So umfangreich wie jedes Jahr: Der Rundgang der Städelschule gehört zu den Highlights des Jahres.

„Dies ist der aufregendste Moment des Jahres“, freut sich Philippe Pirotte, Rektor der Städelschule, die von Freitag bis Sonntag ihre Türen öffnet und zum jährlichen Rundgang lädt. Studierende der Bildenden Kunst sowie der Masterstudiengänge Architektur und Kuratieren/Kritik zeigen ihre Arbeiten an mehreren Standorten und beteiligen sich vielseitig am überregional wahrgenommenen Kunstereignis. Nicht nur die Besucher erwarten dabei einige Aha-Effekte. „Auch wir als Professoren sind oft überrascht von den Arbeiten“, sagt Pirotte. Judith Hopf, Prorektorin und Professorin für Freie Bildende Kunst, hat bei den Studierenden in diesem Jahr einen verstärkten Blick auf die konfliktbeladene gesellschaftliche Wirklichkeit ausgemacht.

Philippe Pirotte, Rektor der Städelschule, via Frankfurt-Live.de

„Big Fat Dumb Cities For Sale“: Die Ansage der Architekturklasse im Hauptgebäude der Städelschule ist unmissverständlich. Eine Gruppe Studierender ist dem zunehmenden weltweiten Schwund des ländlichen Raums, der Dörfer und der kleinen Städte zugunsten der Metropolen nachgegangen. Das Dorf müsse zu einer Ware, einem käuflichen architektonischen Objekt werden, sagen die Schützlinge des Gastprofessors Peter Trummer. Man müsse ein riesiges Hotelhochhaus mit bis zu 10.000 Zimmern bauen, das alle Einwohner und Gäste eines Dorfs fassen kann. Die Studierenden haben Modelle solcher imaginärer Ungetüme angefertigt, die alle zum Verkauf stehen. Ein kleines „Sold“-Schild füllt eine Leerstelle inmitten der Exponate, die wiederum mit Preisschildern versehen sind. Eine Computersimulation antizipiert zudem das Resultat des radikalen Konzepts. Monströse Hochhäuser durchschneiden idyllische Landschaften.

"Big Fat Dumb Cities For Sale" der Architekturklasse, Städelschule Rundgang 2016, Foto: Eugen El

Einen Kontrast zu solch geballter Gesellschaftskritik bieten die Tuschezeichnungen von Lena Ditlmann, die bei Judith Hopf studiert. Es sind Blätter zu sehen, die formal wie farblich minimal und zurückgenommen anmuten. Mal basieren sie auf übereinander gelagerten, großen Farbflächen. Zuweilen füllt die Farbe nur den Rand, das Blatt gleichsam rahmend. Manchmal arbeitet Ditlmann mit filigranen Linien, die in feine gesetzte Farbakzente münden. Auf den ersten Blick könnte man die Zeichnungen für Drucke halten. „Sie sind spontaner als Drucke, und haben etwas Unmittelbares“, betont die Künstlerin. Dennoch sind die Arbeiten zeitintensiv. Früher hat Ditlmann monochrom gearbeitet. Die Farbigkeit ist in diesem Jahr hinzugekommen. Lena Ditlmann sieht ihre Blätter nicht als Einzelarbeiten: „Sie funktionieren nur im Zusammenspiel miteinander.“

Arbeiten von Lena Ditlmann, Städelschule Rundgang 2016, Foto: Eugen El

Skeptisch zeigt sich Lars Karl Becker aus der Klasse von Tobias Rehberger: „Ich möchte als Künstler das Schicksal der Menschheit nicht direkt kommentieren.“ In der Dürerstraße zeigt Becker zwölf in einer Mischtechnik ausgeführte Blätter. Ausgangspunkt dafür ist die niedliche Katze „Pusheen“, die sich als Emoji in sozialen Netzwerken wiederfindet. Becker sieht darin eine „non-verbale, visuelle Sprache“. Er hat mehrere solcher Katzen-Emojis verzerrt und auf die Blätter übertragen. In einem zweiten Schritt fügte Becker eine weitere Kommunikationsebene hinzu, indem er in einem abstrakt-expressiven Gestus über die Emojis malte. „Wie viel Expression ist noch erlaubt in der zeitgenössischen Kunst?“, fragt der Künstler. In einem letzten Schritt zeichnete er die Konturen der Katzen mit einem Marker nach. Selbst Handabdrücke des Künstlers finden sich auf den Blättern. „Es ist kein Witz!“, betont er. In der Daimlerstraße, wo viele besonders große bildhauerische und installative Werke ihren Platz finden, zeigt Becker zudem skulpturale Arbeiten.

Künstler Lars Karl Becker, Städelschule Rundgang 2016, Foto: Eugen El
Installation von Lars Karl Becker, Städelschule Rundgang 2016, Foto: Eugen El

Der Rundgang der Städelschule bietet auch in diesem Jahr ein umfangreiches Programm an Vorträgen, Performances und Filmscreenings. Ein besonderer Gast dabei ist das New Yorker Kollektiv DIS, das die am 4. Juni eröffnende 9. Berlin-Biennale kuratieren wird. „Disillusioned“ ist der am Freitag um 14 Uhr in der Aula der Städelschule stattfindende Vortrag des Kollektivs betitelt. Die DIS-Mitglieder Lauren Boyle, Solomon Chase, Marco Roso und David Toro arbeiten in verschiedenen Medien und Zusammenhängen. Im Zentrum steht dabei die 2010 gegründete Online-Plattform „DIS Magazine“, das zwischen Kunst, Mode, Musik und Kreativwirtschaft angesiedelt ist. 2013 entstand DISimages, eine professionell agierende Stock Photography-Agentur, das Künstler dazu aufruft, Bildmaterial beizutragen und neue visuelle Stereotypen zu erzeugen. Der Onlineshop DISown erweitert die Palette des Kollektivs. Der Aktionsraum von DIS beschränkt sich nicht auf das Internet. Das Kollektiv hat an zahlreichen Museums- und Galerieausstellungen teilgenommen, unter anderem im Musée d’Art Moderne de la Ville de Paris, dem MoMA PS1 und dem New Museum, New York. Eine kühle Ironie umweht die Projekte des Kollektivs DIS. Es positioniert sich bewusst jenseits gängiger Gattungsgrenzen und hat erklärtermaßen kein Problem mit kommerziellen Praktiken.

DIS Collective via NYMAG

Die Architekturklasse verwöhnt am Samstagabend angemeldete Gäste mit einem experimentellen Festmahl. „The Feast“ bietet ein Sechs-Gänge-Menü mit korrespondierenden Weinen in einer choreografisch-performativen Kulisse. Die Architekturklasse verspricht eine „einzigartige kulinarische Erfahrung von Essen, Trinken und Ästhetik“. Auch sonst lohnt sich ein Abstecher in die Mensa. Täglich von 10 bis 20 Uhr verköstigt das Team unter Leitung von Aman Andu, Herrn Max und Herrn Bouhlou die Gäste mit warmen und kalten Speisen und Getränken. Die Mensa ist das kommunikative Herz der Städelschule, der ideale Ort, um „über den Tellerrand zu schauen“, wie es Philippe Pirotte formuliert.

Ebenfalls in der Mensa beginnt Freitag um 18 Uhr die feierliche Eröffnung des Rundgangs, die in die Preisverleihung übergeht. Zehn Firmen, Stiftungen und Privatpersonen haben in diesem Jahr Preise gestiftet, die für herausragende Arbeiten an Studierende vergeben werden. Frühzeitig sollte man sich einen Platz in der Mensa sichern. In einer ausgelassenen, familiären Stimmung werden die Preisträger gefeiert. Moderiert wird die Preisverleihung diesmal von den Studierenden Mikhail Wassmer und José Montealegre. Kunsttheorie-Professorin Isabelle Graw (Städelschule) und der Filmwissenschaftler Vinzenz Hediger (Goethe-Universität) sprechen im Namen der Jury. Spätestens nach der Preisverleihung werden Studierende und Besucher den Rundgang unbeschwert genießen können.