en vogue, nun aber völlig überholt schien. Ähnlich wie bei Manet, der erst ein Vierteljahrhundert nach seinem Tod in den Louvre einzog, wird die allgemeine Wertschätzung von Monets Seerosen lange auf sich warten lassen. Die abstrakten Maler der 1950er-Jahre bewundern Claude Monets letzte Bilder schließlich so sehr, dass er zur neuen künstlerischen Leitfigur wird.