Rassismus ist ein Irrtum. Darüber besteht in der Ausstellung „Rassismus. Die Erfindung von Menschenrassen“ des Deutschen Hygiene-Museums Dresden kein Zweifel.

Wie aber konnte die irrtümliche Annahme, Menschen ließen sich nach Rassen klassifizieren, eine so starke und grausame Wirkmacht entfalten, die bis in heutiges Denken hineinwirkt? Dieser Frage gehen die Ausstellungsmacher unter der Leitung von Kuratorin Susanne Wernsing in vier Themenräumen nach. Die Perspektive ist dabei bewusst historisch gewählt – die aktuelle Brisanz des Themas geht dabei jedoch keinesfalls verloren.

Das Entstehen von Rassismus als Ideologie und gesellschaftliches Phänomen verankert die Ausstellung im späten 18. Jahrhundert. Gleichheitsideale der Französischen Revolution treffen hier auf eine Wirklichkeit, in der Menschen keinesfalls gleich behandelt werden – insbesondere dann, wenn sie nicht aus Europa stammen. Eine Legitimation für diese Klassifizierung bieten scheinbar die ebenfalls in dieser Zeit neu entstehenden Wissenschaften. Mit ihren Methoden lassen sich Menschen vermessen, in Kategorien und Hierarchien einteilen, an deren Spitze – nun scheinbar bewiesen – der weiße Europäer steht. Wohin diese Klassifizierungen führen, wird in der Ausstellung von Beginn an deutlich: gleich eingangs findet sich eine Tabelliermaschine des Unternehmers und Ingenieurs Herman Hollerith aus den 1930er Jahren, die zur Verarbeitung von Melde- und Abstammungsdaten der deutschen Bevölkerung eingesetzt wurde und dem NS-Regime zur Organisation des Holocaust diente.

Ausstellungsansicht © Deutsches Hygiene-Museum

Für die Verbreitung von Rassenideologien in Deutschland spielte das Dresdner Hygiene-Museum eine nicht unbedeutende Rolle. „Rassenhygiene“ und „Volksgesundheit“ waren seit seiner Gründung 1912 und noch stärker nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten dort häufig verhandelte Themen. Das Museum wurde zu einem rassenpolitischen Propagandainstitut, das mit seinen Ausstellungen zur Zwangssterilisierung und Tötung behinderter Menschen beitrug. Diesem dunklen Kapitel in der Geschichte des eigenen Hauses gibt die Ausstellung auf eindringliche Weise Raum.

Weltkarten, die bis heute das eurozentristische Weltbild reproduzieren

Doch auch wenn der Holocaust ein singuläres Ereignis in der Geschichte rassistischer Gewaltausübung darstellt, sehen die Kuratoren im Kolonialismus die bis heute wirkmächtigste Ausprägungsform rassistischen Handelns. Die beinahe 500 Jahre andauernde, gewaltvolle Expansion Europas hat tiefe Spuren hinterlassen, die unsere Wahrnehmung von „uns“ und „den Anderen“ weiterhin prägen. Sichtbar wird dies unter anderem an Weltkarten, die bis heute wie selbstverständlich das eurozentristische Weltbild reproduzieren. In der Ausstellung brechen Karten, die beispielsweise Australien oben in der Mitte des Blattes platzieren und Europa dementsprechend an den Rand rücken, mit hierzulande üblichen Sichtweisen.

Werbeblatt zur Wanderausstellung „Ewiges Volk“, 1937-1939 © Deutsches Hygiene-Museum, Foto: David Brandt

Die Frage, wie sehr Rassismus bis heute eine Rolle in Seh- und Denkgewohnheiten spielt, zieht sich in einer Fülle von Querbezügen durch die gesamte Ausstellung und verleiht der historisch angelegten Erzählweise ein großes Maß an Aktualität. Dazu tragen maßgeblich die Interventionen bei, die eine Gruppe von Beraterinnen und Beratern um die Soziologin Natasha A. Kelly an vielen Stellen des Rundgangs platziert haben. Sie durchbrechen immer wieder „weiße“ Sichtweisen, indem sie zeigen, inwiefern Exponate Gefahr laufen können, rassistische Inhalte zu reproduzieren. Damit greift die Ausstellung aktuelle rassismuskritische und postkoloniale Diskurse auf.

Chris Buck, Let‘s talk about race, 2017 © Chris Buck

Doch auch die Ausstellungsarchitektur von Diébédo Francis Kéré spiegelt historische Zusammenhänge ins Heute: mal greift sie den Drang zur Einordnung und Klassifizierung in ebenso luftigen wie raumfüllenden Regalkonstruktionen auf, mal entstehen intime Kammern, in denen Interviews mit heutigen Opfern rassistischer Gewalt in ebenso privater wie beklemmender Atmosphäre gezeigt werden.

Die Ausstellung bietet einen Raum für Gespräche 

Im letzten Raum der Ausstellung, der mit der Frage „Wie wollen wir zusammen sein?“ den Bogen spannt, befindet sich eine eine Struktur aus senkrechten Papprohren, an deren Außenwänden aktuelle Videoinstallationen gezeigt werden. Das Zentrum dieser organisch wirkenden Raumskulptur aber ist frei von Exponaten. Hier sind die Besucher eingeladen, miteinander ins Gespräch zu kommen und sich über das Gesehene auszutauschen. Und hier zeigt sich auch, was die Ausstellung eigentlich sein möchte: ein Zugang zu Informationen und ein offener Diskursraum zugleich – das Begleitprogramm ist dementsprechend umfangreich. Jenseits von tagesaktueller Hitzigkeit ergibt sich so die Möglichkeit, die Frage nach dem was „eigen“ und was „fremd“ ist, neu zu stellen.

Ausstellungsansicht © Deutsches Hygiene-Museum
Yinka Shonibare, How to blow up two heads at once (Gentlemen), 2006 © Yinka Shonibare / Courtesy Fundação Sindika Dokolo