Kunst im Hotel. Die einjährige Ausstellung im Frankfurter Le Meridién mit dem Titel „Irgend etwas geht seinen Gang“ zeigt vier Positionen der Städelschule, welche die Nüchternheit des Hotelinterieurs aufbrechen und ironisch widerspiegeln.

Lose referiert das Konzept der Ausstellung „Irgend etwas geht seinen Gang“ auf Samuel Becketts Theaterstück „Endspiel“ von 1956, bei dem vier gebrochene Figuren das  Ende ihres Lebens abwarten. Ihre Verlorenheit auf der tristen Bühne bestimmt die verhallenden Dialoge. In Becketts Worten würde ihre „kreatürliche Traurigkeit“ nicht mehr durch irgendeinen Komfort oder Geschäftigkeit überdeckt werden können – denn: wozu geschäftig sein, wenn das Ende naht?

Anfangs scheint das Theaterstück der Ausstellung diametral entgegengesetzt, doch bei näherer Betrachtung wird die Verbindung zur Verlorenheit und Tristesse von Becketts „Endspiel“ deutlicher. Der Eingangsbereich eines Hotels definiert zunächst einen Raum, in dem klare Verhaltensregeln und Kodexe vorherrschen. Eine Hotelloby ist ein Ort, der Heimeligkeit suggeriert und gleichzeitig durch das ständige Passieren von Hotelgästen und dem abgestimmten, kuratierten Inventar eher wenig Platz für ein Gefühl von Zuhause lässt. Es braucht schon die cineastischen Erzählungen und Momente eines Films, wie  „Lost in Translation“, um  dem tristen Hotelalltag Lebendigkeit zu verleihen.

Die Tristesse des Hotelalltags aufbrechen

Die Studierenden Malina Lauterbach, Dierk Höhne und Hendrike Nagel konfrontieren diesen Ort mit einer Auswahl an Kunstwerken, die sich zwischen Kunst und Dekoration bewegen. Gleich neben der gläsernen Schiebetür am Eingang, lehnt wie ein vergessenes Gepäckstück eine der drei Arbeiten von Stefan Cantante aus der Klasse von Judith Hopf. Die massiven Metallkassetten, eine Art Tresortür, zitieren in ihren Titeln Sätze einer Telenovela wie “I see the visage of you, my sweet, in all of your glory”. Sie verleihen den kühlen, schweren Objekten eine Weichheit und Sentimentalität und werden durch die Räumlichkeiten des Hotels zu einer fast tragikomischen Phrase. Sie zitieren, was die Gäste sich vermutlich beim nächtlichen Streifzug durch leere Hotelbars heimlich zuflüstern.

Wozu geschäftig sein, wenn das Ende naht?

Beim Betreten der Hotelloby sieht man in der Wand einen überlebensgroßen Schlüssel aus Holz stecken, an dessen Schlüsselring aus Metall wiederum weitere, kleinere Schlüssel hängen. Sie sind allesamt mit Schnitzereien und Ornamenten versehen und zeigen die Zahl 21. Ungewiss bleibt, ob es sich dabei um die Zimmernummer des Hotels handelt. Ohnehin verliert der Schlüssel seine Funktion: Er ist nicht nur zu groß für jedes Schlüsselloch, sondern steckt weit oben, mitten in der Wand, anstatt im Schlüsselloch einer Tür. Seine vielseitigen Bezüge werden erst bei der Lektüre der Ausstellungstexte deutlich.

Narzisstischer Heroismus unter rosa Bauschaum

Die beiden Arbeiten von Lisa Gutscher, die ebenfalls bei Judith Hopf studiert, zeigen eindringlich das Nichtgezeigte. Unter einer dicken Kruste, die ein wenig nach blassrosafarbenem Bauschaum aussieht, sind Zeichnungen begraben. Sie sind zwar nicht mehr sichtbar, doch sie gehören zur Arbeit. Die Oberfläche des Schaums wurde mit tiefen Furchen versehen. Die Spuren des Eingriffes werfen Fragen auf, was sich wohl dahinter verbergen könnte. Gibt der Titel „Narcissistic Heroism“ Aufschluss über den zerstörerischen Akt oder werden ganz andere Themen tangiert?

Jasmin Werner, Forever 21 (defect), 2015
Lisa Gutscher, Narcissistic Heroism, 2018

Das Hotel ist ein Ort der Illusion. Hier werden heile Welten zum Konsum angeboten und Urlaubswünsche erfüllt. Hier darf nichts stören, alles hat seinen ordentlichen und zugewiesenen Platz. Lennart Constant, der bei Monika Bear und Amy Sillman studiert, nimmt diese glatte Ästhetik in seinen hochformatigen Arbeiten auf und arrangiert darauf grotesk-komische Szenen: Auf einem Stehtisch, mitten in bodenlosen Weiten, schaut ein Hase mit abgeknickten Ohren dem Betrachter erwartungsvoll entgegen, neben ihm eine Getränkedose. Auf einem anderen Gemälde versammeln sich ein Adler, eine Büste von Joseph Beuys und eine Palme auf der runden Tischplatte.

Adler, Beuys und Palme auf Stehtisch

Die Werke in der Ausstellung „Irgend etwas geht seinen Gang.“ haben nur scheinbar beiläufig ihren Platz gefunden. Ihre Hängung reagiert auf das nüchterne Hotelmobiliar, dessen Komposition einem Schema, einer Funktion und einer bestimmten Stilistik folgt. Der Sinn aller Objekte und Personen ist in diesem Setting klar bestimmt und definiert. Für die Gäste steht diese Utopie auf Zeit Becketts finiter Dystopie gegenüber. Mit den ausgestellten Werken wird der Wirklichkeitsraum des Hotels auf den Kopf gestellt, zugleich aber auch bestätigt. Sie bedienen sich der Ästhetik des Hotels und machen mittels Verfremdung auf ihre Künstlichkeit aufmerksam.

Lennart Constant, Table Painting #1, 2014
Lennart Constant, Table Painting #2, 2014