Die Caffettiera hat es William Kentridge angetan. Er identifiziert sich mit der italienischen Moka Express und reist mit ihr sogar zum Mond. Bis zum 26. August sind seine Werke noch im Frankfurter Liebieghaus zu sehen.

Am Ende seines Frankfurter Vortrags über sein neuestes Stück „The Head and the Load“ wurde William Kentridge von einem der Zuhörer gefragt, ob er sich nackt eine Treppe hinabsteigend vorgestellt habe, was er lachend verneinte. Frage und Antwort, rätselhaft-knapp und amüsiert, hatten etwas von der Verständigung Eingehweiter. Wenn auch keine Auflösung, so folgte doch ein Hinweis: Die Anspielung galt einer für die Ausstellung „O Sentimental Machine“ im Liebieghaus entstandenen, sogenannten anamorphotischen Zeichnung. Sie zeigt das Bild einer mechanischen Kaffeekanne, angebracht auf der Marmortreppe zwischen Museumsbau und Villa Liebieg. Nur von einem einzigen Standpunkt ist sie unverzerrt erkennbar.

William Kentridge im Liebieghaus

William Kentridges Begriff von Zeichnung ist weit. Der 1955 geborene Johannesburger Künstler ist in den 1990er Jahren mit aus Kohlezeichnungen animierten Filmen bekannt geworden, die vom Leben im Apartheid-Regime handeln. Er nennt sie „drawings for projection“, während seine weltweit gefeierten Operninszenierungen, Performances und Installationen, die ebenso surreal-fantastische Stoffe aufgreifen wie politisch schwere Themen, für ihn Zeichnungen in den vier Dimensionen sind, die sich in Raum und Zeit ausdehnen. Die Zeichnung auf den Treppenstufen wiederum besteht aus klein gerissenem und in tagelanger Handarbeit aufgeklebtem schwarzem und weißem Papier. In vielen seiner Arbeiten hat die Kaffeekanne ihren Auftritt. Wie in „Tabula Rasa 2“, wo die über ein Blatt Papier gegossene Tinte wie durch Zauberhand zurückfließt.

Hochgeschwindigkeit, Technologie und der Mensch als Maschine

Mit seinen „7 Fragments for Georges Méliès“, von denen „Tabula Rasa 2“ eines ist, zollt Kentridge dem französischen Filmpionier Tribut, der nicht nur durch etwaige Tricktechniken in die Geschichte einging, sondern auch mit seinem Schauspiel. Kentridge tut es ihm nach und reist in „Journey to the Moon“ in einer Kaffeekannen-Rakete zum Mond.

William Kentridge, Journey to the Moon (Standbild), 2003 © William Kentridge
William Kentridge, Journey to the Moon (Standbild), 2003 © William Kentridge
William Kentridge, Tabula Rasa II (Standbild), 2003 © William Kentridge

Dabei beginnt der Film ganz harmlos: Der Künstler sitzt im Studio, trinkt Kaffee, liest, läuft umher, bis er durch eine umgedrehte Espressotasse beginnt, die Welt wie durch ein Teleskop zu sehen. Der stimulierende Kaffee bringt Freud wie Pein, das hielt schon Honoré de Balzac fest, der in der Nacht über 50 Tassen zum Schreiben brauchte. Und auch Kentridge spürt wehmütig der nur geisterhaften Präsenz einer weiblichen Gestalt nach. Daneben aber manifestiert sich sein gesteigerter Erkenntnis- und Schaffensdrang.

Hochgeschwindigkeit und Technologie sucht das dem englischen ‚express‘ (Schnellzug) entlehnte ‚Espresso‘ tatsächlich schon früh werbewirksam zu assoziieren. So kommt es auch zum Produktnamen „Moka Express“ für die Aluminiumkaffeekannen der Firma Bialetti. Kentridge verwendet nicht nur ausschließlich diesen Typus, sondern identifiziert sich auch mit ihm. Das zeigt unter anderem sein „Self-Portrait as a Coffeepot“. Wie in der Fünf-Kanal-Installation „O Sentimental Machine“, die der Liebieghaus-Ausstellung ihren Titel leiht, erscheint die menschliche Figur hier mit prothesenhaften Versatzstücken gleichsam als Maschinenmensch. Während dort Megaphone die Köpfe und Stative die Beine ersetzen, tritt die Kaffeekanne im Selbstporträt an die Stelle des Kopfes und ein Megaphon findet sich an der des Genitals, inklusive Erguss.

William Kentridge, Self-Portrait as a Coffee Pot, 2012 © William Kentridge, Foto: John Hodgkiss
William Kentridge, O Sentimental Machine (Standbild), 2015 © William Kentridge

Diese Zuspitzung des männlich-genialischen Künstlertyps ist nicht ganz ernst zu nehmen, führt die Kaffeekanne doch für Kentridge zu einem Spiel mit den Geschlechterrollen. Denn was er an ihr reizvoll findet, ist ihre menschliche Gestalt samt Köpfchen, in die Seite gestütztem Arm und Rock. Mit und durch die Kanne präsentiert er sich also als weibliche Gestalt. Das zeigt insbesondere eine Reihe von Linolschnitten des „Universal Archive“, bei denen schrittweise eine Metamorphose von statten geht, die Gefäß und Frauengestalt kurzschließt.

Ein Spiel mit den Geschlechterrollen, zugespitzt in einer Kaffeekanne

Diese Symbolik hat seit Menschengedenken Bestand, Jahrtausende alte Figurinen zeugen von der Vorstellung der Frau als Leben spendendes Gefäß. Oder aber die weibliche Schönheit wird malereigeschichtlich schlicht verglichen mit derjenigen von Vasen, wie in der Neuzeit. Nicht zuletzt steht konkret die Caffettiera für ein Stück Emanzipation der italienischen Frau in den 1950er Jahren. Nun kann sie Kaffee zubereiten wie sonst nur die männlichen Barristas – „In casa un espresso come al bar“ lautet ein berühmtes Motto (zu Hause ein Kaffee wie in der Bar; einige Zeit später wird die Kaffeekanne als so kinderleicht in der Bedienung beworben, dass Papa den Kaffee zubereitet, während Mama sich der Freizeit widmet).

Bialetti, Moka Express © Bialetti
William Kentridge, Universal Archive, 2012 © William Kentridge, Foto: John Hodgkiss

Besonders wenn Kentridge dieses über 270 Millionen Mal verkaufte, allgegenwärtige, günstige Industrieprodukt als solches einsetzt, wie in seinen hier nur kurz skizzierten Filmen oder einer seiner jüngsten kinetischen Skulpturen, erhellt sich die nebulöse Frage nach dem nackten Treppengang. Ein fabrikmäßig, nicht in Handarbeit hergestellter Gegenstand wird allein durch die Wahl des Künstlers in den Rang des Kunstwerks erhoben – das von Marcel Duchamp 1913 erstmals noch als Kombination zweier Alltagsgegenstände (einem Hocker, auf dem ein Fahrradrad montiert war) erprobte readymade, bildet eine der Zäsuren der Kunstgeschichte. Kentridge bezieht sich offenkundig darauf.

Marcel Duchamp, Bycicle Wheel, 1951, Image via www.moma.org

THE HEAD & THE LOAD

William Kentridge

Unweit der Kaffeekannen-Anamorphose steht sein „Untitled (Bicycle Wheel II)“. Seine Apparate kommen mit Zahnrädern und -ketten, Zollstöcken, Kurbeln so erfinderisch wie surreal daher.

Über händisch Produziertes und die Bejahung des Fehlerhaften

Doch während das readymade auf einen Verfall von Fähigkeiten und Fertigkeiten durch die industrielle Produktion und damit die Entfremdung der Arbeiter zielt, überführt Kentridge seine Werke in der Herstellung immer wieder in langwierige händische Arbeit. Ausgeschlossen sind damit nicht etwa kleine Serienproduktionen oder Editionen, im Gegenteil bestehen auch die großen Installationen mehrfach. Duchamp hingegen polemisierte den Unikatstatus des readymades durch eine Signatur wie man sie von der Malerei kennt. Nur ein Jahr vor dem ersten readymade „Bicycle Wheel“ hatte er sein letztes Gemälde öffentlich gezeigt, das kubistische „Nu descendant un escalier n˚2“, um sich dann ganz gegen die Malerei als dem Auge schmeichelnde Kunst zu wenden. Die eingangs zitierte Publikumsfrage zielte auf genau dieses letzte Bild Duchamps von einem Akt, der eine Treppe hinabsteigt.

William Kentridge, Untitled (Bicycle Wheel II), 2012 © William Kentridge, Foto: John Hodgkiss

Wenn der Südafrikaner Kentridge hingegen ein mechanisches Objekt wählt, mit dem eines der global wichtigsten Handelsgüter zubereitet wird, das bis in unsere postkoloniale Gegenwart mit Fragen nach Fairness und Ungleichheit aufs Engste verbunden ist, kann es um eine Form der Gleichgültigkeit, mit der Duchamp stets kokettierte, nicht bestellt sein. Doch gelingt es Kentridge bei allem politischen Gewicht, das sein Werk prägt, sich eine Leichtigkeit zu bewahren, die auch im Bejahen des Chaotischen und Fehlerhaften gründet. Sein Studio ist ihm dabei der „safe space for stupidity“, ein sicherer Ort für Dummheit/en, in dem er beispielsweise mit in einer Kaffeekanne zum Mond reist.

A safe space for stupidity.

William Kentridge über sein Studio
William Kentridge im Liebieghaus