Martin Wenzel lädt in die Tiefen der Kellergewölbe des Basis Atelierhauses auf eine Entdeckungsreise ein.

In der virtuellen Welt der Videospiele liegen die Bonus Level meistens gut versteckt an ungewöhnlichen Orten – häufig aber unterirdisch. Sie verheißen dem Spieler bei Bewältigung Belohnungen in Form zusätzlicher Punkte, weiterer Leben, seltener Artefakte oder – zumindest zeitweise – phänomenaler Fähigkeiten. Ähnlich verhält es sich mit Martin Wenzels Ausstellung „Bonus Level“, der im basis-Atelierhaus Elbestraße vom 13.-15. Oktober drei Ebenen bespielt und auf deren Entstehungsweg so manche Hürde genommen werden musste, um die Schätze entdecken, heben und schließlich präsentieren zu können.

Martin Wenzel, Bonus Level, Basis Projektraum, Frankfurt, 2017

Wie in einem Computerspiel führt der Ausstellungsparcours von Level zu Level hinab, bis zu einem ehemaligen Luftschutzkeller, den Wenzel über Monate hinweg entrümpelte und dabei  einige Zeitzeugnisse aus der Frankfurter Geschichte zutage brachte. Die zeitintensive Vorbereitung der Ausstellung war für Wenzel eine Forschungs- und Entdeckungsarbeit. Der HfG- und Städelschulabsolvent Martin Wenzel arbeitete, wie für ihn typisch, ortsbezogen, indem er sich mit der konkreten Umgebung und den dort vorgefunden Objekten und Verhältnissen auseinandersetzt.

Schaftstiefelgrotesk

Dabei zieht er alle Register künstlerischer Medien: von Typografie und Video über Fotografie und Zeichnung, bis hin zu Skulptur und Rauminstallation. „Ich probiere mich mit diesen Räumen sowie den vorgefundenen Materialien und Objekten in alle Richtungen aus. Dieses Projekt ist das größte, was ich bisher gemacht habe.“ Auf das diffizile Beziehungskonglomerat der Werke seines Projektes verweist bereits das Plakat: Auf der Abbildung des düsteren Treppenabgangs in den Luftschutzkeller prangen die titelgebenden Lettern „Bonus Level“ in der prägnanten Tannenberg-Typo, die in den 1930er- Jahren von dem Offenbacher Typografen Erich Meyer entworfen und bezeichnenderweise „Schaftstiefelgrotesk“ genannt wurde. Noch heute wird diese Typo mit Nazi-Propaganda assoziiert.

Martin Wenzel, Bonus Level, Basis Projektraum, Frankfurt, 2017

Wenzel wählte diese Schriftart als Aufmacher für seine Ausstellung, weil sie ihm bei der Erschließung des Luftschutzkellers immer wieder begegnete. „Ich spiele nicht mit diesem ‚Nazi-Grusel‘, aber es ist ein Teil dieses Gebäudes, den ich nicht einfach wegkehren kann.“ Allerdings unterlegt Wenzel die unheilassoziierte Typo der Buchstaben mit den vier Bestandteilen des CMYK-Farbmodells. Auf diese Farben verweist Wenzel in seinen Arbeiten immer wieder. So präsentiert er im ersten Level der Ausstellung – dem Projektraum – unter anderem in einem Lastenaufzug vier uralte, entleerte Feuerlöscher, die er bei der Entrümpelung des Kellers fand und in den vier Grundfarben Cyan, Magenta, Yellow und Schwarz strich.

Im letzten Level

Im nächsten Level – dem Untergeschoss – befindet sich Wenzels Atelier, an dessen Tür eine Kontrabass-Saite gespannt ist, die, sobald man sie zupft, den Raum mit einem Ton erfüllt. Doch das ist nicht das einzige Geräusch, das zu hören ist. Im Nachbarkeller hat die Rockband KGW ihre Proberäume, die am Eröffnungsabend, versteckt hinter dem Gemäuer, jedoch gut hörbar, ein Live Konzert geben wird. Was für ein Bonus! In das nächst tiefere und letzte Level gelangt man über eine steile, schwarzgetünchte Treppe in den Luftschutzkeller. An den Wänden eines Raumes wird der Betrachter mit den schriftlich fixierten Aufforderungen „Hinsetzen“ und „Rauchen verboten“ in der Tannenberg Typo konfrontiert und hat die geschichtliche Situation vor Augen.

MARTIN WENZEL, "ABCE (CMYK)", 2017, Courtesy the artist and PPC Philipp Pflug Contemporary, Frankfurt am Main
Martin Wenzel, Bonus Level, Basis Projektraum, Frankfurt, 2017

Die kürzlich erst im Rahmen der Entschärfung einer riesigen Fliegerbombe aufgefrischte Erinnerung an die Bombenangriffe auf Frankfurt lebt hier unmittelbar wieder auf. Wenzel hebt diese Imagination auf ein neues Level, in dem er an der gegenüberliegenden Wand den typisch deutschen Begriff „Bratwurst“ schreibt. So passiert es mit zahlreichen Fundstücken, die Wenzel in dem Keller wie viele kleine Boni freigelegt hat. Eine große Tonne, die ursprünglich Wandseife enthielt – vielleicht zur Reinigung von Wänden vom Phosphor der Bomben – eine monströse, zerbrochene Tür oder ein Gitter: Das alles sind Alltagsgegenstände, die Wenzel bewusst ihrem Assoziationskontext enthebt, indem er sie farblich verfremdet (hier: angelehnt an das Miami Vice Logo), an die Wand hängt oder von der Decke baumeln lässt.

Durch diese Funktionsentfremdung und der Kombination mit anderen Objet trouvés entstehen neue Sinnzusammenhänge, die das Objekt zum Kunstwerk erheben und ihm spielerische und manchmal auch provokante Züge verleihen. Für den Besucher erschließt sich, nach vielleicht anfänglicher Irritation und einigen Überraschungen, nicht nur der Untergrund und ein Stück Geschichte Frankfurts, sondern wohl auch ein Verständnis für den offenen Entstehungsprozess der Kunst Martin Wenzels  – wie im Bonus Level.

Martin Wenzel, Bonus Level, Basis Projektraum, Frankfurt, 2017

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