Berlin feiert vom 14. bis 16. Dezember 2018 das Jubiläum der Reihe Videoart at Midnight. Mit einem Festival im Kino Babylon sind 100 Videoarbeiten zeitgenössischer Künstlerinnen und Künstler zu sehen.

Mit einer großen Tüte Popcorn in roten Samtsesseln versinken und Kunst genießen: Seit mittlerweile 99 Ausgaben in zehn Jahren macht „Videoart at Midnight” dieses Erlebnis möglich, im Kino Babylon, einem der ältesten Filmkunsttheater Berlins. Zum 100. Jubiläum feiert die Reihe die wohl beliebteste aktuelle Kunstform an drei Tagen mit einem großen Festival. Bei freiem Eintritt sind herausragende Arbeiten zeitgenössischer Künstlerinnen und Künstler im Kino zu sehen, noch immer ein nicht ganz gewöhnlicher Ort für die Präsentation von Videokunst.

Videoart at Midnight im Babylon © Videoart at Midnight

Seit ihren Anfängen in den 1960er Jahren hat die Videokunst eine bemerkenswerte Geschichte geschrieben. Sie vermochte es in wenigen Jahrzehnten, einen Status ähnlich dem etablierter Kunstformen zu erreichen. Viele Künstlerinnen und Künstler verweben sie heute mit weiteren Praxen, etwa Installation oder Performance, und nutzen ihre vielfältigen Qualitäten: Sie eignet sich genauso für dokumentarische und investigative Ansätze wie dafür, die technologisierte Gegenwart zu analysieren und Scifi-Szenarien zu entwerfen. 

Ansätze aus Kunst und Film haben sich zu hybri­den Forma­ten entwi­ckelt

Der Begriff stammt noch aus den Ursprüngen der Kunstform und wird heute recht allgemein angewandt. Unterschied man anfangs zwischen auf Videobändern aufgenommenen, manipulierten und montierten Arbeiten einerseits und andererseits dem Genre Künstlerfilm, der auf 8- und 16-mm Filmrollen gedreht wurde, kommt heute weitgehend digitales Material zum Einsatz. Ansätze aus der bildenden Kunst und filmische Umsetzungen haben sich zu hybriden Formaten entwickelt.

Theo Eshetu, Body And Soul V3, 2004 © the artist
Akademie der Künste, Video-Skulpturen (Künstler der Ausstellung), 1989 © Wulf Herzogenrath, Foto: Joschik Kerstin

Schließlich führte diese Entwicklung auch zu verschiedenen kuratorischen Konzepten, die nicht mehr nur Präsentationen im White Cube, sondern auch im Kino oder kinoähnlichen Situationen vorsahen. In München hat sich das Festival „Kino der Kunst“ etabliert, das in mehreren Kinos ausgerichtet wird, die SCHIRN zeigt im Rahmen der Reihe „Double Feature“ zeitgenössische Tendenzen der künstlerischen Filmproduktion und in Berlin präsentiert die Reihe „Videoart at Midnight“ einmal monatlich um Mitternacht Kunst auf der großen Leinwand. 

Wie immer öffnet sich auch der Vorhang für die einhundertste Ausgabe von Freitag auf Samstag um Mitternacht und im Kino Babylon. Gast ist dieses Mal Ed Atkins, ein Künstler also, der mit seinen in 3-D-Computergrafiken animierten Werken ganz ins Digitale eintaucht und für eine radikale, auf generierten Sujets basierenden Form der Videokunst steht. In der SCHIRN zeigte er 2014 beim „Double Feature“ die beiden Filme „Even Pricks“ und „Warm, warm, warm Spring Mouth“, in denen er das virulente Thema der künstlichen Intelligenz aufgreift, der Annäherung von Mensch und Maschine. Für seine Präsentation zur Jubiläumsausgabe von „Videoart at Midnight“ hat er aus seinem Repertoire der vergangenen Jahre geschöpft und auch noch nie gezeigte Szenen verarbeitet. Zudem wird er performativ in das Screening intervenieren.

Videoart at Midnight #94_Wolfgang Tillmans 03 © Anton Stüber
Ed Atkins, SAFE CONDUCT (Production Still) © the artist

Es folgen zwei Tage Binge Watching auf rotem Samt, ein wahrer Marathon mit vielen Highlights der Videokunst der vergangenen Jahre und bekannten Gästen der Reihe, darunter einige Premieren. Die Kuratorin Isabel de Sena hat ein Programm in mehreren Sessions zusammengestellt, das die Vielfalt aktueller Videokunst abbildet. Dabei sind eine ganze Reihe von Künstlerinnen und Künstler, die auch schon in der SCHIRN zu sehen waren: zum „Double Feature“, in Themenausstellungen oder, wie John Bock, in einer Einzelausstellung. Neben Ed Atkins sind etwa Keren Cytter, Ulf Aminde, Michel Auder, Omer Fast, Dani Gal, Hiwa K, Joep van Liefland, Anri Sala, Yael Bartana, Phil Collins, Pauline Curnier Jardin, Annika Larsson, Jeremy Shaw, Mathilde ter Heijne, Raphaela Vogel, Agnieszka Polska und Anri Sala vertreten.

Raphaela Vogel, Son of a Witch (Filmstill), 2018 © the artist
Yael Bartana, Tashlik (Cast Off), 2017 © the artist
Annika Larsson, The Discourse of the Drinkers, 2017 © the artist

Agnieszka Polska und Anri Sala präsentieren jeweils Premieren ganz neuer Arbeiten. In „The Mirrored Garden” zeigt Polska eine surreale Vision eines gespiegelten Parks mit zwei identischen Hälften, gedreht in einer postmodernen Parkanlage in Schottland, und stellt Analogien dazu her, wie wir Entscheidungen treffen. Anri Salas „If and Only If” knüpft an seine langjährige Auseinandersetzung mit Musik an: Ausgangspunkt ist ein Stück Igor Strawinskys für eine Violine. Interpretiert von dem Konzertsolisten Gérard Caussé entfaltet sich ein Dialog zwischen diesem und einer Gartenschnecke, die allmählich den eingesetzten Bogen hinaufkriecht – so beeinflusst sie Caussés Spiel und er wiederum ihr Kriechen.

Mehrere Premieren und ein Symposium zur Reflexion der Arbeiten

Schon im Vorfeld der Screenings bereitet ein gemeinsam vom Hamburger Bahnhof und dem Neuen Berliner Kunstverein (n.b.k.) ausgerichtetes Symposium mit dem Titel „Future Continuous Present(s)” einen diskursiven Rahmen zur Reflexion der anschließend im Kino Babylon gezeigten Arbeiten. Die von Kunsthistorikerin und Filmwissenschaftlerin Marie-France Rafael eingeladenen Gäste befassen sich mit der Geschichte und Gegenwart der Videokunst, von den ersten Magnetbändern bis hin zu digitalen Technologien.

Anri Sala, If and only if, 2018 © the artist
Keren Cytter, Video Art Manual, 2011 © the artist

Auch die beiden Präsentationsformate – im Ausstellungsraum und auch im Kino – stehen zur Diskussion. Dabei sind Kuratoren, wie Wulf Herzogenrath, der 1977 die erste Videoabteilung der documenta 6 leitete, Künstlerinnen und Künstler, wie Ed Atkins, Ulrike Rosenbach oder Keren Cytter, sowie Wissenschaftler und Autoren. Der Wissenschaftler Leo Goldsmith wird sich in der Keynote Lecture mit der Rolle des Undergrounds in der zeitgenössischen Videokunst beschäftigen, und zwar im wörtlichen Sinne mit unterirdischen Settings als Orte des Rückzugs, der Exklusivität und Rohstoffzentren des gegenwärtigen Kapitalismus.

Ginette Daleu & Antje Majewski, Ancêtres: Rencontres et Dialogues Inédits © the artists