INTERVIEW

FRIEDRICH VON BORRIES IM INTERVIEW

„Vielleicht sollte man den Mythos aufgeben, eine urbane Intervention sei zwingend politisch links und subversiv“ – Ein Interview über Interventionen von Kunst im öffentlichen Raum.

Von Sabine Weier

Kunst erobert den öffentlichen Raum – angefangen bei der Street Art über Performances und Installationen bis hin zum gerade sehr beliebten „Urban Knitting“, bei dem Bäume, Straßenlaternen oder auch mal Panzer kurzerhand eingestrickt werden. Friedrich von Borries, Architekt, Autor und Professor für Designtheorie und kuratorische Praxis an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg, hat ein Forschungsprojekt ins Leben gerufen, um die Wirkweisen solcher Interventionen zu untersuchen. Sabine Weier sprach mit ihm in seinem Berliner Büro anlässlich des Schirn-Projekts „Playing the City“ über den Mythos und das Potenzial der Intervention.

Worum geht es in Ihrem Forschungsprojekt „Urbane Interventionen“?

In der Architektur gibt es seit einigen Jahren die Tendenz, Räume nicht nur durch bauliche Maßnahmen zu verändern, sondern auch durch das, was man „Interventionen“ nennen könnte. In der Kunst gibt es das ja schon länger. Wir wollen herausfinden, was diese Interventionen wirklich bewirken, welche Formen es gibt und ob sie halten, was sie versprechen.

Was versprechen sie?

Sozial und politisch wirksam zu sein und mit minimalen Mitteln Veränderungen herbeizuführen. Gerade sind wir noch dabei, den Begriff der Intervention zu bestimmen. Seit Mitte der 1990er Jahre wird er inflationär benutzt, für militärische Operationen genauso wie für Kunst im öffentlichen Raum. Ganz schlicht ausgedrückt, greift man mit einer Intervention in einen Raum ein, versucht, etwas zu verbessern, und verlässt ihn wieder.

Sie wollen urbane Interventionen vergleichend untersuchen. Haben Sie schon konkrete Projekte im Blick?

Wir haben bestimmte urbane Kontexte und Spannungsfelder im Blick. Dazu gehört zum Beispiel Berlin, als Stadt im permanenten Umbruch, Paris und die spezifisch französischen Protestformen oder politisch motivierte Projekte in Belgrad. Auch Hamburg werden wir untersuchen, denn dort gibt es eines der ältesten und besten Programme für Kunst im öffentlichen Raum. Interessant ist natürlich auch die Frage, inwiefern mit künstlerischen Interventionen versucht wird, Stadtmarketing zu betreiben. Ein Beispiel ist der „Park Fiction“, mit dem mittlerweile in Broschüren für Hamburg geworben wird, obwohl er mal als linkes subversives Bottom-up-Projekt angefangen hat. Auf einer besetzten Brache wurde ein alternativer Raum zur öffentlichen Nutzung geschaffen.

Diese subversive Qualität erwartet man ja regelrecht von Kunst im urbanen Raum.

Ich würde sagen, das ist so etwas wie ihr Mythos. Das verschiebt sich aber, was man am Beispiel des „Park Fiction“ gut beobachten kann. Oder auch bei der Verteidigung des von Künstlern besetzten Hamburger Gängeviertels gegen einen holländischen Investor. Da haben sich Künstler und Leute aus der linken Szene mit dem konservativen Bürgertum vereinigt. Von Daniel Richter bis hin zum Springer-Verlag haben sich plötzlich alle dafür eingesetzt, dass das Gängeviertel erhalten bleibt. Vielleicht sollte man den Mythos aufgeben, eine urbane Intervention sei zwingend politisch links und subversiv. Es ist eine Kunstform, die ganz bewusst aus dem Schutzraum einer Institution herausgeht und sich anderen Rezeptionsformen stellt.

Subversive Kunst aus dem linken Milieu auf der einen und Stadtmarketing auf der anderen Seite – ist das nicht ein Widerspruch in sich?

Vielleicht ist das kein Widerspruch, sondern einfach die neoliberale Logik des Stadtmarketings. Man entdeckt, dass urbane Interventionen wirksam sind und instrumentalisiert sie für bestimmte Interessen. In Berlin hat die Senatsverwaltung ja sogar einen Preis ausgeschrieben, den „Urban Intervention Award“, um diese neuen intelligenten Handlungsformen, die im Vergleich zu klassischen städtischen Investitionsmaßnahmen wesentlich günstiger sind, zu identifizieren. Wie groß die soziopolitischen Wirkungen dann wirklich sind, bleibt abzuwarten. Das gehört zu den Fragen, die wir untersuchen wollen.

Was können künstlerische urbane Interventionen erreichen?

Alles genauso wie nichts. Vergleicht man das „Bataille Monument“ von Thomas Hirschhorn mit dem „Park Fiction“ in Hamburg, ist Hirschhorns Arbeit vielleicht die künstlerisch spannendere, entfaltet aber vor Ort in Kassel wohl wenig Wirkung. Der „Park Fiction“ wird von den Bewohnern der Stadt real genutzt. Aus städtebaulicher Perspektive hat das Projekt viel erreicht, mehr als eine normale Bürgerprotestbewegung. Künstlerische Interventionen schaffen Aufmerksamkeit. Die Reichstagsverhüllung, ein Projekt des Künstlerpaares Christo und Jeanne-Claude, war wahrscheinlich das größte ideologische Reinigungsprojekt für einen städtischen Raum. Die „High Line“, eine zum Park umfunktionierte ausgediente Hochbahnstrecke mitten in der Stadt, hat in New York wieder die Debatte über öffentliche Freiräume entfacht.

Hat in den vergangenen Jahren oder Jahrzehnten eine Evolution der Kunst im öffentlichen Raum stattgefunden?

Wenn ich hypothetisch eine Evolutionslinie aufstellen müsste, dann würde ich das im Sinne einer Steigerung der Zielführung, Ästhetisierung, Funktionalisierung, Effektivitätssteigerung und Eventisierung tun. Das zeigt die Verhüllung des Reichstags ganz gut: Hier gab es Touristenströme, die extra angereist sind, um sich die künstlerische Intervention anzuschauen.

Vielleicht hat sich diese Kunstform von dem subversiven Ursprung emanzipiert, der die Street Art noch deutlich prägte.

Das ist eine interessante These, die ich mal als Anregung aus dem Gespräch mitnehme. Der größte Teil zeitgenössischer Interventionen ist ja von Institutionen wie Museen in Auftrag gegebene Kunst. Der Charme der Street Art war ja, dass sie aus einem ganz anderen Kontext stammt. Mittlerweile wurde sie „heimgeholt“ und ist auch im Kunstmarkt angekommen. Das eröffnet Möglichkeiten, etwa die staatliche Förderung solcher Projekte, die ja mitunter sehr aufwendig sind.

Wie könnten künstlerische urbane Interventionen in zehn Jahren aussehen?

Die gezielte Nutzung von Interventionen zur Förderung bestimmter Prozesse, ob in Politik, Stadtentwicklung oder Werbung, wird sicherlich zunehmen. Auch das Konzept, Ausstellungen aus dem musealen Kontext raus in den öffentlichen Raum zu bringen, wird häufiger angewendet werden. Analog dazu werden sich auch politische Protestformen verändern. Sind die Zeltlager, die gerade im Zuge der Bürgerproteste in Madrid und Tel Aviv entstanden sind, vielleicht auch eine Form der künstlerischen Intervention? Der Pessimist würde sagen, künstlerische Interventionen werden künftig noch stärker von verschiedenen Interessengruppen instrumentalisiert. Der Optimist würde sagen, urbane Interventionen etablieren sich als eine Form der öffentlichen Meinungsäußerung und Willensfindung. Was davon überwiegt, werden wir sehen.