Die Ausstellung „In Sweet Succession: Material Matters“ im Basis e.V. Projektraum Frankfurt bringt Süßigkeiten und den Materialbegriff in der Kunst zusammen

Muriel Meyer hält ein backblechgroßes Gebilde in den Händen, das auf den ersten Blick an eine Crème brûlée erinnert. „Gebt mir bitte auch ein Stück“, ruft jemand, der im sommerlichen Hof der Ateliergemeinschaft Basis auf einer Bierbank sitzt. Der Hof grenzt an den Projektraum des Gebäudes, in dem die beiden Kuratorinnen Muriel Meyer und Marina Rüdiger gerade ihre Ausstellung „In Sweet Success: Material Matters“ vorbereiten.

In Wirklichkeit handelt es sich bei der vermeintlichen Leckerei um ein skulptural anmutendes Wandbild des Künstlers. Wo der Betrachter Schichten aus Schwarzbrot, Buttercreme und Karamell vermutet, wurden eine schwarze Gummimatte aus dem Fußraum eines Autos, Fugenmasse für Fensterrahmen, Schellack und Carnaubawachs verarbeitet.

„Mir geht es überhaupt nicht darum, Lebensmittel nachzubauen. Ich bin ja kein Essenskünstler. Mich interessiert viel mehr der prozesshafte Charakter meiner Arbeit. Meine Bilder wachsen mit jeder weiteren Schicht, die ich ihnen hinzufüge. Das geht solange, bis sie jemand kauft. Die Entscheidung, wann ein Bild fertig ist, habe ich damit gewissermaßen outgesourct," berichtet Künstler Jonas Grubelnik.

Arbeit von Jonas Grubelnik, 2015, Foto: Künstler

Grubelniks vielschichtige Werke, die man im Ausstellungsraum am besten von der Seite betrachtet, gehen oft umfangreiche Materialstudien voraus. „Mich interessieren dabei nicht nur die chemischen Eigenschaften der einzelnen Substanzen, sondern auch kulturelle Zuschreibungen und Analogien“, verrät er. Die Schichtbilder werden von einer Sound-Installation begleitet (man hört den Philosophen Hans Georg Gadamer während ausgedehnter Denkpausen seiner Vorträge Geräusche machen, die sich auch als Ausdruck eines Völlegefühls interpretieren lassen).

Das Verführungs- und Verlockungspotential von Kunst

Sie sind nicht die einzigen Werke in der Ausstellung, bei denen Lebensmittel eine Rolle spielen. Oft geht es um das Verführungs- und Verlockungspotential von Kunst. Um Kunstwerke als Objekte der Begierde, als Fetisch. Dass einige der Arbeiten auf Süßigkeiten verweisen, kann man auch als Metapher auf den vermeintlich leichten und folgenlosen Kunstkonsum verstehen. Ähnlich wie die Werke von Jonas Grubelnik, wirken auch die drei Bilder von Jan Bünnig leicht konsumierbar – entpuppen sich aber bei näherem Hinsehen als gehaltvoll, vielschichtig und hintergründig.

Arbeit von Jan Bünnig, Foto: Schirn Magazin / Markus Wölfelschneider, 2016

Bünnig malt auf unbehandelte Pappe und garniert seine Motive mit bunten Zuckerstreuseln. Der Fettrand, der beim Einsickern der Ölfarbe entsteht, ist für ihn kein Kunstfehler, sondern Teil des Werks. Eines seiner Bilder erinnert an einen Rohrschachtest. Es liegt im Auge des Betrachters, ob er einen schwarzen Fleck mit Engelsflügeln erkennen will, oder doch eher zwei weibliche Beckenknochen inklusive Vulva. Sigmund Freud und C.G. Jung, die Väter der Psychoanalyse, lassen grüßen. Ein anderes Gemälde zeigt einen stilisierten Donut. Man tut Bünnig wohl kein Unrecht, wenn man vermutet, dass er auch hier einen Vagina-Vergleich im Sinn hat.

Material Matters

In der Mitte des Projektraums steht eine rätselhafte Maschine. Man erkennt zwei Schläuche und einen Kompressor. „Das ist eine Wurstverschlussmaschine“ erklären Muriel Meyer und Marina Rüdiger. Die Schweizer Künstlerin Mia Marfurt hat sie den beiden Kuratorinnen aus Zürich geschickt – samt einer Reihe Plastikhäute, die vor Ausstellungsbeginn am 21. Juli mit Wasser gefüllt und tropfdicht verschlossen werden sollen. „Ein bisschen sind wir in Sorge, dass die Würste dabei platzen könnten“, sagt Muriel Meyer. „Zum Glück gibt es hier im Fußboden einen Abfluss“.

Arbeit von Mia Marfurt, Foto: basis. e.V.

Im Inneren der prallen Würste befinden sich in Wasser aufgelöste CMYK-Farben, wie sie etwa bei Computerdruckern zum Einsatz kommen. Hier stehen sie nicht wie sonst im Dienst von digitaler Technik, sondern sind einer äußerst plastischen Skulptur verpflichtet. Und bringen so perfekt das Ausstellungsmotto auf den Punkt: Material Matters.

„Eine der Ausstelllungen, die uns in den vergangenen Jahren auch im Studium Curatorial Studies stark beschäftigt hat, war die Schau ‚Speculations on Anonymous Materials‘, die wir vor zwei Jahren im Fridericianum in Kassel gesehen haben. Es ging um Werke, die zwar von digitalen Technologien beeinflusst sind, sich gleichzeitig aber auf einen analogen Begriff von Materialität zurückbesinnen“, erklärt Meyer.

Ausstellungsansicht "In Sweet Succes­sion: Mate­rial Matters", Basis e.V. Projektraum, Foto: Schirn Magazin, Markus Wölfelschneider, 2016

Im stillgelegten Lastenaufzug des Projektraums steht ein Flachbildfernseher auf einem Stapel Bierkästen. Hier läuft Anna-Lena Meisenbergs Video-Clip mit dem Titel „Don‘t you get bigger“, für das die Künstlerin ein Werbevideo aus der Immobilienbranche zweckentfremdet und mit selbstkomponierten Beats unterlegt hat. Die Musik wirkt aggressiv und bedrohlich. Man wittert Gefahr, weiß allerdings nicht woher sie kommt: Etwa von einem Eindringling, der sich in einer Art Ego-Shooter-Perspektive durch ein virtuelles Musterhaus bewegt, wie es der Traum vieler Mittelstandsfamilien ist. Oder sollte man sich doch eher vor all der Biederkeit fürchten, die hier womöglich überall lauert.

Knusper, knusper, knäuschen

Über eine steile Treppe geht es in den Keller hinab. Dank der niedrigen Decke fühlt man sich ein bisschen wie in einer Höhle. Die aus Korea stammende Künstlerin Jieun Lim zeigt hier ihre Installation „Knusper, knusper, knäuschen, wer knuspert an meinem Häuschen“. Man sieht das Foto einer Hand, an der zwei Finger dick in Gips getaucht wurden. Vielleicht die Hand eines Künstlers, der – anders als Hänsel im Märchen – statt Magerkeit Fülle vortäuschen will? Zu dieser Art von Täuschungsmanöver passen dann auch jene Skulpturen aus Styropor, die von der Decke hängen oder aus der Wand ragen und teilweise an Zuckerhüte erinnern. „Wer will, kann Lims Arbeit als Beitrag zu einem skulpturtheoretischen Diskurs verstehen“, sagt die Kuratorin Marina Rüdiger. „Es geht sehr spielerisch um die Frage, ob man Materialeigenschaften wie Schwere optisch darstellen kann."

Anna-Lena Meisenberg, Filmstill, Copyright the artist
Jieun Lim, Knusper, knusper, knäuschen, wer knuspert an meinem Häuschen, Installationsansicht 2015/16, Foto: Künstler