Ein ehemaliges Verwaltungsgebäude im Frankfurter Gallusviertel zu neuem Leben erweckt: Zehn Künstler beschäftigen sich kritisch bis spielerisch mit dem Lebensraum Büro.

Wirklich irrwitzig, diese runden, drehbaren Archivregale, der blaue Teppichboden. Die blassgelbe Wandfarbe korrespondiert mit einem ebenso blassgelben Aktenschrank. Die Büroräume in der Mainzer Landstraße, die früher einmal die Verwaltung eines Großhandels für Baustoffe und Fliesen beherbergten, wirken wie aus der Zeit gefallen. Als hätten die Angestellten die Büros vor Jahrzehnten (tatsächlich sind es etwa zwölf Jahre) blitzartig verlassen. Als hätte sich in den Räumen während all der Jahre des Leerstands nicht etwa Staub abgelagert, sondern Kunst eingenistet.

Max Eulitz, Hey it's me, 2016, Foto Robert Schittko

Der Eindruck entsteht nicht zufällig. Zehn internationale zeitgenössische Künstler wurden vom Frankfurter Kuratorinnen-Team „Le Collective“ eingeladen, zwei Etagen des Bürobaus zu bespielen. Der Arbeitsplatz sollte dabei explizit Thema sein, was dazu führte, dass mehrere ortsbezogene Installationen entstanden. Die Künstler haben mit dem vorgefundenen Mobiliar und den Räumlichkeiten gearbeitet. So hat Robert Schittko im eingangs erwähnten Archivraum mehrere Schreibtische gruppiert, zahlreiche persönlich wirkende Gegenstände, Pflanzen sowie frühere künstlerische Arbeiten platziert.

Artefakt in der Schublade

„Ich habe mit der Lebensfeindlichkeit im Büro gearbeitet“, sagt Schittko, dessen Werk zwischen Fotografie und Installation changiert. Die von ihm geschaffene Umgebung lädt zum Entdecken ein, so hat er beispielsweise in den offenen Schreibtischschubladen mehrere mit Epoxidharz übergossene Fotografien untergebracht. Wenn das Gebäude, wie derzeit geplant, zukünftig Büros für Kreative beherbergen sollte, werden die zukünftigen Raumnutzer vielleicht irgendwann irgendwo auf Schittkos Arbeiten als Artefakte stoßen. Der Archivraum spielt ebenfalls in Nadia Perlovs Videoarbeit „Lost Pardess – Maybe Paradise“ eine wichtige Rolle.

Robert Schittko, this dude is really a desk-top, 2017, Foto Robert Schittko

Der Film wurde vor Ort im Bürogebäude gedreht. Er thematisiert die „Jaffa“-Orange als ein Symbol des israelischen Nationalstolzes. Perlov, die aus Israel stammt und an der Städelschule studiert, inszeniert sich in dem Video als überdrehte Geschäftsfrau. Sie interpretiert populäre hebräischsprachige Lieder, die sich um die Orange drehen. Vor der Staatsgründung Israels im Jahr 1948 arbeiteten Juden und Araber auf den Orangenplantagen in Jaffa (heute ein Teil von Tel Aviv) zusammen, berichtet Nadia Perlov. Die Erinnerung an Zusammenarbeit und Koexistenz habe sich seitdem jedoch in Luft aufgelöst.

Gebirge aus grauen Möbeln

Als „eine Hommage an den physisch arbeitenden Menschen“ bezeichnet Daniel Stubenvoll seine Serie „Wir fördern Wendigkeit!“. Die 15 Fotografien zeigen verschiedene Sackkarren, die aus mehreren Blickwinkeln aufgenommen wurden. In der Wahrnehmung des Künstlers wurden sie gleichsam wie Personen „porträtiert“. Treffen Wand und Boden auf den Bildern zusammen, so bildet sich eine Horizontlinie. Nach dieser Linie sind alle Fotografien ausgerichtet, was mitunter wirkt, als wären sie im Rahmen verrutscht.

Daniel Stubenvoll, Wir foerdern Wendigkeit, 2014, Foto Robert Schittko

 

Für die Installation „Friedensreich rundum“ hat Stubenvoll vorgefundene Einrichtungsgegenstände „zu einer Art Gebirge“ arrangiert. „Ich habe dafür nur die grauen Möbel ausgesucht“, betont der Künstler. Das Herzstück der Installation ist ein kleinformatiges Bild an der Wand hinter den Möbelstücken. Es erinnert an das Fragment einer Fliese und ist mit Markern bemalt. Daniel Stubenvoll bezieht sich dabei auf ein Manifest des österreichischen Künstlers und Architekten Friedensreich Hundertwasser, in dem Mietshausbewohner dazu ermuntert werden sollten, ihr Haus aus dem Fenster heraus zu bemalen, soweit die Armlänge reicht.

Bodenkontakt

Wie der heimliche Traum jedes Angestellten erscheint die Hängematte, die der brasilianische Künstler Diogo Duda in einem der Büros aufgespannt hat. Zumindest auf den ersten Blick, denn die Hängematte ist dysfunktional. Versucht man sich draufzulegen, so biegen sich die elastischen Bänder durch, und man nimmt Kontakt zum Boden auf, oder vielmehr zu einem grünen, runden Teppich, der den Boden ziert. Diogo Dudas Hängematte ist eine Attrappe. Der Künstler möchte damit unter anderem auf das erschütterte Vertrauen der brasilianischen Bevölkerung in ihre von Korruptionsaffären heimgesuchte Regierung anspielen.

Olga Pedan, Cowmask, 2017, Foto Robert Schittko

Doch auch ohne diesen politischen Kontext führt Duda vor Augen, wie fragil und trügerisch der Traum von jenem entspannten Arbeitsumfeld ist, der seinen Ursprung in kalifornischen Startups hatte und heute gerne von Unternehmen jeglicher Couleur propagiert wird.

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