Im Neuen Kunstverein Aschaffenburg untersucht eine Ausstellung jene Schnittstellen, an denen unser analoges Leben mit der digitalen Welt zusammenprallt.

Als Angela Merkel im Jahre 2013 gemeinsam mit Barack Obama die Pressekonferenz zu seinem ersten Amtsbesuch in Deutschland abhielt, beschrieb sie das Internet als "Neuland". Wollte die Kanzlerin damit ursprünglich auf die Sicherheitsschwierigkeiten des World Wide Web aufmerksam machen, wurde sie durch diese Aussage schnell zum Zielobjekt von Politsatire und einem regelrechten Shitstorm in den sozialen Netzwerken. "Neuland" wurde zum geflügelten Wort.

Vier Jahre später steht uns nicht nur erneut die nächste Bundestagswahl bevor, sondern es gilt auch auf den Prüfstand zu stellen, inwieweit das Internet Einfluss auf unser Leben nimmt. Ob sich dadurch Verhaltensmuster verändert haben und wie die reale und digitale Welt miteinander verschmelzen.

Auf Ampeln sollte verzichtet werden

Die Ausstellung „Shared Spaces“, die derzeit im Neuen Kunstverein Aschaffenburg zu sehen ist, setzt genau an diesem Punkt an. Die Gruppenausstellung setzt ihren Fokus auf die Kommunikation und Interaktion in der digitalen Welt und deren Auswirkungen auf unser reales Leben. Titelgebend für die Ausstellung ist das gleichnamige Verkehrsplanungsmodell von Hans Mondermann, von ihm in den 1990er-Jahren entwickelt um für mehr Gleichberechtigung im Straßenverkehr zu sorgen. Auf Ampeln und Verkehrsschilder sollte verzichtet werden, um dadurch eine erhöhte Aufmerksamkeit des Einzelnen für andere Teilnehmer im Straßenverkehr zu erzwingen. Führt dieses Modell zu einer direkten Konfrontation zwischen Individuen, scheint die Bereitschaft für eine solche Form der Auseinandersetzung im World Wide Web längst verloren gegangen.

Installationsansicht Daniel Kiss, Side piece, 2017, Foto: © Jens Gerber

So kommuniziert die Protagonistin in Julia Weißenbergs Videoarbeit „to make you feel comfortable“ nicht mehr direkt mit ihren Mitmenschen, sondern nur noch mit Computer generieten Stimmen. Eingebettet in den Alltag einer Smart City bei Seoul, interagiert die Protagonistin nur mithilfe von digitalen Geräten mit ihrer Umwelt. Während die Geräte alle eine eigene Stimme zugewiesen bekommen, bleibt die junge Frau im Video jedoch stumm und ihre Antworten erscheinen als Textzeile.

Hinweisschilder voller Schriftverkehr

Die Künstlerin thematisiert das Verhältnis von Geräten und ihren Nutzern jedoch nicht nur im Video, sondern auch in der Präsentationsform, indem es sich nur durch das Einscannen eines QR-Codes auf dem Teppich mit dem Smartphone öffnen lässt. So muss der Besucher selbst erst mit seinem Smartphone interagieren, um das Video sehen zu können.

Installationsansicht Aude Pariset mit Juliette Bonneviot und Julia Weißenberg, Foto: © Jens Gerber

Bei den gemeinsamen Arbeiten von Esther Poppe und Ellen Wagner muss der Betrachter genau hinschauen. Verteilt im Treppenhaus finden sich Plexiglasscheiben, die teils in den Raum ragen oder frontal an der Wand befestigt sind. Sie erinnern an Hinweisschilder oder an die Ästhetik von Förderungstafeln, wie sie auch in großen Museen zu finden sind. Auf den Glasscheiben befinden sich jedoch Auszüge aus dem digitalen Schriftverkehr der beiden Künstlerinnen, die Bezug auf die Ausstellung nehmen.

Neue Zeichen und Worte

Darunter findet sich unter anderem ein Zitat von Walter Benjamin: „Ist ein Schusterladen Nachbar einer Confiserie, so werden seine Schnürsenkelgehänge lakritzenartig.“ Was Benjamin an dieser Stelle beschreibt, ist eine Form der wechselseitigen Beeinflussung, die sich auch auf das Verhältnis zwischen analoger und digitaler Welt anwenden lässt. So werden etwa  im Internet neue Zeichen und Worte generiert, die sich in unseren realen Sprachgebrauch einschleichen.

Esther Poppe und Ellen Wagner, o.T. 2017, Foto: © Jens Gerber

Auch Daniel Keller nimmt Bezug auf die Wechselbeziehung von virtuellem und realem Raum: Die Umrisse der „Stack Reliefs“ sind der Form von sogenannten Steinmännchen nachempfunden. Die aufeinander gestapelten Steine, die sich zu kleinen Hügeln auftürmen, gelten ursprünglich als archaische Form des Wegzeichens, doch finden sich zunehmenden auch auf sozialen Plattformen wie Instagram wieder, wo die Nutzer vor den Steinen posieren und sie damit zur Touristenattraktion erklären. Keller nutzt seine Reliefs als Bildträger und die Zeichnungen auf ihnen erinnern an Wischbewegungen und Fingerabdrücke. Berührungen, die wir nicht mehr mit der Natur verbinden, sondern längst mit der glatten Oberfläche des Smartphones.

Harmlose Videos und ökonomische Interessen

Die Selbstinszenierung im Internet thematisiert der Künstler Florian Meisenberg immer wieder in seinen Arbeiten. So konnte man vor einem Jahr im Rahmen der Ausstellung ICH via Livestream Meisenbergs Aktivitäten an seinem Smartphone mitverfolgen. In Aschaffenburg präsentiert er eine Videoarbeit, die an YouTube-Tutorials erinnert, jene Videos, die von Nutzern ins Netz geladen werden, um den Zuschauern etwa Backrezepte oder Kosmetikprodukt zu erklären. Dass sich hinter diesen scheinbar harmlosen Videos oft ökonomische Interessen verbergen, wissen die Zuschauer, meist im Teeangeralter sind, oftmals nicht.

Daniel Keller, Stack Relief (Dirty Rotten Survival, 2015, Foto: © Jens Gerber

In Meisenbergs Video „I used to be “with it” then they changed what “it” was now what i am “with” isnt “it”  and whats “it” seems weird and scary to me”, welches wie eine Serie mit sechs Staffeln aufgebaut ist, wird mit dem Zuschauer jedoch nicht kommuniziert, sondern ihm werden nur Dinge präsentiert. Auf einem billigen weißen Plastikstuhl werden Nahrungsmittel und Produkte wie SD-Karten vor der Kamera drapiert, um dann vom Künstler zerkleinert und vermengt zu werden. Sind die Bestandteile seiner „Rezepte“ autonom betrachtet durchweg Gegenstände, die Vitalität, Kommunikationsfähigkeit und Lifestyle symbolisieren, erscheinen sie in Meisenbergs Arbeit verfremdet. Meisenberg spielt mit dem Ekel des Zuschauers, während er Episode für Episode den "Rezepten" des Künstlers folgen muss. Als wandfüllende Videoinstallation kann der Zuschauer dem virtuellen Spektakel im realen Ausstellungsraum nicht entfliehen.

Florian Meisenberg, I used to be „with it“ then they changed what „it“ was now what i am „with“ isn’t „it“ and whats „it“ seems weird and scary to me (Season 1-6), 2017, Foto: © Jens Gerber

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