Im Kunstverein Familie Montez im Frankfurter Ostend zeigt eine Ausstellung, wie man mit Kunst Momente der Unordnung und der Unruhe schafft.

„What Can Be Done to Make Trouble?“ – diese Frage formulierte im Jahr 1967 der amerikanische Soziologe Harold Garfinkel. Er bezog sich auf seine „Krisenexperimente“, bei denen es darum ging, vom Vertrauten ausgehend, Unordnung und Irritation zu stiften. So sollten sich Probanden beispielsweise zu Hause oder bei Freunden wie Fremde benehmen. Garfinkels Frage möchten die Mainzer Soziologin Christiane Schürkmann und der Dresdner Künstler Marten Schech auf die zeitgenössische Kunst übertragen. Sie haben sieben junge Positionen nach Frankfurt eingeladen deren augenfälligste Gemeinsamkeit ist, dass sie in den achtziger Jahren geboren wurden.

„Wir sind auf Leute zugegangen, auf die man Garfinkels Frage gut beziehen kann“, sagt Christiane Schürkmann. Gleichwohl sei die Ausgangsfrage nicht als verbindliches Thema, sondern als offene Frage gemeint. Zur Ausstellung erscheint auch ein Katalog mit kunstwissenschaftlichen Beiträgen. Für die Schau stellt der von Mirek Macke geleitete Kunstverein Familie Montez seine Räume unter der Honsellbrücke, in direkter Nachbarschaft zu EZB und Hafenpark, zur Verfügung. Mit ihren unverputzten Betonwänden muten die Räume rau an, besonders im Hauptausstellungsraum unter einem Brückenrundbogen hat die Kunst viel Luft zum Atmen.

Falsche Fährten

Der einzige Frankfurter Künstler in der Ausstellung ist Marcel Walldorf. Er zeigt mehrere bildhauerische Arbeiten, die erzählerische Qualitäten mit hintergründiger Ironie verbinden. „Ich versuche, dass die Leute eigene Geschichten dazu entwickeln“, sagt Marcel Walldorf über seine Arbeiten. So hängt von der Decke des Ausstellungsraums ein massiver Boxsack herab. Erst bei näherer Betrachtung offenbart der Boxsack sein ungewöhnliches Material. Und, soviel sei verraten, auch über den Geruch kann man sich dem geheimnisvollen Objekt nähern.

Marcel Walldorf: Ohne Titel, 2012

Ebenfalls bildhauerisch arbeitet Marten Schech. Er zeigt eine Skulptur, die sich deutlich an Fachwerkarchitektur anlehnt. Dennoch ist es kein Haus und auch kein Architekturmodell. Einer Struktur, die man für gewöhnlich mit verträumten Altstadthäusern in Verbindung bringt, verleiht Marten Schech etwas Amorphes. Vertraute Elemente zitierend, irritiert er den Betrachter. Dass die Skulptur aus Aluminium gefertigt ist, obwohl man Holz zu sehen meint, steigert die Irritation. Schech fertigte das Objekt tatsächlich erst aus Holz an und ließ es anschließend gießen. Mit der Übertragung in ein anderes Material bezieht sich Marten Schech auf den Wiederaufbaugedanken. Man braucht nur an die zeitgenössischen Nachbauten zu denken, die gerade in der Altstadt von Frankfurt entsteht.

Angriff der Riesenameisen

Irritierend wirken auch die Fotografien von Melanie Börner. Die in London lebende Künstlerin macht Selfies, die sie mithilfe einer kommerziellen App mit Instagram- und Webfundstücken collagiert. Sie verbindet ihr Antlitz mit einer anderen, ihr unbekannten Person. Durch diese Vermischung entstehen Zwitterwesen mit merkwürdig entstellten Gesichtern. Die Dresdner Künstlerin Nadja Kurz zeigt filmische Animationen, die sie installativ in den Ausstellungsraum einbettet. Kurz erschafft bizarr-schrille Bildwelten und spickt sie mit reichlich schwarzem Humor. Ihre Animationen, die bisweilen leichten Ekel auslösen können, unterlegt sie mit selbsterzeugten Sounds und Noise-Musik.

Marten Schech: Chamaechorie (Meissen), 2015
Melanie Börner, Me & ..., Fotografie, 2017

1989 geboren, ist David Schiesser der jüngste Künstler der Schau. Schiessers primäres Medium ist die Linienzeichnung, die er als Tätowierer mitunter direkt am Körper aufträgt. Im Kunstverein Familie Montez zeigt David Schiesser zwei großformatige, aus vier Leinwänden zusammengesetzte Kohlezeichnungen. Es geht auch bei ihm um Momente der Unsicherheit, die auf die erste Betrachtung folgen. Auf einer Zeichnung sieht man in der Bildmitte eine liegende menschliche Figur, die von allen Seiten von riesenhaften Ameisen angegriffen wird. Das Geschehen spielt sich in einer Landschaft voller dornenartiger Strukturen ab. Die unangenehme Szenerie scheint direkt einem Splatter-Movie entnommen zu sein.

David Schiesser: no credit, 2017

Für Verwunderung, aber auch für Schmunzeln sorgt Alexander Endrullats unbetiteltes Gemälde im Hauptausstellungsraum. Es ist von etwa vierzig blauen Autos bevölkert, wobei unter einem ein gelber Schriftzug prangt: „MEINER“. Bei einem genaueren Blick wird klar, dass Endrullat immer das gleiche Auto malt. Es ist ein Renault-Minivan, den er von skizzenhaft bis genau ausformuliert in mehreren Reihen ins Bild setzt. „Ich finde das Auto verdammt hässlich“, bekennt der Künstler. Warum malt er es dann wie besessen? Alexander Endrullats Arbeiten stehen exemplarisch für diese Schau, die Potentiale von Störung und Irritation in der Kunst auslotet.

Alexander Endrullat, ohne Titel, 2017
Nadja Kurz, Flaccid Nub, Mehrkanal-Videoinstallation

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